■ Die Grünen haben sich in ihre angestammte Nische abdrängen lassen, doch die Ökologie hat für die Wähler ihre Bedeutung verloren
: Die Grünen in der Ökofalle

Erbarmen mit den Grünen! Jahrelang wurden sie als Shootingstars hofiert, nun schießen sie nur noch Eigentore. Die Tausendsassas der deutschen Politik, die gleichermaßen auf rot-grünen Hochzeiten tanzten, das liberale Erbe für sich reklamierten und wertkonservativ mit den Christdemokraten kokettierten, sind in den Brunnen der Systemopposition zurückgefallen, randvoll gefüllt mit fünf Mark teurem Benzin. Nun haben sie zu schlucken an ihrem edlen Gesöff. Das launische Publikum, das sie noch vor kurzem ob ihrer Regierungstauglichkeit feierte, wendet sich spottend ab.

Einst gegen Helmut Schmidt siegreich angetreten, lebten die Grünen über Jahre im erhabenen Gefühl einer Überlegenheit, die sich weniger aus eigener programmatischer Stärke als vielmehr aus der Zerissenheit der Sozialdemokratie speiste. Nun, da die SPD wieder Wehnersche Geschlossenheit zeigt, offenbaren die Grünen eine Streitkultur von jungsozialistischem Format. Wen wundert's da, daß ihnen Schröder den Platz zuweist, den er selbst bei Schmidt einnehmen mußte. Über Monate galten die Grünen als Garanten eines rot-grünen Regierungsbündnisses, nun gewinnt Schröder, was ihnen verloren geht. Allenfalls als mindere Charge werden sie noch gehandelt, und manchen beschleicht die ängstliche Frage, ob sie überhaupt noch eine Rolle spielen werden. Die Angst wird zur Gewißheit, wenn die Partei in Sachsen- Anhalt ihre letzte parlamentarische Präsenz im Osten verlieren sollte. Dann werden die Grünen wieder zu der Halbpartei, als die sie bereits vor Jahren mühsam überlebten. Noch gelten sie als die dritte politische Kraft, doch diese Kraft kann schnell schwinden. Die Hälfte der Grünen-Wähler wären auch der SPD zugeneigt. Noch vor wenigen Monaten fragten die Gralshüter grüner Gewißheiten, ob es denn lohne zu regieren. Nun lautet die Gegenfrage, ob sie es denn schaffen.

An einer Regierungsbeteiligung wird sich für die Grünen das politische Weiterleben weit stärker entscheiden, als sie es zur Zeit wahrhaben wollen. Die Partei kann zwar auch weitere vier Jahre in der Opposition absolvieren, doch wird es ihr dann kaum gelingen, sich aus der Stagnation zu befreien, in der sie sich befindet.

Es ist eine Stagnation, die in der Kontroverse um den Benzinpreis ihren sinnfälligen Ausdruck gefunden hat. Es ist die Stagnation einer Single-Issue-Partei, welche die Ökologie in Stellung bringt gegen eine ganze Reihe legitimer gesellschaftlicher Interessen. Zwar setzt auch grüne Umweltpolitik auf Produktionssteuerung via Kostenfaktoren, allein, es dominiert die Restriktion vor der Innovation. Fünf Mark Benzinpreis, das ist Umwelt-, aber keine Wirtschaftspolitik. Wäre es Wirtschaftspolitik, hätte der Kostenfaktor mit dieser Entschiedenheit gar nicht formuliert werden können. Er wäre Variable eines Prozesses gewesen, über dessen Verlauf in zehn Jahren seriöserweise kaum gesicherte Aussagen getroffen werden können. Und so verbirgt sich hinter einem vermeintlichen Kommunikationsproblem ein Politikverständnis, welches der Wähler erahnt, der sich verschreckt abwendet.

Zwar haben die Grünen sich auch Kompetenz auf den Feldern der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik erarbeitet, doch ist dieses Profil blaß geblieben. Die Konzepte sind brauchbar, doch zu groß ist die Kompetenzüberschneidung mit den anderen Parteien, zu sehr sind die Grünen auf Abgrenzung bedacht, als daß sie genügend Gewicht darauf gelegt hätten. Die Grünen sitzen in den Umweltministerien, sie bestimmen die Schlagzeilen, wenn sie Flora und Fauna machtvoll verteidigen. Das prägt die öffentliche Wahrnehmung. Die Folie, auf der sie ansonsten beurteilt werden, ist vornehmlich die eigene programmatische Entwicklung.

Diese öffentliche Kompetenzzuschreibung deckt sich mit dem politischen Selbstverständnis eines Großteils der grünen Basis. Dieses Profil erweist sich als Falle angesichts einer Wählerschaft, die den ökologischen Themen immer weniger Bedeutung zumißt. In der Gesellschaft hat sich Zukunftsangst breitgemacht, deren zurückhaltender Impetus im augenfälligen Widerspruch zu den allseits eingklagten grundlegenden Veränderungen steht. Eine gesellschaftliche Mehrheit für Rot-Grün wird in diesem Wahljahr nicht zu gewinnen sein. Erhielten beide Parteien die politische Mehrheit, hätten sie allerdings aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat einen optimalen Handlungsrahmen, die Gesellschaft für ihre Ziele zu mobilisieren. Nichts wäre naheliegender und nichts hoffnungsloser, als daß sich die Grünen dabei wieder auf das ökologische Segment einschränkten. Auch das Bestreben, das klassisch bürgerrechtliche Erbe der Liberalen anzutreten, wird kaum Massenzuspruch hervorrufen.

Weniger die Verteidigung der Interessen der einzelnen gegenüber dem Staat als vielmehr die Sicherung der materiellen Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe wird die bürgerrechtlich vordringliche Aufgabe der kommenden Jahre sein. Die deutsche Demokratie der letzten Jahrzehnte war eine Zugewinngemeinschaft. Dieser Umstand war unausgesprochene Grundlage auch grüner Programmatik. Aus dem Wachstum hat die Gesellschaft eine Stabilität geschöpft, die in dem Maße brüchig wird, in dem sich das Erreichbare im Erreichten erschöpft und dieses für viele bereits das biographische Optimum bedeutet. Unter diesen Bedingungen werden die Sicherung des sozialen Grundlevels und die Teilhabe am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß zu einer existentiellen Frage für die Demokratie. Darauf wird ein Staat zu antworten haben, dessen Orientierungsrahmen zunehmend transnational sein wird.

Auf dieses Problem wird es eine sozialdemokratische Antwort geben.

Entweder eine großkoalitionäre, deren Programm der Erhalt des Rheinischen Kapitalismus, eine neue Feinjustierung der überkommenen, staatlich organisierten sozialen Sicherungssysteme wäre. Das Profil dieser Koalition wäre so sozialdemokratisch wie Norbert Blüm.

Oder eine rot-grüne, die das rheinische Modell modernisiert, die den einzelnen in die Lage versetzt, seine Existenz und seine gesellschaftliche Teilhabe selbst zu sichern. Die Divergenzen zwischen beiden Optionen erscheinen gering. Es liegt an den Grünen, sie deutlich zu machen. Etwas Besseres als Norbert Blüm dürfte die SPD aus eigener Kraft kaum zustande bringen. Dazu bedarf es schon der Grünen. Dieter Rulff