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Algeriens „Patrioten“ greifen zu den Waffen

Mit Kalaschnikows und Flinten will die Minderheit der Berber ihre Heimatprovinz, die Kabylei, vor den verhaßten Islamisten beschützen. Unterscheidungen werden dabei nicht gemacht – Gefangene auch nicht  ■ Aus Tizi Ouzu Reiner Wandler

Rebah kramt in seiner Hosentasche und zieht ein kleines blaues Büchlein hervor. „Mein Waffenschein“, sagt der weißhaarige Mann zufrieden. „Militärpistole – 9mm“ steht auf dem Dokument vermerkt. Das deutsche Wort „Waffenfabrik“ in der Spalte „Modell“ verrät, woher Rebahs Pistole stammt. Zweimal die Woche schiebt der hagere Mann oben am Wald Wache. Er gehört zum bunt zusammengewürfelten Haufen des örtlichen „Komitees für legitime Selbstverteidigung“ – den „Patrioten“, wie sich die Mitglieder stolz selbst nennen.

Die 50 mit Kalaschnikows aus den Gebrauchtbeständen der algerischen Armee, Jagdgewehren und Pistolen ausgerüsteten Männer teilen sich die Schichten ein. In Gruppen von fünf bis sechs laufen sie vom Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung Streife, um zu verhindern, daß das 2.000-Seelen- Dorf Beni Douala in der Kabylei von bewaffneten Islamisten überfallen wird. Die mitgeführten Sirenen, mit denen im Ernstfall die Dorfbevölkerung alarmiert werden soll, kamen zum Glück bisher nicht zum Einsatz.

„Ich habe nicht gedacht, daß ich meine Kenntnisse aus dem Befreiungskrieg gegen die Franzosen noch mal brauchen würde“, sagt Rebah. Der ehemalige Dorfschullehrer ging 1991 in Rente, genau in dem Jahr, in dem die Islamische Heilsfront (FIS) die ersten freien Parlamentswahlen in Algerien gewann. Die Militärs brachen 1992 das demokratische Experiment ab. „Der Terrorismus breitete sich überall im Land aus“, sagt Rebah, der sich noch gut an den Tag erinnert, als auch Beni Douala in die Schlagzeilen geriet: „Es war der 25.September 1994.“

Ein islamistisches Kommando entführte den berühmtesten Sohn des Ortes, den Liedermacher Lounes Matoub. Er wurde vier Kilometer vor dem Ortseingang von Unbekannten auf der Landstraße, die von der Provinzhauptstadt Tizi Ouzou heraufführt, gestoppt, aus dem Auto gezerrt und verschleppt. Die Entführer brachten ihr Opfer in einen improvisierten Unterschlupf irgendwo im Wald und machten ihm dort den Prozeß: Todesstrafe lautete das Urteil.

„Daß ich trotzdem freigelassen wurde, habe ich der Bevölkerung zu verdanken“, beteuert Lounes Matoub, der bis heute Beni Douala treu geblieben ist. Der reichlich mit Goldschmuck behängte Sänger sitzt entspannt im geräumigen Aufenthaltsraum seiner Villa im Ortskern. Ein weißer Konzertflügel ziert den Raum mit offenem Kamin. „Die Menschen hier in der Kabylei gingen für meine Freilassung auf die Straße.“ Die Proteste wurden durch Drohungen unterstrichen: Sollte der Sänger nicht überleben, müßten die Sympathisanten der FIS dafür bezahlen. „16 Nächte später war ich wieder zu Hause“, erinnert sich Matoub.

Die Rechnung der Islamisten war nicht aufgegangen: Zu beliebt ist Lounes Matoub. Wie kein anderer verkörpert er für die Menschen in den Bergen den Stolz auf ihre kulturelle Identität. Die Kabylei ist die Region der Minderheit der Berber. Und der Mann mit der näselnden Stimme besingt nicht nur die Sorgen und Nöte der einfachen Leute, sondern er tut es in Tamazight – der Berbersprache, die von 25 Prozent der Algerier gepflegt wird. „Michael Jackson der Kabylei“ wird er stolz genannt. In jedem Haus finden sich seine Kassetten, und in Frankreich füllt er die Säle der großen Städte mit den Immigranten aus der „Schweiz Algeriens“, wie die Berber ihre grünen Berge gern nennen.

Etwa 1.100 kleine Dörfer krönen die zerklüfteten Bergketten. Abgeschirmt vom Rest des Landes hat hier Sprache und Kultur der Ureinwohner Nordafrikas die Arabisierung überlebt. Die Schilder, die den Reisenden an den Ortseingängen begrüßen, sind dreisprachig: in den geometrischen Schriftzeichen des Tamazight, auf Französisch und Englisch. Um sich mit den restlichen Algeriern zu verständigen, bevorzugen die Menschen hier die Sprache der einstigen französischen Kolonialherren. Arabisch lehnen sie ab. Für die Kabylen ist es die Sprache der Zentralregierung, die ihnen ihr Recht auf kulturelle Eigenständigkeit verweigert. Das Tamazight gilt den Herrschern in Algier als arabischer Dialekt, obwohl sie kein einziges Wort dieser völlig eigenständigen Sprache verstehen.

Ob kurz nach der Unabhängigkeit oder 1980 im Berberfrühling, immer wieder bot das Bergvolk der Zentralregierung in Algier die Stirn und forderte mehr Eigenständigkeit und vor allem Radio- und Fernsehsendungen in ihrer Sprache – bis heute ohne großen Erfolg. Unter der FLN galten Anhänger der Berberbewegung als Hochverräter.

Armee und Polizei reagierten mit Repression. Eines der bekanntesten Opfer war bereits damals der Sänger Lounes Matoub. 1988 wurde er nach seiner Verhaftung auf einer Wache niedergeschossen. Die Berber bangten zum erstenmal um ihr Idol. Wie durch ein Wunder überlebte Matoub die schweren Verletzungen.

„Die Islamisten wollten sich hier im unwegsamen Gelände einnisten. Sie dachten, daß die seit jeher rebellischen Berber ihnen Unterschlupf gewähren würden. Doch daraus wurde nach der Entführung Matoubs nichts“, sagt Kamal Robai, vom Vorstand der Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD). Die Berberpartei hat ihre Zentrale in einem der in den siebziger Jahren gebauten trostlosen Plattenbauten in der Provinzhauptstadt Tizi Ouzou. Von hier aus organisierte die RCD die Bewegung für die Freilassung von Matoub. Zeitgleich rief Parteichef Said Saadi seine Anhänger auf, sich zu bewaffnen. „Die erste Gruppe entstand unter meiner Leitung“, erzählt Robai stolz. 50 der 400 Einwohner von Robais Dorf Igoudjidal griffen nach der Entführung Matoubs zu den Waffen. Die „Patrioten“ waren geboren. Der 36jährige Geschichtslehrer Robai ist heute der politische Verantwortliche für alle „Patrioten“, die sich zur RCD bekennen.

„Nur mit der Waffe in der Hand können wir den Frieden garantieren“, sagt Robai. Nach den Aktionen seiner „Patrioten“ befragt, kommt er ins Schwärmen: „Neben den Wachen in den Dörfern, unterstützen wir die Armee bei großen Razzien. Die sind auf unsere Ortskenntnis angewiesen.“ Robai selbst will nie geschossen haben. Doch auf Untersuchungen von amnesty international (ai) angesprochen, wonach die „Patrioten“ grundsätzlich keine Gefangenen machen, grinst er nur.

Von einem Dialog selbst mit den gemäßigten Teilen der FIS will der Chef der „Patrioten“ nichts wissen. Die FIS, die radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), denen die Regierung die großen Massaker an Zivilisten zuschreibt, oder die beiden legalen islamistischen Parteien an-Nahda und Hamas, für Robai ist das „alles das gleiche“, denn: „Die Islamisten sind die Nazis Algeriens. Mit ihnen kann es keine Kompromisse geben.“ Und mit der Regierung in Algier, die den Berbern bis heute ihre Rechte vorenthält? „Lieber eine korrupte Regierung als eine fanatisch religöse Macht“, antwortet Robai ohne zu zögern. Er weiß nur zu gut, woher die Waffen für seine „Patrioten“ kommen. Von den 1,5 Millionen Einwohnern der Kabylei stehen 26.000 Zivilisten unter Waffen. Die Provinzregierung in Tizi Ouzo gibt jährlich umgerechnet 15 Millionen Mark für diesen Zweck aus. Die RCD applaudiert, die zweite Berberpartei, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), klagt. Das seien 56 Prozent des Sozialfonds der Provinz – unverantwortlich, in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit steigt und das Geld anderswo dringender notwenig wäre.

Wegen solcher Kritik genießt die FFS nicht nur unter den Leuten von Beni Douala den Ruf, verdeckte Unterstützung für die Islamisten zu betreiben. „Und die führen uns dann zurück ins 14.Jahrhundert“, ist sich Rebah sicher.

Der Alte hat sich mittlerweile mit zwei weiteren „Patrioten“ zusammengetan. Die Abenddämmerung rückt näher und damit die nächtliche Streife. Der eine, ein hochaufgewachsener Mittvierziger in Wachsmantel, stellt sich als der Briefträger des Ortes vor. Der andere, ein Jugendlicher in Bomberjacke und Turnschuhen, heißt Moulud und hat vor wenigen Wochen seinen Militärdienst beendet. Jetzt ist der 25jährige wie die meisten seiner algerischen Altersgenossen arbeitslos. Moulud trägt auf seinen nächtlichen Streifen eine Clash, wie in Algerien das legendäre russische Schnellfeuergewehr genannt wird. „Mein Onkel ist ein hohes Tier in der Armee. Er hat unsere Gruppe ausgerüstet“, verrät Moulud stolz. Was er künftig machen will, weiß der Jugendliche noch nicht so genau. „Aber ich überlege mir immer öfter, ob ich mich nicht zur Polizei oder zur Gendamerie melde“, sagt er. Denn: „Die Terrorismusbekämpfung ist das einzige, womit ein junger Mensch heute noch etwas verdienen kann.“

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