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■ Glanz und Elend einer Neuen Welt – in Essen zeigt eine Ausstellung die Geschichte der türkischen Immigranten Von Kersten KnippTraum und Realität im Gelobten Land

An Material herrscht kein Mangel: Die

knapp vierzigjährige Präsenz türkischer

Immigranten in Deutschland hat eine Welt von Symbolen, Bildern und Eindrücken geschaffen, die den Alltag vieler Deutscher in den Städten unmerklich verändert hat. Den Döner-Buden und Teehäusern geht eine lange Geschichte voraus, die in überfüllten Zügen und kümmerlichen Wohnheimen begann.

Wer kennt sie nicht, jene hochbepackten, kofferstrotzenden Kähne der Landstraße, mit denen die Immigranten der ersten Generation sich und die Trophäen des Wirtschaftswunderlandes in die alte Heimat wuchteten. Einen dieser automobilen Saurier hat man nun nach Essen ins Ruhrlandmuseum verfrachtet, und sein Anblick, wie der der ausgestellten Warenwelt insgesamt, stimmt nostalgisch.

Die Anfänge des Pendelns zwischen Heimat und Fließband dokumentiert die Ausstellung zur Geschichte der türkischen Immigranten ebenso einfühlsam wie anschaulich. Im Oktober 1961 wird das deutsch-türkische Anwerbeabkommen unterzeichnet, sechs Jahre nach dem deutsch-italienischen, sieben vor dem deutsch-jugoslawischen.

Die deutsche Wirtschaft boomte wie im Märchen, händeringend wurden Arbeitskräfte gesucht. Die deutsche Verbindungsstelle, eine Außenstelle der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, nahm in Istanbul ihre Arbeit auf und vermittelte bis zum sogenannten Anwerbestopp im November 1973 drei Viertel der bis dahin eingereisten türkischen Arbeitssuchenden. Der Rest kam auf dem „Zweiten Weg“: der privaten Arbeitssuche.

Groß war die Anziehungskraft der BRD, groß auch der Auswanderungsdruck aus der Türkei. Und so bewarben sich in jenem Zeitraum viermal so viele Menschen, wie tatsächlich vermittelt wurden. Fotos zeigen, welche unglaublichen Menschenmassen sich vor der Vermittlungsstelle drängten. Die wenigen Auserwählten hatten viele Mühen hinter sich und noch mehr vor sich: Eine fachliche Eignungsprüfung hatten sie überstanden und eine oft als demütigend empfundene gesundheitliche.

Doch war dieser Unmut nur harmloses Vorspiel für die Strapazen der Reise: Das Flugzeug als Transportmittel blieb aus Kostengründen die Ausnahme, vor den meisten Einwanderern lag eine fünfzigstündige Zugreise. Zum Einsatz kamen, weil eben billiger, vor allem gewöhnliche Nahverkehrszüge.

Die Ausstattung war entsprechend: Die Sitze waren nur mit niedrigen Rückenlehnen versehen, für eine Kurzstrecke noch bequem. Die Reisenden konnten nicht einmal den Kopf anlehnen, geschweige denn liegen. Ein Exemplar dieser elend butterweichen Schleudersitze steht zu Selbstversuchen zur Verfügung. Von weiteren Problemen berichten die erläuternden Textstellen: Die Züge verspäteten sich, Toiletten und Abteile wurden unzureichend gereinigt, Nahrungsmittel verdarben, Trinkwasser wurde knapp.

Ganz anderen Problemen, stilistischen nämlich, sahen sich die deutschen Behörden gegenüber: Der Begriff „Transport“, wie die Zugreise genannt wurde, rief ungewollte Erinnerungen an die NS- Zeit hervor. 1972 wurde er darum von der Bundesanstalt für Arbeit durch den Begriff „Sammelreise“ ersetzt.

Als optisch verheerend erwies sich zudem die Wanderung der Reisestrapazierten vom Bahnhof zu ihrer ersten Unterkunft: Um die dauerhafte Einwanderung der Türken (nicht der Italiener, nicht der Spanier, nicht der Griechen!) zu unterbinden, war ursprünglich ein bis zu zweijähriger Aufenthalt und anschließend die Rückkehr in die Heimat vorgesehen. Den Immigranten glaubte man daher Unterkünfte zumuten zu können, die – bestenfalls – noch als „bescheiden“ bezeichnet werden konnten.

Abgesehen von der Tristesse der Ausstattung, von der der maßstabsgetreu und mit Originalteilen nachgebaute Wohnraum eine düstere Ahnung vermittelt, abgesehen auch von der deprimierenden Lage auf dem Werksgelände oder in dessen unmittelbarer Nähe.

Wo, wie in den Richtlinien von 1964, in Sechspersonenräumen für eine Person gerade vier Quadratmeter vorgesehen sind, wo eine Dusche und eine Toilette zwanzig Personen dient, wo schließlich Hausmeister, Blockwärter und Dolmetscher unausgesetzt das Privatleben kontrollieren, da kann von Lebensfreude nicht einmal mehr im Konjunktiv gesprochen werden.

Zudem hielt man es erst ab 1973 für nötig, bei den Mindestanforderungen an Unterkünfte nicht mehr nach Deutschen und Ausländern zu unterscheiden. Kein Wunder also, daß sehr bald schon die Suche nach privatem Wohnraum einsetzte. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die Aufhebung der Aufenthaltsbeschränkung. Die Zweijahresfrist für den Aufenthalt mochte dem Innenministerium zu Anfang der sechziger Jahre opportun erscheinen: Ökonomisch erwies sie sich als unsinnig.

Sehr bald schon protestierten die Arbeitgeberverbände: Spracherwerb, fachliche und gesellschaftliche Eingewöhnung waren aufwendig, die Zweijahresfrist erschwere nur die „Einordnung der Ausländerkontingente in die Betriebe ebenso wie in die Bevölkerung“. Im September 1964 wurde die Aufenthaltsbeschränkung daher aufgehoben.

Bis 1973, so der Tenor der Ausstellung, stellte sich das Miteinander von Türken und Deutschen insgesamt als relativ problemlos dar. Dann aber beschloß die Bundesregierung einen generellen Anwerbestopp. Die Einwanderung konnte von nun an nur noch durch Eheschließung oder Familienzusammenführung erfolgen. Doch die Entscheidung bewirkte das genaue Gegenteil dessen, was sie eigentlich beabsichtigte: Um noch strengeren Auflagen zuvorzukommen, holten viele Immigranten ihre Familien nach Deutschland.

Von da an kam es auf Seiten der deutschen Bevölkerung zu ersten Anflügen von Unbehagen, das Wort von der „Überfremdung“ machte die Runde, das politische und gesellschaftliche Klima kühlte ab: „Für Ausländer Zutritt verboten!“ heißt es barsch am Einganz zu einem Club 99, irgendwo zwischen Flensburg und Rosenheim.

Dann, 1981, beschloß die Bundesregierung einen eingeschränkten Familienzuzug: Kinder über 16 Jahre durften von nun an nicht zu ihren Eltern in die BRD einreisen. Im November 1983 lockte die Regierung die Migranten zudem mit finanziellen Anreizen zur Rückreise in die alte Heimat.

Diesen unfreundlichen Zeitraum dokumentiert die Ausstellung mit Symbolen einer verborgenen Kultur: Ein nachgestelltes Teehaus ist zu sehen, der Eingangsbereich einer Moschee, und, als vielleicht denkwürdigstes Exponat, eine Stellwand mit den zahllosen Singles, LPs und Kassetten türkischer Populärmusik. So kitschig, überladen und komisch die Cover auch anmuten: Sie lehren doch auch, wie wenig wir wissen von einer Kultur, die mitten unter uns ist und zugleich meilenweit weg.

Tatsächlich haben knapp vierzig Jahre türkische Präsenz kulturell kaum sensibilisiert: Wer kann schon den Tönen der Saz und Nay etwas abgewinnen, wer kannte in den achtziger Jahren den Saz-Virtuosen Orhan Temur, wer Sefa Pekelli, wer Cem Karaca? Seit den rassistischen Exzessen der frühen Neunziger, seit Mölln und Solingen, verschafft sich der kulturell transportierte Gegenprotest größere Aufmerksamkeit. Durch Gruppen wie TCA Microphone Mafia und Cribb 199.

Mit den düsteren Szenen der Neunziger, mit Fotos der rassistischen Schandtaten, aber auch der deutsch-türkischen Solidaritätsbekundungen, schließt die Ausstellung. Sie verzichtet auf die Darstellung der jüngsten Gegenwart, den Jugendlichen im Niemandsland zwischen türkischer und deutscher Identität.

So widmet sie sich fast ausschließlich den Erfahrungen der ersten und zweiten Generation. Das mag man ihr vorwerfen. Dafür aber beleuchtet sie anschaulich und plastisch ein wenig bekanntes oder auch schon wieder vergessenes Kapitel der bundesdeutschen Geschichte. Sie tut es mit Liebe und Sachkenntnis. Die Kunst, hinter Statistiken und Gesetzestexten das menschliche Antlitz der Betroffenen zu zeigen, macht sie zu einer Lehrschule nicht der Toleranz, sondern des Respekts.

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