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"Arbeit, keine Almosen"

■ Orte der Revolution (Folge 16): Arbeitslose belagern das Haus des Arbeitsministers und das Rathaus. Im Revolutionsjahr gab es bereits etwa tausend öffentlich finanzierte Jobs für Arbeitslose

Schon vor den März-Ereignissen hatte sich der Berliner Magistrat gezwungen gesehen, für die Arbeitslosen öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen zu ergreifen. Anfang 1848 waren etwa 300 Erwerbslose mit „Kultur- und Wegearbeiten“ im Wedding beschäftigt. Wegen der Massenentlassungen in zahlreichen Gewerbezweigen der Stadt beschloß die Stadtverordnetenversammlung am 16. März 1848 unter dem Eindruck der allgemeinen politischen Unruhe die Schaffung weiterer 530 öffentlich finanzierter Arbeitsplätze.

Die Notstandsarbeiter wurden nach der sozialen Bedürftigkeit ausgesucht. Etwa danach, ob sie verheiratet waren oder für eine Familie mit Kindern zu sorgen hatten. Ende Mai wurden 3.000 Arbeiter auf Rechnung der Staatskasse und weitere 2.500 auf Kosten des Magistrats angestellt. Sie waren meist mit Erdarbeiten, beim Bau des Berlin-Spandauer-Schiffahrtskanals, in den Rehbergen, Treptow oder Rummelsburg beschäftigt. Ende Mai versuchte der Magistrat, bei seinen Arbeitern eine neue Lohnordnung durchzusetzen und die Akkordarbeit einzuführen. Dem widersetzte sich ein Teil der Arbeiter. Als Folge dieses Arbeitskampfes wurden viele Arbeiter entlassen.

Der Chronist Adolf Streckfuß berichtet über die Ereignisse vor dem Sitz des Arbeitsministers von Patow an der heutigen Kreuzung von Leipziger Straße und Breite Straße, also in der Nähe der Fischerinsel: „Es befanden sich in dieser Zeit ohnehin viele brotlose Arbeiter in Berlin. Jetzt kamen noch die vom Magistrat entlassenen hinzu sowie die von den Staatsarbeiten aus dem gleichen Grunde wie von dem Magistrat verabschiedeten. Die Arbeiter, welche sich in ihrem Recht gekränkt glaubten, zogen in Scharen durch die Straßen und umlagerten das Rathaus, um stürmisch Arbeit zu verlangen. Auch am 30. Mai hatten sich mehrere hundert Arbeiter vor dem Rathaus versammelt, um kategorisch Arbeit zu fordern, wenn sie nicht verhungern oder nicht zum Äußersten getrieben werden sollten. Es war ihnen ausweichend geantwortet worden, und sie zogen nun in einem langen Zuge mit Fahnen am Nachmittag gegen 5 Uhr vor die Wohnung des Arbeitsministers Herrn von Patow, um bei diesem ihre Forderungen zu erneuern.

Etwa 700 bis 800 Arbeiter hatten sich versammelt, welche bald durch hinzuströmende Neugierige zu einem Haufen von mehreren tausend Menschen verstärkt wurden. Sie schickten einige Abgeordnete zu Herrn von Patow, welche die Zusicherung einer sofortigen Arbeit verlangen sollten. Diese zu bewilligen, war dem Minister natürlich nicht möglich, so sehr er auch durch die drohend um seine Wohnung stehenden Haufen bedroht wurde. Er suchte den Zorn der Arbeiter zu beschwichtigen, indem er ihnen ein Almosen von 20 Talern anbot, aber ohne seinen Zweck zu erreichen, denn höhnisch wurde dies Almosen zurückgewiesen. „Wir sind keine Bettler, wir sind freie Arbeiter, wir wollen keine Almosen, sondern Arbeit“, so riefen die Versammelten, welche durch das Anerbieten des Ministers beleidigt waren.

Je länger die Verhandlungen dauerten, um so drohender wurden die Reden der vor dem Hause stehenden Arbeiter. Herr von Patow sah sich veranlaßt, seine Haustür zu schließen, um die Massen von dem Eindringen ins Haus abzuhalten. Aber dies war ein unrichtiges Mittel, denn kaum waren die Türen verschlossen, so ergriffen einige kräftige Arbeiter eine auf der Straße liegende Bohle, um das Tor einzurennen, welches ihnen gleich darauf wieder geöffnet wurde.“

Schließlich wurde den Arbeitern eine Beschäftigung innerhalb von drei Tagen versprochen. Die Belagerung des Hauses wurde aufgegeben, als ihnen der Minister pro Kopf ein „Darlehen“ von zehn Silbergroschen aushändigte, das sie zurückzahlen sollten, „wenn sie wieder Arbeit hätten“. Jürgen Karwelat

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