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Sozialdemokrat Böger wollte „Bussis“ verteilen

■ Große Koalition in Berlin beschließt mit Zweidrittelmehrheit die Reduzierung der Bezirke

Berlin (taz) – Die Große Koalition in der Hauptstadt hat sich am Donnerstag abend bewiesen, daß sie eine Existenzberechtigung hat. Glückstrahlende Männer konnten sich nach einer gewonnenen Abstimmung zur Reduzierung der Berliner Bezirke deshalb im Plenarsaal des Landesparlamentes auf die Schultern klopfen und stolz in die Kameras grinsen. Der sonst so steife Fraktionschef der mitregierenden SozialdemokratInnen, Klaus Böger, gab zu: „Ich bin tief erleichtert, heute könnte ich auch Bussis verteilen.“

Jahre mußte die Große Koalition aus SPD und CDU ringen, um die Reform ihrer Verwaltungsstrukturen in ein Modell zu gießen; gegen fundamentale Widerstände in den eigenen Parteien. Kiezgefühl und Bezirkssouveränität sind in der Hauptstadt anerkanntermaßen ein hohes Gut. Am Donnerstag abend dann wurde die Verfassungsänderung mit einer knapp erreichten Zweidrittelmehrheit beschlossen. Künftig sind es nur noch halb so viele Bezirke, das Parlament wird kleiner, die Landesregierung um zwei SenatorInnen gekappt und die Verwaltung insgesammt ausgefegt.

SPD und CDU hatten die Legitimation der Großen Koalition auf drei Stützpfeiler gebaut: die Fusion mit dem Bundesland Brandenburg, die Haushaltskonsolidierung und die Verwaltungsreform. Ersteres platzte bereits vor zwei Jahren, zweiteres droht gerade in Stillstand zu geraten. Blieb noch die Reform. Und um die zu garantieren, bearbeiteten die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD ihre abtrünnigen Abgeordneten, die gegen die Reform stimmen wollten, bis zu letzten Minute. Aus Fraktionsdisziplin wurde Fraktionszwang – dem sich nur zwei Abgeordnete der SPD zu widersetzen wagten, obwohl die Reformgegner in der Union stärker vertreten waren.

In Berlin ticken die Uhren nun künftig anders – zumindest in der Kommunalpolitik. Wo die Berliner Schnauze bislang in den dreiundzwanzig einzelnen Bezirken Kiezmentalität zur Schau stellen konnte, wo sich in den Bezirken Nischen wie das alternative Kreuzberg oder die Mischung vom Prenzlauer Berg entwickeln konnten, dort entstehen jetzt bunt zusammengelegt zwölf Bezirke. Zwölf Bezirke, die jeweils die Größe einer mittleren Großstadt erreichen.

1920 hatten die Stadtväter aus acht Städten, 59 Gemeinden und 27 Gutsbezirken das Gebilde Großberlin geschaffen und damit die Grundlage für den wirtschaftlichen und politischen Aufschwung der deutschen Hauptstadt gelegt. Heute, 78 Jahre später, haben sich SozialdemokratInnen und ChristdemokratInnen vorgenommen, den Kraftakt ihrer Vorgänger aus der Weimarer Republik auf moderne Art zu wiederholen.

Eine Verschlankung des Verwaltungsapparats und damit verbunden eine Reduzierung der Verwaltungskosten ist ein großes Ziel dieser als „Jahrhundertwerk“ titulierten Reform. Der schlanke kommunale Staat ist jedoch nur Element des Reformvorhabens. Mit dem Abbau der Verwaltungsstrukturen sollen zugleich Entscheidungswege in der Hauptstadt ausgemistet und damit – auch wenn das aufgrund von Bezirksempfindlichkeiten keiner zugeben mag – zentralisiert werden. Drittens tritt mit der Reform ein Effekt ein, der vielleicht nicht im Zentrum des Strebens der Berliner Koalition stand, langfristig aber eine spürbare Veränderung bedeutet: die Überwindung der völligen Separation von Ost und West.

Nur zwei Ostbezirke wachsen mit Westbezirken zusammen. Kreuzberg mit Friedrichshain, und Mitte mit Wedding und Tiergarten. Die beiden neuen Bezirke jedoch bilden das Zentrum der Stadt und von ihnen kann möglicherweise ein Impuls ausgehen, die Gräben zwischen den beiden Stadthälften zuzuschütten. 1999 soll die Reform umgesetzt werden. Barbara Junge

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