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Erfundene Traditionen und real existierende Konflikte

■ Deutsche und Amerikaner stritten auf der „New Traditions“-Konferenz über die Rolle der Türkei. Doch an Amerikas Vormachtstellung ändert Europas neues Selbstbewußtsein wenig

Der Titel war nicht schlecht gewählt. „New Traditions“ sollte die deutsch-amerikanische Konferenz stiften, zu der sich am Freitag deutsche und amerikanische Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft im Kronprinzenpalais traf. Die scheinbar widersprüchliche Formulierung nahm die nicht ganz neue Erkenntnis auf, daß Traditionen nicht von Natur aus vorhanden, sondern von den Nachgeborenen für ihre Zwecke „erfunden“ sind. „Geschichte ist keine Sache der Vergangenheit“, sagte der stellvertretende amerikanische Außenminister Strobe Talbott.

Die „alten“ Traditionen, auf die sich der Titel bezog, sahen die Veranstalter ebenso in Amerikas Rolle als Besatzungsmacht bis 1994 wie im Exodus der zumeist jüdischen deutschen Geistesgrößen nach Amerika in den dreißiger Jahren. Einen Teil ihres Geistes soll die neue American Academy nach Berlin zurückholen, die ab Herbst in ihrem Haus am Wannsee amerikanische Künstler und Wissenschaftler beherbergen will.

„Geistige Führung im nächsten Jahrhundert“, lautete das elitäre Thema der Konferenz, doch schon bei der Eröffnungsrede des deutschen Außenministers war es mit dem Feinsinnigen vorbei. „Was ist los mit den Deutschen?“ schwäbelte Klaus Kinkel, „das ist derzeit die Mutter aller Fragen“. Diese „sehr eloquenten“ Ausführungen Kinkels bezeichnete Talbott als „wegweisende Rede“, Holbrooke sprach von einem „sehr wichtigen Statement“.

Als es zur Sache ging, war es mit den Höflichkeiten aber vorbei. Vor allem Wolfgang Schäuble demonstrierte ein neues europäisches Selbstbewußtsein. „Die Amerikaner müssen lernen, uns als Partner zu begreifen“, mahnte der Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion. Keinesfalls mochte er dem amerikanischen Drängen auf einen EU-Beitritt der Türkei nachgeben. Die Aufnahme von Ländern, „die nur teilweise zu Europa gehören“, gefährdeten die Identität der EU. „Das wird für Europa zu viel“, sagte er. Von deutscher Seite monierte allein Weizsäcker, daß die deutsche Haltung gegenüber der Türkei „ungeheuer stark von der Innenpolitik geprägt“ sei.

Wie wenig Schäubles forsches Verlangen nach einem „stärkeren Europa“ der Realität entspricht, zeigte nicht nur seine eigene Klage, in der Irak-Krise seien die Europäer nicht „in einer seriösen Weise konsultiert worden“. Für das Gebiet der Wissenschaft machte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft deutlich, wie asymmetrisch die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind. „Die Führung liegt bei den USA, und sie wird dort bleiben“, sagte Hubert Markl. Er empfahl, Englisch als „zweite Muttersprache“ zu behandeln.

Der Verleger Michael Naumann warnte hingegen vor einem „Totalitarismus“ der globalen Unterhaltungsbranche. Auch der Filmregisseur Volker Schlöndorff mahnte zum Erhalt kultureller Differenz. Die American Academy etwa sei ein Ort für Künstler, „die nicht beanspruchen, globale Märkte erobern zu können“. Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher hingegen übte sanfte Kritik am Konzept der Akademie. Menschliche Begegnungen auf breiter Basis seien besser als „ausgeklügelte Programme, die nur ganz wenigen zugute kommen“. Ralph Bollmann

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