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Schlechtes Leben, gute Zeitung

Fast möchte man meinen, es gibt ein gutes Leben im falschen. Nicht rund um die Uhr, aber immerhin am Frühstückstisch oder beim Glas Wein nach Feierabend. Und fast möchte es einen mit Stolz erfüllen, für dieses gute Frühstücks- und Feierabendleben im Falschen zu arbeiten. Seine Name: taz, die tageszeitung.

Seit 1992 arbeite ich in der taz. Das war nicht immer einfach, aber niemals hatte ich das Gefühl, mich und meine Überzeugung zu verkaufen. Im Gegenteil: Nach sechs Jahren kann ich immerhin sagen: Ich habe die Themen, für die ich stehe, mehr bestimmt, als daß die taz mich bestimmt hätte. Das ist nicht wenig für einen, dem die Suche nach politischen Alternativen jenseits des real existierenden Kapitalismus wichtiger als die alternative Ankunft in der rheinischen Republik.

Was zahlreiche Auseinandersetzungen in der taz nicht geschafft haben und auch keine Bundeswehranzeige schaffen wird, scheint nun freilich einem Teil der taz-Leser zu gelingen: Ich frage mich, ob ich noch am richtigen Ort bin. Wenn ich die Abo-Kündigungen durchsehe, drängt sich mir die Frage geradezu auf, wo, vor allem aber wann der kündigende Teil der Leserschaft die von der taz eingeforderte Moral so überaus konsequent auslebt? Am Frühstückstisch? Nach dem Abendbrot? Oder auch tagtäglich, am Arbeitsplatz?

Meiner Phantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt. Da versorgen sich Beamte, Architekten, Grafiker, Lehrer und auch Journalisten frühmorgens mit der Tagesportion am guten Leben, um hernach im schlechten für die alltäglichen Pirouetten gewappnet zu sein – um Werbeanzeigen für die Daimler-Tochter zu gestalten oder seinen Job dadurch zu legitimieren, daß ein anderer alles noch schlechter machen würde. Eine wahrhaft postmoderne Moral wäre das, weil eine beliebige. Wer die taz als Projektionsfläche für das eigene schlechte Gewissen mißbraucht, sollte eigentlich über mehr nachdenken als über eine Bundeswehranzeige. Was ist schon Realsatire gegen das gute Leben im falschen? Uwe Rada

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