: Dr. Quaßler hält Volksreden
Orte der Revolution (Folge 14): Nach dem 18. März 1848 bildeten sich in Berlin verschiedene politische Klubs und unter den Linden allabendliche Debattierversammlungen ■ Von Jürgen Karwelat
Kurz nach den Ereignissen des 18./19. März gründeten sich in Berlin politische Klubs, die die Vorläufer der politischen Parteien waren. Am 23. März bildete sich der „Politische Klub“, in dem sich die radikalen Demokraten organisierten, die zum Teil auch die Monarchie ablehnten. Am 28. März fanden sich im Bahnhofsgebäude der Berlin-Potsdamer Bahn konservative Kräfte zusammen, die den „Konstitutionellen Klub“ gründeten. Ihr Losungswort bei der Gründung war: „Ordnung ohne Freiheit ist Despotie, Freiheit ohne Ordnung ist Anarchie! Nicht ohne das Volk, nichts ohne den König!“
Die Masse des Volkes, die Arbeiter, schlossen sich keiner der neu entstehenden politischen Organisationen an und waren zum Teil nur Kulisse für die Vorträge der Volksredner. Allabendlich bildeten sich Unter den Linden sogenannte Straßen-Klubs, in denen eifrig politisiert wurde.
Der Revolutionsteilnehmer Adolf Streckfuß berichtet: „Der Lindenclub – so wurden die freiwilligen und ordnungslosen, sich täglich neu bildenden und auseinanderlaufenden Versammlungen Neugieriger, die fortwährend An der Ecke der Friedrichstraße und der Linden stattfanden, genannt – war für die politische Bewegung jener Zeit nicht ohne Bedeutung; in ihm traten oft Volksredner auf, die mit schlagendem Berliner Witz die politischen Ereignisse erzählten und bekrittelten. Einer derselben, der den bezeichnenden Namen ,Linden-Müller‘ erhielt, gewann durch sein scharfes Wort bald einen großen Einfluß. Auch ,Vater Karbe‘, ein gewisser Reich u.a. wurden stehende Redner des ,Lindenklubs‘ und machten in diesem ihre Namen bekannt. Bei wichtigen Fragen verschmähten es aber auch die besten Redner des ,Politischen Klubs‘ nicht, sich unter das Volk zu mischen, um hier mit Erfolg für ihre politischen Agitationen zu wirken. Ein vorzügliches Mittel zu demselben Zweck boten den Rednern des ,Politischen Klubs‘ die Volksversammlungen, welche meist unter den Zelten abgehalten wurden. Ihr Vorsitzender war Dr. Max Schaßler, dem zwar der Berliner Witz damals seiner nicht immer ganz klaren Reden wegen den Namen ,Dr. Max Quaßler‘ gab, der sich aber doch als Präsident großer Versammlungen bewährte...
Von Ende März an wurden diese Volks-Versammlungen regelmäßig mindestens wöchentlich zweimal, mittwochs und sonntags gehalten. Die Redner des ,Politischen Klubs‘ und manche anderen Volksredner, welche gar keinem geschlossenen Verein beitraten, sprachen von der Orchestertribüne zu den immer zahlreich versammelten Zuhörern. Daß die Debatten stets sehr geordnet und besonders geistreich gewesen seien, kann man gerade nicht behaupten, trotzdem aber trugen sie wesentlich dazu bei, die politische Bewegung in Berlin zu erhalten.“
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