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Das Schweigen der Männer

Hie die Zoten der Väter, da die Tabus der Feministinnen: Warum Männer seltener über Sex reden, als Frauen vermuten  ■ Von Christian Füller

Es war eine verpaßte Gelegenheit. Wir vier Männer waren gleich an unserem ersten Abend in der Toskana bei Giorgio und dem unvermeidlichen Thema angekommen: Frauen. Es ging um verpaßte Gelegenheiten. Nein, nicht etwa darum, diese oder jene gerne geküßt, mit ihr geschlafen oder sie wirklich geliebt zu haben. Wir besprachen, wieso wir eigentlich mit unseren langjährigen Freundinnen nicht zusammengeblieben waren.

Bei hauchdünnem Carpaccio erging man sich in Tiefsinnigem. Ja, ihre Schreiberei am Diplom habe doch sehr an der Substanz der Beziehung gezehrt. Vielleicht auch hätten wir an der Schwelle zur Dreißig ihren Wunsch nach gemeinsamer Zukunft gar nicht verstanden. Wir kamen auf die einfühlsame Formel vom „Zusammen älter werden“. Bloß über Sex sprach keiner der vier Klemmis. Vögeln war kein Thema.

Dabei war der Sex überall: In unseren Vorstellungen vom schönen Leben, in den ausgesparten Episoden unserer Beziehungen, im Gesang von Eros Rammazotti, in den aufregend knapp bedeckten Körpern der Teenies, die nach der Schule an den Strand von Cecina Mare kamen. Manchen Morgens erinnerten trockne Flecke an (mehr oder weniger bewußt) geträumte Männerphantasien. Überall war Sex. Nur in unseren Gesprächen spielte er keine Rolle. Was im Grunde keine verpaßte Gelegenheit, sondern der Normalfall ist. Unter Männern.

Männer reden sehr wohl über Sex. Schenkelklopfend täuschen sie sich gegenseitig vor, wie oft sie können. Oder sie verbergen ihre Lust hinter schweinischen Witzen. Aber sie sprechen nicht über Sex. Nicht von Mann zu Mann.

Sie verstehen nicht zu berichten, wie es war, mit ihr zu schlafen. Sie beschweigen, wenn es in der Nacht kein Denken mehr gab, sondern nur noch Körper. Oder gar nicht geklappt hat. Sie verraten nicht, daß sie nur das eine wollte. Sie sprechen nicht über seine Einsamkeit bei ihrem Orgasmus. Männer beschreiben nicht das Land, in dem die Worte „ficken“ oder „vögeln“ einen anderen Klang haben; wo mann und frau eine andere Sprache sprechen, eine Sprache der Gesten und Berührungen. Und Männer sagen natürlich so gut wie nie: Ich habe keinen hochgekriegt. Also wissen sie auch nicht: warum. Sie hüten ihr Geheimnis so perfekt wie Jeremiah de Saint-Amour, der seinem Freund Juvenal Urbino erst nach seinem Ableben von der Liebe in den Zeiten der Cholera berichtete – schriftlich.

Intimes zu äußern ist stets von Scheu und Scham behindert. Warum sollte das bei Männern anders sein? Doch ihnen fällt es schwerer, weil es darum geht, was sie vermeintlich oder tatsächlich zum Mann macht. Andreas hatte sich auffallend zurückgehalten, als Michael, er und ich einmal – bei einer Autopanne! – über Sex redeten. Wir wechselten lieber das Thema, als nachzufragen. Heute, über 15 Jahre später, erzählt Andreas, er hätte nichts zu sagen gehabt: Er sei noch kein Mann gewesen – seine erste Liebesnacht habe noch vor ihm gelegen. Dabei war das bei Michael und mir kaum anders. Die Identität des Mannes entwickelt sich nicht allein in der sexuellen Praxis, sondern in der Rede über das Sexuelle.

Die Männer schweigen, weil ihr sexueller Wortschatz verkümmert und verboten ist. Wenn Jungen merken, daß ihr Schwanz Spaß machen kann, finden sie dafür nur das Vokabular alter Männer vor. Aus der Muschi wird dann eine Fotze, eine Dose oder gar eine Kartoffel, in die man etwas hineinzustecken habe. So bietet sich dem Mann – scheinbar – keine Sprache an, um anders als ordinär und frauenverachtend über Lust zu sprechen.

Der Feminismus skandalisiert das mit Recht. Aber er hat mit seinen Sprach- und Denkverboten die intime Rede gemordet – auch und vor allem die unter Männern. Manche Aktivistin dröhnt auch noch im Bett mit feministischem Kampfgeschrei, das polit-taktisch zugespitzt ist. Lisa etwa konnte die Schwanz-ab-Rabulistik auch bei ihrem Liebhaber Dominik nicht abstellen. Für ihn wurde es eine Zerreißrobe, über seine Nächte mit Lisa zu sprechen: Als Aktivist in diversen Wohn- und Hausgemeinschaften war er der freien Liebe zugetan. Als Lover von Lisa wurde er Opfer eines Paradoxons: Sein Schwanz war notwendiges Instrument gemeinsamer Liebesnächte – und zugleich das Objekt heftiger Anti-Phallus-Propaganda.

Manche Männer werden dabei zu Überläufern. Als geheime Informanten mit Feindberührung stellen sie sich in den Dienst der Frauenbewegung – und zensieren ihre Geschlechtsgenossen. In den feministischen Straflagern der Freien Universität etwa gab es während des neunundachtziger StudentInnenstreiks „Männerplena“. Getäuscht sah sich, wer wie Olaf gedacht hatte, unter Männern ernsthaft Frauenforderungen diskutieren zu können.

Olaf wagte zu fragen, wie denn der erotische Blick zu retten wäre, wenn Angaffen eine Form sexueller Belästigung sei (was er völlig akzeptiert hatte). Die Offiziere im besonderen Einsatz des Vulgärfeminismus erledigten Olaf auf die schlimmste Art, die es in politischen Versammlungen gibt – sie beachteten ihn nicht. Zehn Frauenforderungen wurden unberührt ans Frauenplenum zurückversandt. Viele Frauen waren, was Wunder, enttäuscht.

Die feministische Bewegung gegen die männlichen Unfähigkeit, über Sex anders als frauenfeindlich zu reden, war notwendig. Aber sie hat zur Tabuisierung der sexuellen Sprache geführt. Die Feministinnen haben zwar nicht den Phallus selbst guillotiniert, aber sie haben die Rede über IHN und seine Anwendung aufs Schafott gelegt.

Die Herrschaft des Mannes über Körper und Sexualität der Frau zu überwinden, lautet das wesentliche Theorem des Feminismus. Wer das als Mann verstanden hat und übers Ficken sprechen will, ohne seine Identität durch Anbiedern preiszugeben, lebt praktisch im vokabularen Untergrund. Die Sprache der Väter zu vulgär, die der Frauen zu repressiv – was bleibt, ist tatsächlich das Schweigen der Männer.

Ich weiß bis heute nicht, wie es bei meinem besten Freund Joachim läuft – im Bett mit seiner Frau. Puzzlesteine davon finden sich bestenfalls in Nebensätzen. Carsten gestand mir resigniert mehrmonatigen sexuellen Stillstand mit seiner Liebsten. Das letzte Mal hatte er gesagt: „Die reckt sich“ – was soviel bedeuten sollte wie: Sie sei glücklich mit ihm. Warum sie es konkret war, habe ich damals ebensowenig erfahren dürfen, wie ich heute nur in Umrissen weiß, wieso er nun unglücklich ist. Marten spricht hingegen gerne über Sex – wenn alles palletti ist: schneller, höher, weiter.

Wenn der derzeit so populäre Javier Marias recht hat, dann hätte die sexuelle Welt der Männer immer noch etwas höchst Unfertiges, Unvollendetes. Nach Marias gilt eine Tat oder eine Handlung erst dann als abgeschlossen, wenn sie erzählt ist. Marias' SchriftstellerkollegInnen können uns vielleicht dabei helfen, wie man Sex erzählt. Phillip Roth's Schreiben über die ehrbare Plackerei im Bett und Marguerite Duras' Satz, der orgasme commune sei unvergleichlich, mögen ungefähr die Spannweite beschreiben. Aber sie ersetzen kein persönliches Gespräch über das Vögeln, über das, was für Männer so oft eine black box ist, auf der außen gerade mal gut oder schlecht steht. Dabei ist es jedes mal überraschend – und wandelt sich über die Jahre.

Brecht hat einmal gesagt, „die im Bett hat immer recht“. Weil die, mit der man schläft, bald mehr zählt als beste Freunde. Wenn die Männer eine freie, selbstverständliche sexuelle Sprache finden wollen, irgendwo zwischen den Zoten ihrer Väter und den Tabus des Feminismus, müssen die Freunde wieder ihr Recht bekommen:

Let's talk about sex.

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