: Interpol tagt in Algerien
Die Regierung in Algier gewinnt immer mehr internationale Unterstützer beim Kampf gegen Islamisten ■ Von Reiner Wandler
Madrid (taz) – Die algerische Regierung hätte das Treffen lieber verschwiegen. „Wir werden sie zu gegebenem Zeitpunkt informieren“, hieß es von der Generaldirektion für Nationale Sicherheit (DNSG), als die Tageszeitung El Watan von der am Montag abend zu Ende gegangenen zweitägigen Interpol-Tagung in Algier erfuhr. Das wichtigste Blatt des Landes will in Erfahrung gebracht haben, daß neben Interpol-Generalsekretär Raymond Kendall zahlreiche hochrangige Anti-Terror-Spezialisten aus verschiedenen europäischen und nordafrikanischen Ländern in die algerische Hauptstadt gereist waren.
Der Inhalt der Gespräche ist unschwer zu erraten. Algier verlangt seit Jahren, daß vor allem die EU gegen algerische Islamisten vorgeht, die in den verschiedenen Mitgliedsländern Zuflucht gesucht haben. Vom Auslandssprecher der Islamischen Heilsfront (FIS), Rabah Kebir, in Deutschland bis hin zu den in Europa tätigen Waffenschieberbanden. Für die Regierung gehören sie alle gleichermaßen „zum Netz der Unterstützer des islamistischen Terrors in Algerien“.
Nach Erkenntnissen der algerischen Behörden lenken die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), denen ein Großteil der Massaker in dem nordafrikanischen Land zugeschrieben werden, ihre europäische Infrastruktur von Skandinavien und Osteuropa aus. In Großbritannien veröffentlichen die GIA ihre Zeitschrift al-Ansar. Gleichzeitig sammle die GIA in Londoner Moscheen Geld. Von Frankreich, Italien und Spanien aus würden damit gekaufte Waffen und gefälschte Papiere verschoben. Die Verhaftung von acht mutmaßlichen GIA-Terroristen in Brüssel Anfang des Monats und die Aushebung zweier GIA-Unterstützergruppen vergangenes Jahr in Spanien werden in Algier als Beweise für die Steuerung des algerischen Terrorismus von Europa aus herangezogen.
Der Westen habe sich endlich zu einer „neuen Sichtweise der algerischen Krise“ durchgerungen, verkündet Außenminister Ahmad Attaf. Vor allem die letzten hochrangigen Staatsbesuche stimmten ihn optimistisch. Ob der US- Staatssekretär für den Nahen Osten, Martin Indyk, eine Delegation des kanadischen Parlaments oder Abgeordnete aus verschiedenen europäischen Ländern, die Besucher geben sich dieser Tage in Algier die Klinke in die Hand. Machte sich angesichts der Algerienreise der EU-Troika im Januar und einer Delegation des Europaparlaments wenige Wochen später noch Nervosität in der algerischen Führung breit, hat die Regierung mittlerweile eines gelernt: Die Kritik der Abgesandten in Vorabinterviews zu Hause weicht in Algerien meist gehorsamem Zuhören. Forderungen nach internationaler Untersuchung der Massaker jedenfalls wagte bisher vor Ort niemand zu stellen.
Statt dessen wird gelobt: „Die Demokratie ist noch sehr jung, aber die ersten Schritte sind meiner Ansicht nach die richtigen“, urteilte der Sprecher der kanadischen Delegation, Don Boudria, zum Abschluß seiner Reise in der vergangenen Woche. „Wir glauben auch weiterhin, daß das von Präsident Liamine Zéroual eingeleitete wirtschaftliche und politische Reformprogramm die Grundlage für eine bessere Zukunft Algeriens ist“, schloß sich US-Staatssekretär Martin Indyk wenige Tage später an und versprach die „Beteiligung der amerikanischen Unternehmen bei der Entwicklung Algeriens“.
Auf die Frage, was mit dem in den USA wegen Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz einsitzenden FIS-Sprecher Anwar Haddam geschehen solle, antworte Indyk: „Die Verurteilung des Terrorismus darf nicht nur eine theoretische Angelegenheit bleiben. Sie muß sich in die Praxis umsetzen.“ So ermutigt, bemüht sich die algerische Führung weiterhin um die Auslieferung jenes Mannes, der für die FIS 1994 zusammen mit Vertretern aller algerischen Oppositionsparteien den sogenannten Pakt von Rom unterschrieb. Darin sagte er sich im Namen seiner nach ihrem Wahlsieg 1992 von den Militärs verbotenen Organsiation ausdrücklich von der Gewalt los. Dennoch wurde er vor wenigen Tagen in Algier wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der Fida, in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
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