Genugtuung für NS-Zwangssterilisierte

Bundesregierung, SPD und Grüne wollen die Urteile der Erbgesundheitsgerichte aufheben. Von 350.000 Betroffenen leben noch rund 50.000. Entschädigung liegt unverändert bei monatlich einhundert Mark  ■ Aus Freiburg Christian Rath

Wer im Faschismus zwangssterilisiert wurde, soll jetzt juristisch rehabilitiert werden. Alle im Bundestag vertretenen Parteien wollen die Entscheidungen der NS-Erbgesundheitsgerichte aufheben. Die Bundesregierung wird in der kommenden Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen, der der taz als Referentenentwurf vorliegt. Etwa 50.000 der insgesamt rund 350.000 Betroffenen leben noch heute.

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ war eines der ersten NS-Gesetze nach der Machtergreifung. Ab Juli 1933 konnten vor allem „Schwachsinnige“, Schizophrene, Blinde und Taube zwangsweise sterilisiert werden, soweit die Behinderung als Erbkrankheit angesehen wurde. Die Entscheidung trafen in 15- bis 30minütigen Schnellverfahren sogenannte Erbgesundheitsgerichte, die mit einem Amtsrichter, einem Amtsarzt und einem weiteren Mediziner besetzt waren. Das Ziel der Aktion: „Zur Erhöhung der Zahl erbgesunder Nachkommen haben wir zunächst die Pflicht, die Fortpflanzung der erblich belasteten Personen zu verhindern“, so der damalige Justizminister Wilhelm Frick. Die Nazis fürchteten ein Aussterben der „hochwertigen Familien“, weil „Schwachsinnige und andere erblich Minderwertige“ angeblich höhrere Geburtenziffern hätten.

Rund 350.000 Menschen wurden im Vollzug der NS-Züchtungspolitik sterilisiert, etwa zwei Drittel davon wurden als „Schwachsinnige“ eingestuft. Dabei wurden bald auch die Kategorien des „moralischen“ und „sozialen Schwachsinns“ eingeführt, um gegen alle „Leistungsschwachen“ und „Randständigen“ vorgegehen zu können. An den operativen Eingriffen starben 5.000 bis 6.000 Frauen und rund 600 Männer. Indirekt wurde mit dieser Ausgrenzungspolitik das NS-Euthanasieprogramm vorbereitet, in dessen Rahmen ab 1940 etwa 100.000 Behinderte ermordet wurden.

Doch die Demütigung hatte nach dem Krieg kein Ende. Die überlebenden Zwangssterilisierten wurden nicht als NS-Verfolgte anerkannt. Zur Begründung hieß es, das Erbgesundheitsgesetz sei kein „typisch nationalsozialistisches Gesetz“. Es sei bereits in der Weimarer Republik vorbereitet worden und auch in demokratischen Staaten habe es zu dieser Zeit Zwangssterilisationen gegeben. Wiederaufnahmeverfahren waren deshalb nur erfolgreich, wenn die Opfer nachweisen konnten, daß in ihrem Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für die Sterilisation gar nicht gegeben waren. Teilweise mußten sie sich von Gutachtern untersuchen lassen, die schon zur Nazizeit Erbkranke selektierten.

Auch auf Entschädigungen mußten die Zwangssterilisierten lange Zeit verzichten. Noch Ende der 60er Jahre begründete dies der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) damit, daß sonst „von dem gesamten Entschädigungsbetrag 60 Prozent an Geisteskranke, Schwachsinnige oder schwere Alkoholiker gezahlt werden würde“.

Erst seit Beginn der 80er Jahre können die Betroffenen auf mehr Verständnis hoffen. Anerkannt wurde nun, daß es nirgendwo sonst eine so große Zahl von Zwangssterilisationen gegeben hatte wie in Deutschland, daß also doch spezifisches NS-Unrecht vorlag. 1980 erhielten die Opfer eine einmalige Entschädigung von 5.000 Mark. Seit 1990 kommen monatliche Leistungen in Höhe von 100 Mark hinzu.

Doch auch Ende der 80er Jahre war es immer noch nicht möglich, die entwürdigenden Urteile der Erbgesundheitsgerichte pauschal aufzuheben. Noch herrschte damals die Auffassung, es handle sich hierbei um normale Gerichte, deren Urteile nicht einfach vom Gesetzgeber für nichtig erklärt werden könnten. Ein entsprechender Antrag der Grünen im Bundestag scheiterte 1988 an der vereinigten Front der Altparteien. Statt dessen beschränkte sich das Parlament darauf, die Urteile zu „ächten“ und den Opfern „Achtung und Mitgefühl“ auszusprechen.

Mutiger zeigt sich jetzt Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP). „Die Erbgesundheitsgerichte waren alles andere als rechtsstaatlich“, so der Verfassungsrechtler, „deshalb verstößt eine Aufhebung ihrer Urteile per Gesetz auch nicht gegen die Gewaltenteilung.“

Eine Erhöhung der Entschädigungsleistungen ist mit dem geplanten Aufhebungsgesetz allerdings nicht verbunden. Der Justizminister will jedoch „nicht ausschließen“, daß bei den finanziellen Leistungen bald nachgebessert wird.