: Das Nazivermögen am Rio de la Plata
Argentinien beginnt, die Rolle deutscher Nationalsozialisten beim Aufbau von General Peróns „neuem Argentinien“ zu untersuchen. Eine Milliarde Dollar sollen die Nazis nach Argentinien gebracht haben ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher
Mindestens drei Nazikriegsverbrecher, die seit Kriegsende dort unerkannt leben, sollen sich noch immer in Argentinien aufhalten. Das zumindest glaubt die argentinische Regierung, die Mitte März ein Gericht zur Festnahme von Fridolin Guth, Friedrich Rauch und Erich Müller aufforderte.
Fridolin Guth soll im von Nazitruppen besetzten Frankreich Mitglieder der Résistance gejagt haben, Friedrich Rauch wurde als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS ausgemacht, und Erich Müller sei im Propagandaministerium von Joseph Goebbels mit besonderen Aufgaben betraut gewesen. Diese Vermutungen stützen sich auf Informationen einer von der Regierung eingerichteten Untersuchungskommission, die die Aktivitäten deutscher Nationalsozialisten in Argentinien erforscht.
Das Land am Rio de la Plata war ein beliebtes Fluchtziel für Nazis. Im Februar 1945 wandte sich der US-Finanzminister Henry Morgenthau besorgt an seine Kollegen: „Neue Berichte deuten eindeutig darauf hin, daß Argentinien nicht nur ein mögliches Fluchtland für Nazi-Verbrecher ist, sondern auch der Brennpunkt der Finanz- und Wirtschaftsaktivitäten der Nazis war und ist“, heißt es in einem Brief Morgenthaus an die Mitglieder der US-Regierung. Am 7.April 1945 antwortete ihm die US-Botschaft in Buenos Aires: Die Diplomaten schätzen, daß die Nazis nur einen Monat vor ihrer Niederlage eine Milliarde Dollar nach Argentinien geschafft haben.
Danach seien in Versicherungsfirmen 40 Millionen Dollar, in Land- und Gutsbesitz 500 Millionen Dollar, in Banken 105 Millionen Dollar und in Handelsfirmen 500 Millionen Dollar geflossen. Außerdem, so die US-Botschaft weiter in ihrer damaligen Note, seien noch mehrere Millionen Dollar in Bargeld transferiert worden, insgesamt also knapp eine Milliarde Dollar.
Argentinien war zur Zeit des Faschismus in Deutschland ein Nazinest. Knapp 40.000 Deutsche lebten damals am Rio de la Plata, die Mehrheit von ihnen war fest auf NS-Kurs. Die argentinische NSDAP-Ortsgruppe war eine der stärksten Auslandsorganisationen der Faschisten und war als Propaganda- und Spinoagezentrale für ganz Südamerika zuständig.
Daß die Nazis in Argentinien ein sicheres Fluchtziel sahen und dem Land gegen Ende des Zweiten Weltkrieges auch ihre Geldschätze anvertrauten, war kein Zufall. Der damalige Diktator Juán Domingo Perón war ein Bewunderer Adolf Hitlers. Die in Argentinien produzierten Nazizeitungen hatten unter Perón niemals Probleme mit der Zensur, während so angesehene einheimische Blätter wie La Prensa verboten wurden – Perón hatte die Presse fest in seiner Hand. Eine der auflagestärksten deutschen Zeitungen war die Freie Presse, ihr Chefredakteur Wilfried von Oven war Pressereferent von Goebbels gewesen, gehörte zu den ersten Männern des Spiegel und war später Südamerikakorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Perón hatte einen Mann, der die Einreise der Nazis und deren Geldtransfer regelte: Der deutsch- argentinische Unternehmer Ludwig Freude war einer der Drahtzieher der Nazis in Argentinien, so jedenfalls sah es das „Blaubuch“ des US-Statedepartments im Jahr 1946. Freude lernte Perón als jungen Offizier kennen, als er mit seiner Firma eine Straße im Landesinneren baute. Mit seinem Sohn Rodolfo Freude betrieb er die Firma Araya S.A., die noch heute exisitiert. Sie hat ihren Sitz auf der traditionellen Avenida Corrientes, nur wenige Stockwerke unter den Räumen des Deutschen Clubs und über dem Goethe-Institut.
Perón hielt große Stücke auf Vater und Sohn Freude. Der noch heute lebende Rodolfo Freude bezog zur Perón-Zeit ein Büro im Regierungspalast Casa Rosada, denn der Populist wählte den deutschen Freund zu seinem Privatsekretär und ließ sich von ihm seinen Geheimdienst aufbauen. Außerdem berief er Freude in die „Nachzügler-Kommission“, deren Aufgabe darin bestand, Nazis unbeschadet und unerkannt aus Europa nach Argentinien zu schaffen. Dafür stellte die „Nachzügler-Kommission“ die logistischen Mittel zur Verfügung: Falsche Papiere wurden besorgt und auch Plätze auf Schiffen soll die Kommission besorgt haben. Und argentinische Diplomaten stellten Pässe und Visa aus, so daß die Nazis ungehindert ins Land kamen.
In der „Nachzügler-Kommission“ tummelten sich Leute wie Branko Benzon, Ex-Gesandter Kroatiens in Berlin, Pierre Daye, ein Belgier, der wegen Kollaboration mit den Nazis in Brüssel zum Tode verurteilt worden war; Jacques-Marie de Mahieu, ein französischer Rassentheoretiker und Mitglied der Waffen-SS, und Horst Fuldner, ehemaliger SS- Obersturmführer.
Es waren nicht nur Peróns Sympathien für die deutschen Faschisten, die ihn dazu veranlaßte, die Nazis mit offenen Armen zu empfangen. Er hatte auch einges mit ihnen vor, die Neuankömmlinge sollte als Fachkräfte beim Aufbau des neuen Argentiniens mit anpacken. 98 Wirtschaftsunternehmen, so wird geschätzt, wurden in den Jahren 1942 bis 1944 mit deutschem Kapital gegründet, 25 existieren noch heute unter demselben Namen. Sämtliche deutschen Firmen in Buenos Aires haben Nazigelder gewaschen – darunter auch wohlbekannte Namen wie Siemens.
Die Freudes und Perón blieben stets gute Freunde. Als Perón im Oktober 1945 für kurze Zeit aus dem Amt gescheucht wurde, um dann ab Februar 1946 noch mächtiger zurückzukommen, bot Ludwig Freude ihm und seiner Frau Evita Unterschlupf auf seiner Insel im Tigre-Delta vor Buenos Aires an. Dafür war ihm Perón ewig dankbar.
Als die US-Amerikaner die Auslieferung Freudes beantragten, beschützte Perón den Kumpanen, indem er ihn mit einem argentinischen Paß ausstattete.
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