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Kurt liebt – und lieben heißt leiden

Warum Männer und Frauen sich nur dann gut verstehen, wenn sie sich gar nicht verstehen  ■ Von Jens König

Frauen sind besser als Männer. Wie oft hatte Kurt diesen Satz schon gehört. Jetzt kam ihm auch noch seine achtjährige Tochter damit. „Wir Frauen sind besser als ihr Männer!“ Sie sagte diesen Satz in einem Tonfall, als hätte sie gerade Simone de Beauvoir gelesen. Acht Jahre und schon so versaut, dachte Kurt und stellte seine Tochter zur Rede. „Von Simone de Beauvoir wirst du es ja kaum haben“, hielt er ihr vor, obwohl er sich da bei seiner frühreifen Tochter nicht so ganz sicher war. „Hab' ich von Mama“, antwortete sie, „außerdem stimmt es.“

Kurt machte sich nicht ernsthaft Sorgen. Seine Frau sagte oft solche Sachen über Frauen und Männer und das meistens mit einer Bedeutung in der Stimme, als redete Stephen Hawking gerade über seine neue Theorie von der Entstehung des Universums. Kurt hatte sich angewöhnt, darauf nicht mehr zu antworten. Er lächelte nur noch. Er war davon überzeugt, daß Lächeln das einzige erfolgversprechende Mittel war, um gegen die Stephen Hawkings dieser Welt anzukommen. Was sollte er seiner Frau auch sagen? Sollte er sich verteidigen? Sollte er alles mit seiner Kindheit entschuldigen? Sollte er erklären, daß Männer und Frauen einfach Wesen von verschiedenen Planeten sind? Sollte er aus der Fachliteratur zitieren? (Kurt liebte es zu zitieren, es gab seinem Beruf, er war Journalist, den Anschein von Seriosität.) Sollte er sagen, daß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen Prädispositionen sind, die vor 50.000 oder 100.000 Jahren wichtig für das Überleben waren? Sollte Kurt seiner Frau die letzte Nummer des Spiegels vor die Füße werfen, in der Henryk M. Broder schrieb, daß die Macht der Frauenpower in der Reihenfolge der populären Mythen ziemlich weit oben rangiert, gleich nach der deutschen Gründlichkeit, der jüdischen Intelligenz und der Überlegenheit der sozialistischen Idee? Sollte er darüber ernsthaft reden?

Wozu?

Das letzte Mal hatte Kurt sich vor einem Jahr auf eine solche Diskussion eingelassen. Der Tag damals hatte für ihn und seine Frau früher als normal begonnen. Seit sechs Uhr war eine Tischlerfirma dabei, die Fenster in ihrer Wohnung zu renovieren. Kurt versuchte, so wenig wie möglich mit den Handwerkern zu reden, er gab ihnen nur knappe Anweisungen. Aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß diese auf das Notwendigste beschränkte Kommunikation Voraussetzung für Qualitätsarbeit war. Plötzlich hörte er Stimmen in einem der Zimmer. „Na, Meister“, sagte seine Frau, „haben Sie Verstärkung mitgebracht? Bei mir schaffen Sie es wohl nicht alleine?“

Kurt sah durch die geöffnete Tür, wie sich ein kleiner Dicker an den unteren Fenstern zu schaffen machte und sein größerer Kollege an den Fenstern oben. Selbst dem Großen machte es anscheinend nichts aus, daß Kurts Frau sogar ihn noch um einen Kopf überragte. Alle drei brachen in schallendes Gelächter aus. Kurt wurde schlagartig klar, daß seine Kommunikationssatrategie gescheitert war.

Eine halbe Stunde später verschwanden gleich vier Handwerker im Zimmer seiner Frau. Einer von ihnen trug Sektflaschen unter dem Arm. Die Stimmung unter den Kollegen stieg. Alle redeten wild durcheinander. Die einzigen Worte, die Kurt verstand, waren: „...sowieso besser als Männer.“

Der letzte Handwerker verließ um 21.00 Uhr die Wohnung.

Kurt fing sofort an, mit seiner Frau zu streiten. Zunächst konzentrierte er sich auf die Tatsache, daß sie sich völlig unnötig über die Körpergröße des einen Handwerkers lustig gemacht hatte. „Du bist auch nicht viel größer“, antwortete seine Frau. „Du hast sie von der Arbeit abgehalten“, legte Kurt nach. „Du wolltest nur nicht mit ihnen reden“, sagte sie. „Mit einem Mann wollen die gar nicht reden“, brüllte Kurt. „Du bist nur eifersüchtig“, brüllte seine Frau zurück.

Kurt verließ die Wohnung. Dabei stürzte er im Flur über zwei liegengelassene Fensterflügel.

Am nächsten Morgen fand er einen Zettel seiner Frau auf seinem Schreibtisch. „Unzählige Männer blicken zurück auf Beziehungen, in denen ihnen kluge, emanzipierte Frauen die besten, ehrlichsten Kritikerinnen waren. Am Ende war es ihnen dann eben doch zu nervig.“

Kurt hatte diesen Zettel in die große, schwarze Kiste in seinem Regal gelegt. Alles, was seine Frau schrieb, bewahrte er in dieser Kiste auf. Es gab ihm das Gefühl, mit seiner Frau im Gespräch zu bleiben. Alles, was er dazu brauchte, hatte er gesammelt und chronologisch geordnet. Es war jederzeit abrufbar. Wann immer er wollte, konnte er mit seiner Frau reden, wenn es sein mußte, konnte er ihr sogar ihre eigenen Argumente vorhalten, ein Griff in die Kiste genügte.

Natürlich wußte Kurt, daß das nur eine Illusion war. Er mochte die Sprüche seiner Frau – er wußte jedoch nie genau, was sie damit meinte, wann es ihr Ernst war und wann nicht. Kurt war dadurch aber nicht etwa verunsichert. Millionen von Männern sahen Frauen als ein Phänomen an, dem sie ratlos gegenüberstanden. Sie litten darunter – Kurt nahm die Ratlosigkeit an. Er genoß sie. Sie hielt ihn in Atem.

Gerade weil er seine Frau so oft nicht verstand, verliebte er sich immer aufs neue in sie. Er gewann jedem ihrer Sätze etwas Positives ab. Diese Technik hatte er sich bei den Erfolgreichen abgeschaut, schließlich lebte Kurt vom Erfolg. Bill Clinton, Tony Blair, Helmut Kohl, Harald Schmidt – alle wußten sie, daß es nicht darum ging, Macht über Frauen zu haben, sondern Macht über Begriffe. Es ging um die Macht, Begriffe zu besetzen und zu deuten. Wenn seine Frau vorhersagte, sie werde ihn in spätestens zwei Jahren verlassen, weil keine Beziehung so lange halte, ohne daß die Liebe und der Sex verlorengingen, dann war Kurt überzeugt davon, daß alles in bester Ordnung war.

Emanzipierte, kluge Frauen liebte Kurt, die ihren Männern die besten und ehrlichsten Kritikerinnen sind. Aber kluge, emanzipierte Frauen zu lieben, die ihren Männern die besten und ehrlichsten Kritikerinnen sind, heißt leiden.

Immer dann, wenn seine Frau mit ihren Theorien zu sehr ins Detail ging, verwandelte sie sich vor Kurts Augen. Zuerst verdoppelte sie sich. Aus einer Frau wurden zwei. Dann wurden aus zwei Frauen drei, vier, fünf – eine ganze Gruppe von Frauen. Eine Frauengruppe. Plötzlich hatten die Männer einen grundsätzlichen Defekt: Sie waren keine Frauen. Sie waren nicht stark, nicht praktisch, nicht sensibel, sie hatten keine Phantasie, konnten nicht richtig vögeln und keine Kinder kriegen.

Mit einem Mal verwandelte sich auch Kurt. Vor den Augen der Frauengruppe wurde aus ihm der Mann. Er wurde zum Fallbeispiel. Zum Problemfall. Er lebte in einer Scheinwelt. Da er sich nicht um die Kinder kümmerte, fehlte ihm eine lebensbezogene Aufgabe. Er war umromantisch. Er streichelte die Frauen, als würde er die Tischdecke von Krümeln befreien. Er war eitel und verstand nicht, daß Frauen Heiner Müller erotisch finden. Und er ging zu den Geburtstagen seiner Freunde nie mit selbstgebastelten Geschenken.

Kurt war mühelos in der Lage, jede einzelne dieser abstrusen Theorien bis ins kleinste zu widerlegen. Er lebte nicht in einer Scheinwelt – er war Journalist. Er stand mit beiden Beinen auf dem Boden wichtiger Tatsachen. Und wichtige Tatsachen waren das, womit Kurt zu tun hatte. Die letzten vier Jahre hatte er damit zugebracht, herauszufinden, wer Kanzlerkandidat der SPD wird. Jetzt, da er es wußte, war das Land nicht mehr dasselbe wie vorher.

Kurt phantasierte nicht. Manchmal erinnerte er sich nur an Dinge, die nie passiert waren. Dabei verließ er sich nie auf seinen Instinkt. Instinkt hielt er für unzuverlässig. Instinkt war etwas für Hunde, und Kurt haßte Hunde. Er liebte die Statistik. Sie hielt das Leben frei von Zufällen. Rein statistisch gesehen starben die Männer immer noch rund sieben Jahre früher als Frauen. Das erklärte einiges. Kurt wußte noch nicht genau, was.

Am meisten litt Kurt unter dem Vorurteil, keine Kinder kriegen zu können. Er war Vater zweier Töchter und davon überzeugt, daß er sie selbst zur Welt gebracht hatte. Die neun Monate waren für ihn jedesmal eine Qual. Kurt erinnerte sich noch genau daran, wie seine Frau in dieser Zeit unter seinen Launen, hervorgerufen durch die Schwangerschaft, gelitten hatte. Und nie wird er den Moment vergessen, als die Hebamme ihn von seinem Kind entband.

Mit seiner Frau konnte er darüber nicht sprechen. Wie jede Mutter ging sie davon aus, daß die große Welt aus ihr kam. Sie hielt sich für unersetzlich.

Wenn sie länger als 24 Stunden aus dem Haus ging, hinterließ sie Zettel mit klaren Anweisungen für Kurt und seine zweijährige Tochter. Unter der Überschrift „Elsa und Papa“ war der Tagesablauf präzise vorgezeichnet. 7.00 Uhr aufstehen. Paß auf, daß E. nicht im Schlafanzug am offenen Fenster spielt. 8.00 Uhr Frühstück. Tee trinken, keinen Saft! Vormittag spielen. 12.00 Uhr Mittagsschlaf. Danach Mittagessen. 15.00 Uhr Spielplatz. An der roten Ampel mit dem Kinderwagen nicht zu dicht an die Straße heranfahren. 18.00 Milchreis. Den Topf nicht auf die vordere Herdplatte stellen. Danach baden. Nicht wieder „Tagesschau“ gucken und E. im Bad allein lassen. Wenn sie in der Badewanne ausrutscht, dann ertrinkt sie. 19.30 Uhr schlafen.

Gleich neben den Zettel hatte Kurts Frau ein Horoskop für ihn bereitgelegt. Ein Satz darin war rot unterstrichen: „Bis zum 7. Dezember sind Liebe und Erotik für Sie bestenfalls Gesprächsthemen.“ Kurt schaute in den Kalender: Es war Anfang September. Scheiße, dachte er und ließ als erstes die Zettel in seiner schwarzen Kiste verschwinden. Auf diese Weise brachte er den Tag in seine Gewalt. Dann ging er wieder ins Bett, um auszuschlafen.

Seine Tochter ließ er neben sich spielen. Als er aufwachte, war die Wand an seinem Bett nicht mehr wie vorher. Sie war kreuz und quer mit dicken, bunten Strichen überzogen. „Schönes Bild“, sagte er zu seiner Tochter, die leise vor sich hin summte, „Picasso hat auch so angefangen.“ Kurt wußte, daß seine Frau sein Kunstverständnis nicht teilen würde, aber darauf wollte er heute keine Rücksicht nehmen. Er ließ die Wand so, wie sie war. Mütter, sagte Kurt immer, haben kein Vertrauen, daß auch ohne sie alles gut geht. Väter, sagte seine Frau, haben, wenn alles gut geht, höchstens Schwein.

Mit Kurts Tochter ging alles gut. Sie genoß den Tag. Ihr Vater erfüllte ihr jeden Wunsch. Sie trank Saft, vergaß das Mittagessen und den Mittagsschlaf, durfte sich die rote Ampel aus der Nähe ansehen und das Abendbrot auf der vorderen Herdplatte mitkochen. Vor dem Schlafengehen sah sie mit ihrem Vater die „Tagesschau“.

Daß alles so gut ging, war keine Frage des Zufalls oder des Glücks. Es war eine Frage der Statistik. An dem Tag konnte gar nichts passieren. Rein statistisch gesehen konnte nie das passieren, was die Mütter dieser Welt befürchteten.

Als seine Tochter im Bett lag, schenkte sie Kurt einen Kuß und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie war noch in dem Alter, wo man sich aussuchen konnte, was sie sagte. Kurt hatte „mein lieber, lieber Papa“ verstanden. Jetzt wurde ihm klar, daß Väter die erste und wichtigste Bezugsperson im Leben eines Mädchens waren.

Ein Mann die erste und wichtigste Bezugsperson im Frauenleben. Das erklärte vielleicht alles.

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