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Deutschland wird lauschiger

Der Bundesrat stimmt dem Gesetz zum Lauschangriff zu. Schmidt-Jortzig kritisiert Schutz für weitere Berufsgruppen: „Ein Gespräch mit meinem Apotheker ist besser geschützt als eines mit meiner Frau“  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Der große Lauschangriff kann kommen. Gestern stimmte auch der Bundesrat der entsprechenden Änderung in der Strafprozeßordnung zu. Für das Gesetz wurden 39 von 69 Stimmen abgegeben. CDU- Vertreter beklagten sich bitterlich über die SPD. Diese habe immer neue Ausnahmen gefordert und mangelnde Zuverläßigkeit gezeigt.

Sobald das Gesetz verkündet ist, kann die Polizei auch zur Strafverfolgung Wohnungen oder Geschäftsräume abhören. Bisher waren Lauschangriffe nur präventiv, also zur Gefahrenabwehr, möglich, wobei die Polizeigesetze der Länder unterschiedlich hohe Anforderungen stellen.

Genehmigt wird ein Lauschangriff zur Strafverfolgung künftig von drei BerufsrichterInnen. Pro Oberlandesgerichtsbezirk ist jeweils nur eine Kammer zuständig, so daß diese RichterInnen mit der Zeit Erfahrung sammeln können. Auch im Eilfall kann nicht die Staatsanwaltschaft oder die Polizei, sondern nur ein/e RichterIn den Lauschangriff anordnen.

Gelauscht werden darf zur Verfolgung einer Vielzahl von Straftaten, von der Geldfälschung bis zum Einschleusen von AusländerInnen. Auch wer für eine terroristische Vereinigung „wirbt“ oder diese unterstützt, muß mit Lauschangriffen rechnen. Es genügt dabei jeweils der einfache Verdacht.

Wanzen können aber nicht nur in Räumen von Beschuldigten installiert werden, sondern auch bei Kontaktpersonen, wenn „auf Grund bestimmter Tatsachen“ anzunehmen ist, daß sich Beschuldigte dort aufhalten. Bürgerrechtsgruppen gehen deshalb davon aus, daß vor allem Unbeteiligte Opfer von Abhörmaßnahmen werden.

Von Lauschmaßnahmen zur Strafverfolgung sind nach den jüngsten Änderungen alle Personen ausgenommen, denen aus beruflichen Gründen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Ursprünglich war dies nur für PfarrerInnen, StrafverteidigerInnen und Abgeordnete vorgesehen. Jetzt kommen auch ÄrztInnen, AnwältInnen, JournalistInnen, Drogen- und SchwangerschaftsberaterInnen und zahlreiche andere Berufe hinzu. Hier darf nur gelauscht werden, wenn die geschützte Person verdächtig ist, selbst kriminell zu sein.

Keine Ausnahme gibt es jedoch für Ehegatten, Kinder und andere Verwandte, obwohl auch diese Gruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Hier muß das zuständige Gericht nur prüfen, ob eine Verwertung der Tonbänder „unverhältnismäßig“ sein könnte. Justizminister Edzard Schmidt- Jortzig (FDP) hielt diese Ungleichbehandlung für „verfassungsrechtlich bedenklich“. Er verstehe nicht, warum ein Gespräch mit seinem Apotheker besser geschützt werde, als eines mit seiner Frau, erkärte er gestern im Bundesrat. Der Minister wollte die Ausnahmen deshalb allerdings nicht erweitern, sondern – im Gegenteil – wieder einschränken.

Für Lauschangriffe zur Gefahrenabwehr gelten die jetzt so gefeierten „Oasen der Vertraulichkeit“ ohnehin nicht. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble (CDU) wies gestern im Bundesrat ausdrücklich darauf hin, daß er nicht daran denke, entsprechende Ausnahmen in sein Polizeigesetz einzuführen.

Nach einer Lauschaktion zur Strafverfolgung müssen die Betroffenen benachrichtigt werden, außer es gefährdet den Untersuchungszweck oder den weiteren Einsatz verdeckter Ermittler Innen. Wenn ein halbes Jahr nach Abschluß der Ermittlungen noch keine Benachrichtigung erfolgt ist, muß diese Geheimhaltung gerichtlich genehmigt werden.

Jährlich muß die Bundesregierung dem Bundestag berichten, wie häufig und mit welchem Ergebnis von den neuen Überwachungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht wurde. Thomas Schäuble kündigte als Reaktion auf das ihm als „Lachnummer“ erscheinende Bundesgesetz an, daß die „präventive Überwachung von Gangsterwohnungen“ nach Landesrecht nun „herausragend an Bedeutung gewinnen müsse“.

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