: „Es gab bei ihm nur Turner, sonst nichts“
„Ein Roter werde ich nicht“: Turnerwehren fanden sich bei der 48er Revolution mittenmang, und Friedrich Ludwig Jahn wurde in die Paulskirche gewählt, aber eigentlich war dem monarchistischen Turnvater die Republik suspekt ■ Von Martin Krauß
Damit sein Anliegen auch ja unmißverständlich ist, schrieb Friedrich Ludwig Jahn, genannt der „Turnvater“, in seiner 1816 erschienen „Deutschen Turnkunst“ klare Sätze: „Alle Erziehung ist aber nichtig und eitel, die den Zögling in dem öden Elend wahngeschaffener Weltbürgerlichkeit als Irrwisch schweifen lässet, und nicht im Vaterlande heimisch macht.“ Wenn das Nichtige aber eintrat, half nur noch eins: „Wer wider die Deutsche Sache und Sprache freventlich thut oder verächtlich handelt, mit Worten oder Werken, heimlich wie öffentlich – der soll erst ermahnt, dann gewarnt, und so er von seinem undeutschen Thun und Treiben nicht ablässet, vor jedermann vom Turnplatz verwiesen werden.“
Im Jahr 1811 hatte Jahn (1778 bis 1852) zusammen mit Getreuen in der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz der Welt errichtet. Damit machte sich der Gymnasiallehrer aber nicht lächerlich, nein, er zog die Staatsmacht auf sich. Jahns „vaterländisches Turnen“ galt nämlich als aristokratenfeindlich. „Er duldete nichts, was irgend auf den Unterschied der Geburt, des Standes, des Vermögens und der Religion Bezug hatte“, schrieb die Zeitgenossin Wilhelmine von Chezy, deren Brüder bei Jahn antraten, „es gab bei ihm nur Turner, sonst nichts.“ Einen Bezug auf christliche Religion brauchte es allerdings trotzdem. Die Juden bezeichnete Jahn einmal als zu den „ohne Volkstum taube(n) Völker(n)“ zählend.
Der Turnvater hatte in den ersten Jahren durchaus Erfolg. Einer seiner Mitstreiter, Berlins General-Lotteriedirektor Johann J.W. Bornemann, schrieb in der zweiten Ausgabe seines „Lehrbuchs der von Friedrich Ludwig Jahn unter dem Namen Turnkunst wiedererweckten Gymnastik“ (1814) zufrieden, daß ein Eingriff in sein Werk, wie noch zwei Jahre zuvor, nicht zu befürchten war: „Nicht einmal dem Worte Deutsch – wie z.B. ,Deutsche Jugend, alte Deutsche Zeit, Deutsche Redlichkeit und Treue‘ – vermochte die Censur damals ein Räumchen darin zu vergönnen. Anders ist das jetzt.“ Der Kronprinz, die Generäle Blücher und von Boyen, Oberbürgermeister Büsching und der Polizeipräsident La Coy kamen in die Hasenheide, um sich Jahns Turnriegen anzuschauen. Sein Wirken fand auch Aufnahme bei den moderner gesonnenen Preußen. General Gneisenau wies Staatskanzler Hardenberg an, Jahn „für seine patriotische Gesinnung und für sein Aufregen anderer zum gleichen Zwecke zu belohnen“. Jahn erhielt eine Staatspension von zunächst 500, später 1.000 Talern.
Jahns „Aufregen“ erregte nur bis 1819 staatlichen Zuspruch. Dann wurde er wegen seiner Verbindungen zu dem Burschenschaftler Karl Sand, der den konservativen Schriftsteller August von Kotzebue ermordet hatte, in der Festung Spandau inhaftiert, später in Küstrin. Auf Betreiben des Schriftstellers und Kammergerichtsrats E.T.A. Hoffmann wurde er zwar 1820 aus der Haft entlassen, aber mußte bis 1825 in der Festung Kolberg leben. Auch nach seiner Entlassung durfte er weder Berlin noch irgendeine andere deutsche Universitätsstadt betreten. Er zog nach Freyburg an der Unstrut, doch auch dort schickte man ihn bald wieder weg.
1848, als es mit Jahns deutscher Sache endlich losging, gehörte der Turnvater schon nicht mehr so recht dazu. Er wurde zwar in die Frankfurter Paulskirchenversammlung gewählt, hatte aber dort keinerlei Einfluß. Sogar aus seiner geliebten Turnbewegung zog er sich zurück: „Ich bin zur Veränderung zu alt und zu fest“, schrieb er 1848 an radikaldemokratische Turner in Limburg an der Lahn. „Ein Roter werde ich nicht. Meine Gesinnung gebe ich nicht auf – aber, um niemandem hinderlich zu sein, allen Verkehr mit den Turngemeinden. Die gebe ich auf.“ In einem anderen Brief wetterte der Monarchist Jahn gegen die bürgerlichen Turner: „Die Republik selbst ist ein wahngeschaffenes Trugbild.“
Auf die Turnbewegung hatte Jahn spätestens nach 1842 keinen Einfluß mehr. Deren Idee, das Heer durch Turnerwehren zu ergänzen, wurde zwar nie realisiert, aber die Turner, freilich nicht alle, waren bei der 48er Revolution mittenmang dabei. Die auffallendste Gruppe waren sie freilich nie: Beim Heckerputsch 1848 kamen sie erst spät hinzu, einen etwas größeren Anteil hatten sie 1849 beim Kampf für die Reichsverfassung in der Rheinpfalz, und auch beim badischen Aufstand griffen Turnereinheiten in die Kämpfe ein.
Friedrich Ludwig Jahn erlebte diese Zeit passiv in Freyburg an der Unstrut, wo er 1852 starb. Nachdem man ihn in der Paulskirche ausgelacht hatte, war er nicht mehr öffentlich aufgetreten.
Ein großer Teil der Turner ging nach dem Scheitern der Revolution in die USA, wo viele „Turner Clubs“ entstanden. Das Turnen in Deutschland verstand sich fortan als unpolitisch und war wieder bei Jahn angelangt. „Keiner darf zur Turngemeinschaft kommen“, hatte der 1816 in der „Deutschen Turnkunst“ formuliert, „der wissentlich Verkehrer der Deutschen Volksthümlichkeit ist, und Ausländerei liebt, lobt, treibt und beschönigt.“
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