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Die „coolen“ Stasi-Mitarbeiter im Westen

Die erste Studie über die „Westarbeit“ der Staatssicherheit offenbart Doppelmoral bei der Bewertung von Spitzelei in Ost und West. Die Stasi wollte politischen Einfluß und glaubte ihrer eigenen Feindpropaganda  ■ Aus Berlin Christian Semler

Hubertus Knabe war seit seiner Jugend im Visier der Stasi. Wo immer der engagierte Freund und Helfer ostmitteleuropäischer Demokraten seine Brötchen verdiente, ob als Pressesprecher der Bremer Grünen oder als Studienleiter der Evangelischen Akademie, der Stasi-Igel war schon da und machte ihm nach Kräften das Leben schwer. Dies war die biographische Antriebsfeder für Knabes Unternehmen, die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Bundesrepublik quasi aus der Vogelperspektive zu rekonstruieren.

Einer solchen Arbeit standen hohe Barrieren im Weg. Ein Teil der Akten, insbesondere die der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), ist vernichtet, so daß den in der BRD eingesetzten „Hauptamtlichen“ oder Inoffiziellen Mitarbeitern (über die Jahre insgesamt 20.000, von denen heute immerhin 6.000 bekannt sind) der Faktor X hinzugefügt werden muß. Ferner mischten an der „unsichtbaren Front“ fast alle Hauptabteilungen des Ministeriums mit, so daß die Akten entsprechend verstreut sind. Die Richtlinien der MfS-Oberen sind zwar instruktiv bezüglich der Hauptaufgabe, der „Schwächung des imperialistischen Systems der BRD“. Aber sie enthalten kaum realistische Selbsteinschätzungen, geschweige denn Erfolgskontrollen.

Knabe weist überzeugend nach, daß die Stasi-Arbeit in der BRD keinesfalls mit der üblichen Tätigkeit von Nachrichtendiensten – der Informationsbeschaffung und der Konterspionage – verwechselt werden darf. Vielmehr ging es um politische Einflußnahme mit geheimdienstlichen Mitteln: Fälschungen, Desinformation, Plazierung von Einflußagenten. Knabe schildert solche Operationen über zwei Jahrzehnte hinweg, von der Fabrikation des „KZ-Baumeisters“ Lübke über Einflußnahmen auf die APO Ende der 60er Jahre bis hin zur erfolgreichen Infiltrierung von Teilen der Friedensbewegung in der 80er Jahren.

Was aber letztlich die massiven Anstrengungen des MfS in der Bundesrepublik bewirkten, ist sehr schwer abschätzbar. Die Stasi ersoff in den von ihr zusammengetragenen Materialien, und sie beging den unverzeihlichen Fehler, an ihre eigene Feindpropaganda zu glauben. So wurden unendliche Anstrengungen in die Aufgabe investiert, hinter der manifesten die eigentliche Wirklichkeit aufzudecken – und die war nach Meinung der SED stets bestimmt von den Kriegsvorbereitungen des westdeutschen Klassenfeindes.

Die Untersuchung Knabes und seiner Mitarbeiter arbeitet Strukturen und Funktionsweisen heraus, ganz im Stil der westlichen Forschung über die Geheimdienste, die hierzulande allerdings noch in den Anfängen steckt. Es fallen keine neuen Namen, die Büchse der Pandora bleibt geschlossen. Aber sie kann sich jederzeit wieder öffnen, wenn MfS-sensible Institutionen im Westen, wenn Kirchen, Universitätsinstitute, Stiftungen, Gewerkschaften, Parteien und Verbände Überprüfungsanträge bei der Gauck-Behörde stellen sollten.

Zwar herrscht kein Mangel an Forschungsanträgen über die Westarbeit des MfS (es sind derer über hundert), aber gerade Institutionen, bei denen sich die Überprüfung aufdrängt, wie das Mannheimer Institut des Doppelagenten Dietrich Staritz, das Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin oder die Friedrich-Ebert- Stiftung, zeigen sich hartleibig gegenüber solch einer Zumutung.

Joachim Gauck, der die Präsentation von Knabes Buch einleitete, erkennnt darin eine eigentümliche Schieflage, ein moralisches Gefälle zwischen Ost und West. Der Osten gilt als Land der Spitzel, im Westen hingegen gab es „nur“ Landesverrat und Spionage. Solche Tätigkeiten aber werden nicht als verächtlich angesehen. Sie sind und bleiben „cool“. Für diese unterschiedliche Wertung ist nicht zuletzt die progressive Herkunft vieler Zuträger des MfS verantwortlich, ihr Irrglaube an den Mythos von der antifaschistischen DDR.

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