: „Bloß nicht resignieren“
■ Bremer Flüchtlinge fürchten um ihre Existenz / Neues Gesetz soll ihnen von einem Tag auf den anderen die Sozialhilfe entziehen / Treffen im Flüchtlingsheim
Die Männer stehen vor verschlossener Tür. Das Café „Kontrabaß“in Lesum hat dichtgemacht – einfach so. Weil sich das Geschäft nicht mehr lohnte auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft an der Peenemünder Straße in Lesum. „Wer kauft denn noch hier bei knapp 300 Mark Sozialhilfe im Monat?“, fragt die Flüchtlingsbetreuerin Ilka Eggemann und schließt für heute ein letztes Mal die Cafétür auf. Der Anlaß: Ein Infotreffen für die Bewohner vor Ort, um Gegenwehr zu organisieren – weil viele von ihnen bald gar kein Geld mehr vom Sozialamt bekommen sollen.
Ein neuer Gesetzesentwurf (vgl.Kasten) sieht vor, geduldeten Flüchtlingen in Deutschland von einem Tag auf den anderen die Sozialhilfe zu entziehen. Viele, die jetzt im Café auf den schwarzen Stühlen sitzen, wissen noch nichts Genaues. Jetzt hören sie von Thomas Pörschke vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), was auf sie zukommt. Daß dann jeder von der Willkür einzelner Sozialamtsmitarbeiter abhängig ist. Weil im Gesetz lediglich steht, daß die Leistungen auf das „unabdingbare Maß“zurückgeschraubt werden sollen. „Der eine bekommt dann noch Geld“, vermutet Flüchtlingsbetreuerin Ilka Eggemann, „der andere nur noch eine Fahrkarte und ein Butterbrot für die Ausreise.“Wer betroffen ist, müßte sich also in Zukunft auf jeden Fall einen Rechtsanwalt suchen.
Fakten, die im Café „Kontrabaß“erstmal für betretene Mienen sorgen. Fast 60 der rund 120 auf dem ehemaligen Kasernengelände lebenden Flüchtlinge sitzen da und schweigen. Hinter ihnen hängt ein Plakat an der Wand: „Die Deutschen tun es wieder“. Dann bricht es aus einem heraus: „Wir haben keine Heimat, keine Arbeit und kein Geld mehr. Sollen wir jetzt auf dem Bahnhof schlafen?“„Wir werden alle in der Kriminalität landen“, skandiert ein anderer – und läuft ganz plötzlich mit versteinertem Gesicht hinaus. Durch das Fenster sieht man Kinder auf der Straße spielen, an der die länglichen Kasernen-Wohnblöcke liegen.
Was soll man auch tun, wenn man aus einem Land wie der 18jährige Saidu Kamar kommt? In Sierra Leone herrscht Bürgerkrieg – und deshalb ist er nach Deutschland gekommen. Nicht, weil er als Wirtschaftsflüchtling Sozialhilfe abzocken will. Doch sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Jetzt ist er nur noch „geduldet“, weil in seinem Land momentan Terror herrscht. Mit seinen 350 Mark Sozialhilfe im Monat kann er nur zu Aldi gehen. In der Peenemünder Straße lebt er zu zweit in einem Zimmer. Zu dem neuen Gesetz zuckt er mit den Schultern: „Ich weiß auch nicht, was ich dann machen soll.“Denn wenn das Gesetz kommt, „bleibt für ihn nur die Ausreise“, erklärt Danja Schönhöfer von der Bremer Flüchtlingsinitiative. „So will der Staat Leute aus dem Land bekommen, die er mit dem Ausländerrecht nicht packen kann – weil sie eigentlich legal hier geduldet sind.“
Trotzdem endet das Treffen im „Kontrabaß“mit einem hoffnungsfrohen Appell: Bloß nicht resignieren sollten sie jetzt, sondern gemeinsam etwas tun, sagt Danja von der Flüchtlingsini. Zum Beispiel mit Parlamentariern ins Gespräch kommen. Oder sich mit öffentlichen Aufrufen oder gar Demos eine öffentliche Lobby suchen. Das Gesetz könne man wohl jetzt nicht mehr verhindern, sagt Thomas Pörschke vom ASB. Doch noch sein „Spielraum da“, meint er.
Der Gesetzesentwurf habe nämlich so seine Tücken: Die Einzelfallprüfung verursache hohen Verwaltungsaufwand in den Behörden. Außerdem verstoße das Gesetz gegen Sozialstaatsprinzipien und sei wegen seiner schwammigen Begriffe zum Beispiel zu den „Hindernissen einer freiwilligen Ausreise“auch rechtlich angreifbar. Darauf hatten auch die Grünen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände bundesweit hingewiesen. „Wir bauen hier noch keine Suppenküchen auf“, gibt Pörschke den Flüchtlingen mit auf den Weg und kündigt ein weiteres Treffen an.
Aber da steht der Mann aus dem Kosovo, der im Saal die ganze Zeit geschwiegen hat, schon verloren draußen vor der Cafétür. Er zieht ein Papier aus der Tasche und zeigt auf einen Paragraphen: „Ist das das neue Gesetz?“, fragt er verständnislos und erzählt von seinen zehn Kindern, von den nur knapp 1.000 Mark Sozialhilfe im Monat für die ganze Familie und von den wütenden Serben im Kosovo. Und daß er dahin „auf jeden Fall nicht zurück kann.“Katja Ubben
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