: „Meine Waffe ist das Theater“
Vor zwei Wochen wurde die indonesische Schauspielerin Ratna Sarumpaet in Jakarta verhaftet. Sie hatte eine Konferenz von Oppositionellen organisiert. Und zuvor ein Theaterstück über die ermordete Arbeiteraktivistin Marsinah produziert. Im Januar besuchte sie ■ Rüdiger Siebert
Ein Stadtviertel mitten in Jakarta, ein Kampung. Kampung Melayu Kecil. Im Gang V Nr. 24 ist es morgens wie ausgestorben – offene Türen, zaghaftes Klopfen, kein Echo. Ich dringe in einen rückwärtigen Anbau ein. Halbdunkel. Dann bemerke ich ein für ein solches Viertel einfacher Leute ungewöhnliches Requisit: ein Podest, eine kleine Bühne. Es riecht nach Theater. Hier muß sie sein: Ratna Sarumpaet. Schauspielerin, Autorin, Stimme der Marsinah. Eine Frau aus dem Batakland, am 16. Juli 1949 geboren. Sie war Protestantin und trat über zum Islam. Eigentlich hat sie Architektur studiert.
Ich treffe Ratna Sarumpaet schließlich im benachbarten Wohnhaus. Sie wirkt zierlich und doch auf merkwürdige Weise robust, überzeugt von ihrer Sache. Eine Frau mit Ausstrahlung. An den Wänden farbige Theaterplakate. Szenenfotos. Bücherregale. Ein Klavier. Ein paar Korbsessel. Wir hocken uns trotzdem ebenerdig auf einen Teppich mit ägyptischen Mustern. Ein junges Mädchen bringt Tee. Ratna breitet Zeitungsartikel aus. Bündelweise. Auf vielen Fotos ist Ratna zu sehen. Ratna als Marsinah. Die Hände verzweifelt zum Kopf erhoben, das Gesicht schmerzvoll verzerrt, hervortretend die Backenknochen, die Augen geschlossen. Eine Frau am Abgrund, verfolgt, auf ungeheuerliche Weise allein gelassen.
Die tatsächliche Marsinah arbeitete bis zu ihrem Tode im Alter von 23 Jahren in einer Uhrenfabrik in der Nähe von Surabaya. Eine Fabrik, in der solche Uhren gemacht wurden, deren Zifferblätter für Markenprodukte oder für Politiker werben, Geschenke, die die Freundschaft der oberen Zehntausend erhalten sollen. Von Geschenken an die unteren Millionen war nie die Rede. Da gingen die Uhren stets beträchtlich nach.
Bei einem Streik Anfang 1993 machte sich Marsinah zur Sprecherin ihrer Kollegen. Sie war nicht einmal besonders politisch aktiv, keine Heldin, nur etwas mutiger als die anderen, etwas wortgewandter. Nachdem einige Arbeiter verhaftet worden waren, erkundigte sich Marsinah bei der örtlichen Militärbehörde nach deren Schicksal. Marsinah wurde nicht mehr lebend gesehen. Ihre Leiche wurde am 4. Mai 1993 in einem Wald unweit des Dorfes Nganjuk gefunden, etwa 200 Kilometer von ihrem Wohnort Porong entfernt. Marsinah war gewürgt, geschlagen und vergewaltigt worden. Die Ermittlungen der Polizei wurden vom Militär abgeblockt. Amnesty international schreibt in seinem Indonesienreport: „Nach monatelangen Recherchen unter Mitwirkung verschiedener nichtstaatlicher Organisationen gelangte das ebenfalls regierungsunabhängige Rechtshilfeinstitut LBH im März 1994 zu der Schlußfolgerung, daß Marsinah mit hoher Wahrscheinlichkeit im Hauptquartier von KODIM (Distrikt-Kommandantur) getötet worden ist und die letzte Verantwortung für den Mord die obere Hierarchie der Militärbehörden trifft.“
Bei einem juristisch höchst fragwürdigen Prozeß waren Chef und Mitarbeiter der Uhrenfabrik zu Freiheitsstrafen verurteilt worden; nur ein Militär hatte sich zu verantworten. Auf welch wackeligem Boden die Urteile ausgesprochen wurden, zeigte sich auch daran: Im November 1994 wurde der Besitzer der Uhrenfabrik, der zu 17 Jahren Haft verurteilt worden war, auf freien Fuß gesetzt. Der Fall Marsinah wurde zum Fanal. Ihr Tod lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit sowohl auf die Arbeitsbedingungen, die zu Streiks führen, als auch auf die brutalen Methoden der Staatsgewalt, solches Aufbegehren im Keim ersticken zu wollen. Marsinah wurde zur Märtyrerin. Den Namen und die Zusammenhänge kennen seither alle in Indonesien, die sich für Politik und Macht interessieren: Täter und Opfer gleichermaßen.
Der Name Marsinah ist zum Inbegriff der Menschenrechtsverletzungen in Indonesien geworden, ein Name, der über das individuelle Schicksal einer einzelnen Frau hinausreicht. Goenawan Mohamad, Dichter und Publizist, sagte dazu: „Marsinah repräsentiert auf doppelte Weise die Opfer in Indonesien. Zum einen als Arbeiterin, als Angehörige der marginalisierten Masse Mensch. Zum anderen als Frau, als schwächstes Mitglied der Gesellschaft, die heutzutage von ,Ramboisme‘ geprägt ist, einer von männlicher Brutalität bestimmten Gesellschaft.“
Was hat Ratna Sarumpaet gereizt, Marsinah auf die Bühne zu bringen?
„Sie hat aktiv die Interessen der Arbeiter vertreten. Das unterschied sie von anderen Arbeitern.“
Ratna antwortet bestimmt. Kämpferischer Geist aus dem Batakland schwingt mit, wo man eher als auf Java bereit ist, ja oder nein zu sagen und sich nicht ins „belum“ und „mungkin“ flüchtet, ins „noch nicht“ und „möglich“.
„Weil sie vielleicht intelligenter, kritischer und auch mutiger war, konnte Marsinah Widerstand leisten. Wegen ihres Mutes hat man sie als gefährlich eingestuft. Eines Tages wurde sie ermordet.“
Nun geben Sie Marsinah Ihre Stimme und haben den Fall zum Theaterstück gemacht: „Marsinah klagt an“. Was verbindet Sie mit der ermordeteten Arbeiterin?
„Nach dem Mord habe ich 1993 bereits ein Stück mit dem Titel ,Marsinah – ein Lied aus dem Untergrund‘ geschrieben. Es wurde in Jakarta, Bandung, Solo und 1997 sogar in Irland während der International Women Playwrite Conference aufgeführt. Als die Aufklärung des Mordes immer weiter verschleppt wurde, packte mich die Wut. Ich wußte genau, daß der Ablauf der Ermittlungen in Sachen Marsinah voller Lügen und Manipulationen war. Dabei wurden viele Menschen des Mordes an Marsinah beschuldigt, gefoltert und zu Geständnissen gezwungen, daß sie Marsinah umgebracht haben. Doch dann wurden sie alle freigesprochen. Bis heute wissen wir nicht, wer Marsinah wirklich ermordet hat.“
Ratna kann impulsiv sein, aufbrausend, spontan. Ich hatte von der Geschichte mit einem Foto gehört. Es zeigt sie bei einem Empfang mit Suharto. Sogenannte Freunde ließen den Abzug auf Plakatformat vergrößern. Sehr zum Mißvergnügen der Ratna Sarumpaet. Sie zerriß öffentlich das abgelichtete Nebeneinander von Präsident und Schauspielerin. Darauf wurde sie vom Militär zum Verhör befohlen. Es heißt, sie habe sich wortgewandt verteidigt und den Herren mit den Sternen letztlich sogar imponiert. Deshalb hat sie wohl auch die Kraft, einer toten Marsinah ihre Stimme zu geben. Ratna befragte Marsinahs Verwandte, Freunde, Kollegen und auch Journalisten, die ihren Fall recherchierten, um herauszufinden, wer war diese junge Frau, was dachte, träumte, wünschte sie.
„Also, ich war sehr wütend. Diese Wut hat mein neues Stück inspiriert. Innerhalb von drei Tagen habe ich einen Monolog geschrieben, ,Marsinah klagt an‘. In diesem Stück gebe ich Marsinah gewissermaßen die Gelegenheit, über sich selbst und über ihr Leben damals zu sprechen und auch darüber, wie sie jetzt, nach ihrem Tod, sich selbst und die Lage der Nation sieht.“
Das hören aber die Herren der Macht gar nicht gern.
„Ja, in Jakarta konnte ich mit meiner Truppe auftreten. In Surabaya, in dessen Nähe Marsinah gearbeitet und die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen vertreten hat, haben die Machthaber die Aufführung verboten – und zwar auf sehr brutale Weise, ganz so, als ob sie Angst vor etwas hätten. Durch dieses Vorgehen habe ich den Eindruck, daß sie den Fall Marsinah totschweigen wollen, weil sie darin verwickelt waren. Auch in Bandung griff die Polizei ein und stoppte die Aufführung kurz vor dem Beginn.
Denken Sie an den Journalisten Udin in Yogyakarta, der über Manipulation und Korruption lokaler Machthaber berichtete. Er wurde ebenfalls ermordet. Auch bei diesen Ermittlungen wurde gefälscht, vertuscht, betrogen. Es wurden Beschuldigte präsentiert, die freigesprochen werden mußten. Auch in diesem Fall wissen wir nicht, wer die Mörder sind. Deshalb ist es so wichtig, über Marsinah zu reden. Wir haben nicht viele Möglichkeiten, uns zu wehren und Kritik zu äußern, dies ist meine Art, gegen Unrecht zu kämpfen. Meine einzige Waffe ist das Theater.“
Wie reagiert das Publikum?
„Meine Aufführungen waren überall ausverkauft. Ich bekomme deutliche Zustimmung, weil ich als Marsinah den Mut habe, offen zu reden. Meine Stücke behandeln stets soziale Probleme. Die meisten Menschen hier haben bisher geschwiegen, obwohl sie den tatsächlichen Sachverhalt kannten und als Bürger das Recht haben, Kritik zu üben.“
Nun hat sich die wirtschaftliche Situation noch wesentlich verschlechtert, wenn Sie die mit den Jahren vergleichen, da Marsinah ermordet wurde.
„Ja, die einfachen Menschen müssen noch mehr leiden. In solcher Situation darf man die Probleme nicht totschweigen. Wenn die Menschen wütend sind, weil sie Hunger haben, sollte man das Hungerproblem lösen und nicht das Problem totschweigen mit allen Mitteln der Macht.“
Ratna lebt in einem städtischen Kampung und nicht in einem Elfenbeinturm. Das Theater bleibt für sie das einzige Medium, mit dem sie ihre Sehnsüchte artikulieren könne, sagt sie. Wenn sie denn von den Mächtigen im Lande gewaltsam daran gehindert werde, ihre Wahrheitssuche fortzusetzen, so komme dies ihrem Todestag gleich.
In den früheren Jahren war der Dichter und Dramaturg Rendra mit seinem Bengel Teater, seiner Theater-Werkstatt, der im Inland umstrittenste und im Ausland berühmteste Theaterkünstler Indonesiens. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm und seiner Darstellungsform?
„Es gibt Unterschiede. Rendra erwähnt in seinen Stücken keine aktuellen Fälle. Früher verfügte Rendra über gute rhetorische Fähigkeiten, er hatte eine Vision und schuf Dichtung.“ Sie spricht kühl und ausdrücklich in der Vergangenheitsform: „Ich aber beziehe mich immer auf reale Probleme und Personen. Deshalb hält mich die Regierung für gefährlicher als Rendra.“
Ratna Sarumpaet vertraut auf das freie Wort in einem Land, in dem Männer das Sagen haben, freie Worte unterdrücken, verfolgen und einsperren. Alles wird mit Geld geregelt.
Wie bewerten Sie die zeitgenössische Literatur in Indonesien?
„Aus der Geschichte lernen wir, daß gerade in Ländern mit starker Repression sich die Literatur in protestierender Abwehr gut entwickelt. Aber in Indonesien ist dies nicht der Fall. Das macht mich sehr traurig. Wir haben zwei furchtbare Erfahrungen durchmachen müssen. Die Affäre vom 30. September 1965, die zum Sturz Sukarnos und zur Machtübernahme Suhartos führte. Und die Zeit danach, die ,Neue Ordnung‘.“
„Dennoch ist aus beiden Erfahrungen keine brillante literarische Arbeit entstanden. Vielleicht weil der PEN-Indonesien nichts tut, um die Interessen der Literaten zu verteidigen. Ein Beispiel: Als meine Marsinah-Aufführung verboten wurde, hätte der PEN dagegen protestieren können. Ich hatte dabei ja keine Möglichkeit mehr, meine Meinung zu äußern. Der PEN schwieg. Übrigens: Der Vorsitzende des PEN-Indonesien heißt Rendra.“
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