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Im Teufelskreis innerstädtischer Entmischung

■ Nicht die Kriminalität ist in den „sozialen Brennpunkten“ das Problem, sondern die Armut. Doch mit Modellen, das Thema Stadtentwicklung mit der Armut zu verbinden, tut sich die Politik schwer

Noch vor einigen Monaten war es die zunehmende Umlandwanderung, die – geronnen in der griffigen Vokabel der Stadtflucht – die Berliner Medien in zunehmendem Maße beschäftigte.

Seit einigen Wochen nun hat ein anderes Thema die Stadtflucht im Medieninteresse abgelöst: Es sind die „Problemgebiete“ der Stadt, die als „Slums“, „Ghettos“ oder „Kriminalitätsschwerpunkte“ von den Schattenseiten des Metropolendaseins künden. Doch wer wie Klaus-Rüdiger Landowsky oder Hans Stimmann innerstädtische Großprojekte wie das NKZ oder den Sozialpalast zur Nagelprobe mit dem Umgang mit „städtebaulichen Schandflecken“ macht, verkennt, daß es sich bei diesen Orten nur um die Spitze des vielzitierten Eisbergs handelt.

Nicht der Sozialpalast oder das NKZ bildet das Problem, sondern es ist die zunehmende Armut in den Berliner Innenstadtquartieren. Bereits 1995 hatte die Gesundheitsverwaltung im turnusmäßigen „Sozialstrukturatlas“ auf diese Tendenz hingewiesen – ohne daß die Öffentlichkeit darauf reagiert hätte. Erst die Aktualisierung des sozialen Datenwerks 1997, vor allem aber die Studie „Soziale Stadtentwicklung“ des Soziologen Hartmut Häußermann hat die Armut zum Thema machen können.

Es ist ein Teuelskreis der innerstädtischen Entmischung, den Stadtteile wie Neukölln, Kreuzberg, Teile von Schöneberg oder Wedding derzeit durchlaufen. Je größer die Armut, desto größer die Gewaltbereitschaft. Familien ziehen weg, die Immobilen bleiben zurück, die soziale und räumliche Polarisierung schreitet voran. Politik, die nicht nach Sündenböcken sucht, sondern nach einer Lösung der Probleme, müßte demnach dort ansetzen, wo sich nicht Wirkungen, sondern Ursachen bündeln – bei der Armut. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall, wie die Diskussion über die Aufhebung der Fehlbelegungsabgabe zeigt. Hamburg ist da weiter: Unter dem Titel „Soziale Stadtplanung“ wurden in der Hansestadt die Programme für Stadtentwicklung und Armutsbekämpfung zusammengelegt.

Auch in Berlin mehren sich die Stimmen für eine Konzentrierung der Stadtentwicklung auf Armutsbekämpfung. Bauliche Erneuerung ohne beschäftigungspolitische Maßnahmen dürfe es nicht mehr geben, fordert etwa der Stadtsoziologe Häußermann. Und selbst Stadtentwicklungssenator Peter Strieder schlägt nun vor, nicht mehr nur den Bau von Eigenheimen, sondern auch Wohnumfeldmaßnahmen zu subventionieren.

Doch mit solchen Maßnahmen allein wird man die Debatte um Armut und Kriminalität nicht vom Kopf auf die Füße stellen können. Da bedürfte es schon einer konzertierten Aktion aller beteiligten Senatsverwaltungen sowie der Bewohner selbst. Ein Programm „Soziale Stadtentwicklung“, wie es Hartmut Häußermann vorschlägt, müßte – neben der Stärkung des sozialen Zusammenhalts – nicht nur Mittel etwa für den Abriß der Vorbauten am NKZ bereithalten, sondern darüber hinaus auch arbeitsmarktpolitische Möglichkeiten, daß arbeitslose Jugendliche aus dem Kiez für diesen Abriß mit bezahlter Arbeit beauftragt werden.

Wenn der Senat auf seiner „Innenstadtkonferenz“ dagegen weiter auf die Priorität der Kriminalitäts- statt der Armutsbekämpfung setzt, könnte dies leicht die letzte Konferenz zum Thema Innenstadt sein. Dann nämlich müßte man – nimmt man Stimmanns Wort von der versauten Stadt ernst – nicht nur das NKZ, sondern ganz Kreuzberg abreißen. Uwe Rada

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