: Kampf um die alten Privilegien
Borchert und vor allem konservative Bauern schießen gegen den EU-Agrarreformplan. Sie beharren auf dem altem System, obwohl es nur den Großbetrieben nutzt ■ Von Annette Jensen
Außerhalb Europas will eigentlich niemand EU-Milch kaufen – sie ist viel zu teuer. Dennoch geht etwa jeder zehnte Liter in den Export. Die EU subventioniert die Ausfuhr massiv: Für jedes Kilo Vollmilchpulver legt sie etwa 2 Mark drauf, und Butter wird der internationalen Kundschaft mit 3,20 Mark pro Kilo schmackhaft gemacht.
So kann es auf Dauer nicht weitergehen. Zum einen ist das System nach dem Beitritt der osteuropäischen Länder nicht mehr finanzierbar – schließlich brauchen die Neuen auch Hilfe. Zum zweiten verlangt die Welthandelsorganisation WTO, daß im nächsten Jahrtausend nach und nach Schluß gemacht wird mit der künstlichen Verbilligung. Deshalb stellte Agrarkommissar Franz Fischler am Mittwoch die zweite EU- Agrarreform in Brüssel vor.
„Die EU will die Milchpreise insgesamt senken, um die 10 Prozent auf dem Weltmarkt verkaufen zu können“, beschreibt Wolfgang Reimer, Vizechef der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL), einen zentralen Pfeiler der Reform. Damit Europas Bauern nicht sofort pleite gehen, sollen sie im Gegenzug für die 15prozentige Milchpreissenkung für jede Kuh bis zu 643 Mark Ausgleich im Jahr bekommen. Das reicht nicht, sind sich alle deutschen Bauern einig. Doch weil die Produktivität der Massentierhalter größer ist, werden sie länger durchhalten können als die kleinere Konkurrenz, vermutet Reimer. Höfesterben und Konzentrationsprozeß würden weitergehen.
Fischler wollte ursprünglich immerhin den Pegel des Milchsees konstant halten. Doch Italien und Spanien verlangten höhere Quoten. Unterstützung fanden sie bei Bundesagrarminister Jochen Borchert, der damit aber viele Milchbauern in Deutschland verärgerte, die um ihren Absatz jenseits der Alpen fürchten. Auch der konservative Deutsche Bauernverband (DBV) kritisierte gestern lautstark die Reformpläne. DBV-Chef Gerd Sonnenleiter sprach von einem chaotischen Regelwerk, das zu drastischen Einkommensverlusten führe – allein in den neuen Bundesländern fehlten künftig 1,5 Milliarden Mark. Borchert nutzt die Empörung gleich für ein anderes Herzensanliegen. Er sicherte sich die Unterstützung für die Silomais-Prämie, die Fischler abschaffen wollte. 500 Millionen Mark, 50 Prozent dieser EU-Hilfen, gehen nach Deutschland – Profiteuere sind Landwirte, die Bullen mästen oder ihre Kühe nicht auf die Weide schicken, sondern Mais anbauen und ihn an die im Stall lebenden Tiere verfüttern. Im Schnitt 700 Mark pro Hektar Mais gibt es seit 1992 aus Brüssel. Grünlandbauern aber erhalten kaum Prämien.
Biobauer Reimer hält das Anliegen, am Weltmarkt orientierte Preise herzustellen, für einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler der EU-Reform: „Wenn man nicht konkurrenzfähig ist, soll man vom Weltmarkt wegbleiben.“ Er plädiert dafür, ausschließlich für den europäischen Binnenmarkt zu produzieren. Die WTO lasse einen Schutz vor Billigimporten durchaus zu. Die jetzt geplante Milchpreissenkung aber werde die Biobauern weiter unter Druck setzen. Denn nur zwei bis drei Prozent der Verbraucher seien bereit, einen höheren Preis für Ökomilch zu bezahlen. Öffne sich die Preisschere weiter, sehe es noch schlechter aus.
Borchert will die kleinen Bauern nicht bevorzugen
Dennoch bekommt der EU-Kommissar auch Lob von seiten der Öko-Agrarier. Fischler will bei Betrieben, die mehr als 200.000 Mark Förderung aus der EU-Kasse bekommen, die Prämien pro Hektar und Tier senken. Ursprünglich hatte er vor, Subventionen für Kulturlandschaftspflege umzuverteilen und Vermarktungsinitiativen zu fördern. Auch die Kopplung der Hilfen an die Zahl der Beschäftigten stand in seinem Programm. All das liegt auch im Interesse der kleinen Landwirte. Zwar hat Fischler diese Ideen nicht gestrichen. Doch er sieht offenbar keine Chance, sie EU-weit verbindlich durchzusetzen. So sollen viele Maßnahmen jetzt ins Ermessen der nationalen Regierungen gestellt werden.
Und da sieht es für die deutschen Ökobauern nicht gerade gut aus. Denn Landwirtschaftsminister Jochen Borchert hat vorwiegend das Interesse der Großagrarier im Blick. Die Möglichkeit, Betrieben mit wenig Personal geringere Zuschüsse auszuzahlen, ist ihm ebenso zuwider wie die Orientierung der Kuhprämie an einem „unproduktiven“ EU-Durchschnittsvieh. Die Koppelung von EU-Ausgleichszahlungen an Umweltauflagen findet Borchert ungerecht: Die im Rahmen der „Agenda 2000“ vorgesehenen Zahlungen seien ein Ausgleich für Preissenkungen. Zusätzliche Auflagen, wie Landschaftsschutz, müßten auch extra bezahlt werden.
Unbedingt ändern will der deutsche Agrarminister auch die Begrenzung bestimmter Ausgleichsmaßnahmen auf Höfe mit weniger als 90 Tieren. „Das bestraft die Produktiven“, so Ulrich Maaß vom Agrarministerium. Deutschland werde durch die Agenda 2000 noch mehr belastet als bisher: 1,2 Milliarden Mark zusätzlich solle man nach Brüssel überweisen, vor allem für Osteuropa.
So sei das Werk völlig unakzeptabel, resümiert Borchert. Notfalls will er ein Veto einlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen