■ Papon-Prozeß: Frankreich tut sich schwer mit der Vergangenheit
: Mildes Strafmaß

Frankreich hat sich schwer damit getan, einen aus der Führungsschicht des eigenen Landes wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor Gericht zu bringen. Auch wenn nie ein Zweifel daran bestand, daß die Deportationen in die nationalsozialistischen Todeslager nur in Zusammenarbeit mit einheimischen Kräften möglich waren, blieben die französischen Organisatoren verschont. Sie konnten glänzende Karrieren machen und es bis an die Spitze des Budgetministeriums bringen – wie eben Maurice Papon, der für die Deportation von 1.560 Juden verantwortlich war.

Als Anfang der 90er Jahre die Zeit reif für Verfahren gegen einstige Spitzenfunktionäre von Vichy- Frankreich war und es keine Politiker der alten Generation mehr gab, die ihre schützende Hand über sie hielten, hatten die meisten von ihnen das Zeitliche gesegnet. Papon hatte das Pech der Langlebigkeit.

Sein Verfahren geriet zum längsten und vielleicht auch schmerzhaftesten der französischen Geschichte. Es zeigte in Tausenden von Details – von der „Erfassung“ sämtlicher Juden in den Präfekturen bis zu den „Transporten“ von Juden in das Zwischenlager Drancy bei Paris, das die Funktion eines Wartezimmers für Auschwitz hatte – die französische Verwicklung. Die große Gruppe der Anwälte sowie die Medien sorgten dafür, daß die Botschaft täglich an die Öffentlichkeit geriet.

Aber das Verfahren in Bordeaux hatte nicht nur aufklärende Wirkung. Es zeigte auch, daß der Vichy- Komplex immer noch nicht zu Ende ist. Daß die alten Kollaborateure auch heute noch stark sind. Und daß sie eine Unterstützung genießen, die weit über ihre eigenen Reihen hinausgeht. Das Auftreten hochdekorierter alter Resistance-Kämpfer zugunsten von Papon im Gerichtssaal, aber auch die Prozeßkritik aus den Reihen der Neogaullisten waren die stärksten Bilder für diese merkwürdigen Allianzen.

Auch das Plädoyer des Staatsanwaltes, der den Angeklagten zwar der Komplizität bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befindet, aber dennoch nur 20 Jahre Gefängnisstrafe verlangte – etwa soviel wie für bewaffneten Raubüberfall, wo es sich um vielfachen und staatlich organisierten Mord handelt –, zeigt diese Malaise. Sollten die Geschworenen in der kommenden Woche dem Antrag des Staatsanwalts auf dieses relativ milde Strafmaß folgen, stellt sich erneut die Frage, ob der Papon-Prozeß, über ein halbes Jahrhundert nach den Verbrechen, für Frankreich nicht immer noch zu früh war. Dorothea Hahn