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Schwere Kost für alte Kader

Freya Klier, Filmemacherin und DDR-Bürgerrechtlerin, geht in die Schule: Im Fortbildungsprojekt „Schulspeisung“ konfrontiert sie sächsische LehrerInnen mit DDR-Geschichte – und mit ungemütlichen Erinnerungen  ■ Aus Meißen Constanze von Bullion

Beim Mittagessen, über Krautwickeln mit Speck, kocht der Streit langsam hoch. „Der Sozialismus“, erklärt Herr B., „war im Kern in Ordnung, das bestreitet doch keiner.“ Der Dame an seiner Seite fällt fast die Gabel ins Gehackte. „Ständig dieser Blödsinn“, stöhnt sie auf, „ich kann solche Sprüche nicht mehr hören.“ Muß die Leipziger Sportlehrerin auch nicht. Ein kurzer Blickwechsel genügt, ein messerscharfes Lächeln trifft Herrn B., den Geschichtslehrer, und schon senkt sich wieder höfliches Schweigen über den Tisch. Zwei Dutzend PädagogInnen kauen im Speisesaal von Schloß Siebeneichen an deutscher Hausmannskost – und an ihrer Vergangenheit.

„Schulspeisung“ heißt das Seminar, zu dem die Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung ins idyllische Meißen geladen hat. Über den Ziegeldächern der Porzellanstadt, in einem frisch getünchten Herrenhaus, wird Zeitgeschichte vor der Wende serviert. Von einer, die als „Zeitzeugin“ der DDR angekündigt ist. Freya Klier, früher Bürgerrechtlerin und heute Filmemacherin, will über Erziehung in der DDR diskutieren. Mit einem Berufsstand, der das Streiten nie gelernt hat. „Die Lehrer im Osten“, sagt sie, „sind nachhaltig von den Denkmustern der DDR geprägt. Denen fällt es ungeheuer schwer, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.“ Etliche Pädagogen fühlten sich noch immer den Lehrmethoden und Idealen des SED-Staates verpflichtet, wählten PDS und verweigerten innerlich demokratische Ideen. „Manche“, sagt Klier, „sind genauso unbelehrbar wie die Nazi- Lehrer nach dem Krieg.“

Man kann Freya Klier für solche Sätze belächeln. Man kann ihren aufgeregten, manchmal etwas eifernden Ton anstrengend finden. Und doch wird man feststellen, daß sie in der Sache nicht ganz danebenliegt. Im Buch „Lüg Vaterland“ hat die DDR-Regisseurin und Ex-Frau des Friedensbarden Stephan Krawczyk schon 1989 das Bildungswesen der DDR zerpflückt – und an dem Grundfesten des real existierenden Sozialismus gesägt. „Die Volksbildung war für das DDR-System von zentraler Bedeutung, sie rangierte gleich hinter der Staatssicherheit“, bestätigt Uwe Hillmer vom „Forschungsverbund SED-Staat“ der FU Berlin. 1997 hat er mit Freya Klier und vier weiteren MitstreiterInnen aus Ost und West die Schulspeisung gegründet. Das Fortbildungsprojekt will DDR- PädagogInnen den Weg in die wiedervereinigte Gesellschaft ebnen.

Das klingt nach arroganten Wessis und rachedurstigen Ossis, die gestandenen Lehrern die Qualifikation absprechen. Etliche Schulleiter der neuen Länder reagieren noch immer gereizt auf den Namen Klier und leiten deren Einladungen gar nicht erst ans Kollegium weiter. Auch in den Kultusministerien hielt man anfangs wenig vom lästigen Gestochere in der Vergangenheit. Im Stolpe-Land Brandenburg lehnte die Schulministerin es rundweg ab, die kritischen Seminare zu fördern, die inzwischen vor allem von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert werden. In Thüringen und Sachsen etabliert sich die Schulspeisung langsam. Obwohl das Menü so manchem Pädagogen sauer aufstößt.

Herr B., der Geschichtslehrer, schiebt jedenfalls erst mal seine Papiere zusammen, verschränkt die Arme und lehnt sich weit zurück, als Freya Klier vor den Holztischen im Seminarraum auftaucht. An einer Eliteschule der DDR hat er früher unterrichtet, zu den Betonköpfen gehört er nicht. Sonst säße er kaum hier, zwischen meist jüngeren KollegInnen, die ähnlich skeptisch dreinschauen. Doch was kommt, klingt überraschend sachlich. Freya Klier spricht schnell, aber sehr präzise, ihren sächselnden Tonfall hat sie nie ganz abgelegt. Und daß sie die DDR meint, wenn sie „unser Land“ sagt, hellt die Mienen deutlich auf. „Ich bin eine von euch“, heißt der Geheimcode, mit dem sie fest verriegelte Türen öffnet. Die meisten hier sind aus dem Osten, nur einzelne Westlehrer sind angetreten zur Diskussion. Doch die findet vorläufig nicht statt.

Keine Fragen, keine Einwände, kein Protest: Kliers Geschichtsvortrag wird erst mal abgenickt. Den Aufbruch engagierter Reformpädagogen nach 1945, die „Zeit des demokratischen Antifaschismus“ notiert Herr B. auf seinem Zettel. Dann stockt die akkurate Schrift. Ab 1948, hört er, stülpt man Ostdeutschland die „sozialistische Pädagogik der Sowjetunion“ über, die Lehrer müssen eine „klare, parteiliche Haltung“ einnehmen, die Bildung wird „gleichgeschaltet“. Harte Repressionen gegen unangepaßte Jugendliche treiben bis 1961 Zehntausende in den Westen, „da verschwindet unsere ganze kritische Intelligenz“, erzählt Klier. „Das sind die Leute, die uns heute ungeheuer fehlen.“

Herr B. schreibt inzwischen nicht mehr mit. Daß die Besten gegangen sein sollen und nur die zweite Wahl zurückblieb, ist für die Kulturelite der DDR starker Tobak. Lehrer waren im Sozialismus hoch angesehen, weiß Uwe Hillmer von der FU Berlin, „sie haben 1990 einen empfindlichen Statusverlust erlebt“. Das mache, erzählt er in der Seminarpause, die Vergangenheitsbewältigung nicht leichter. Es ist der gesellschaftliche Abstieg, die Angst vor der Arbeitslosigkeit, vor allem aber das Gefühl, ohnehin nicht verstanden zu werden, das DDR-Pädagogen die Wende verweigern läßt.

Man macht im alten Stiefel weiter, in vielen Ost-Schulen steht die Luft. „Im Geschichtsunterricht“, erzählt Birgit Siegmann aus Thüringen, „werden wie früher Zahlen und Fakten abgefragt. Aber wie man eine Quelle kritisch analysiert oder kontrovers diskutiert, wissen die Kollegen nicht.“ Die Ex-Staatskundelehrerin mit dem feuerroten Haarschopf hat teuer dafür bezahlt, aus den geschlossenen Reihen der Ost-Lehrer auszuscheren. Als sie 1996 im Leistungskurs Geschichte die Schattenseiten des SED-Staates aufrollte, ging die Schulleiterin dazwischen. Man lasse sich „nicht die ganze DDR schlechtreden“, hieß es auch im Kollegium, das überwiegend PDS wählt. Birgit Siegmann, die sich seit einem Jahr für das Fortbildungsprojekt Schulspeisung engagiert, wurde weggemobbt. Heute unterrichtet sie nur noch wenige Stunden.

Kein Einzelfall, weiß Freya Klier, Selbstkritik sei im Osten unerwünscht, zumal in schwierigen Zeiten: „Bei den Lehrern hat das Jammern Methode, in den Schulen lebt die DDR weiter. Und die PDS sorgt dafür, daß das so bleibt.“ Die Bürgerrechtlerin hat ihren besten Feind nicht aus den Augen verloren: Stasi hieß er früher, PDS jetzt. Rund 80 Prozent der LehrerInnen Ost geben ihre Stimme heute der SED-Nachfolgerin, und das, so Klier, hält eine Öffnung der Schulen auf. Daß die „Kader von hoher Intelligenz und Skrupellosigkeit sich überall wieder geschickt plaziert haben“ und „die Demokratie bewußt unterlaufen“, sei das eine. Daß Lehrer „die DDR rosarot zeichnen“ und sich „mit ihren Lebenslügen nicht auseinandersetzen“, das andere. Und weil sie solche Sätze sagt, verweigern die LehrerInnen an ihrer alten Schule in Dresden bis heute ein Treffen mit der Klier.

Im Schloß über Meißen hat man sich zur nächsten Runde zusammengesetzt. Auch Herr B. ist inzwischen neugierig geworden, die Referentin soll aus ihrem Leben erzählen. Freya Klier ist in Dresden-Neustadt zur Schule gegangen, und als Margot Honecker 1963 die Volksbildung übernahm, hatte sie schon ein Jahr im Heim hinter sich. Der Vater galt als politisch unzuverlässig, der Bruder landete mit siebzehn Jahren im Kittchen, weil man ihn beim Tausch von Beatles-Texten erwischt hatte. Sie selbst fuhr mit achtzehn Jahren ein, ein Fluchtversuch war aufgeflogen. Das klassische DDR- Trauma also? „Um Gottes willen“, winkt sie ab, „ich war kein Opfer.“

Freya Klier wollte auf der Seite der Sieger stehen: als „glühender FDJ-Pionier“, als junge Schauspielerin, als Talent am Ostberliner Regie-Institut. Für eine Inszenierung hat sie sogar den Nationalpreis kassiert, doch da bröckelte ihr DDR-Bild längst. Wie übel ihr Schritt in die Friedensbewegung aufgenommen wurde, kann man in Kliers Tagebuch nachlesen. Wie ein gehetztes Wild notiert sie da Szenen von Kirchenauftritten, von Stasi-Beschattung und Verfolgung. „Bin nervlich runter. Habe starken Haarausfall und übergebe mich häufig“, schreibt sie Weihnachten 1987. Vier Wochen später inhaftiert man sie und schiebt sie mit Stephan Krawczyk in die Bundesrepublik ab.

Während die Referentin aus ihren Büchern und Manuskripten liest, kann man im Seminarraum eine Stecknadel fallen hören. Dann bricht eine Flut von Fragen los. Warum sie die Vergangenheit aufrühre, „wo doch so viele neue Probleme in die Schulen schwappen, die nationalistischen Tendenzen etwa“, fragt schließlich einer. Klier antwortet, als hätte sie auf den Einwand nur gewartet. „Wenn ihr mit der Vergangenheit nicht aufräumt, kommt auch in Zukunft nichts voran“, sagt sie, „und was die Skinheads machen, wurde vorher zu Hause am Abendbrottisch besprochen. Da ist bei uns der Geist ungebrochen.“

Mit einem Federstrich wird das liebgewonnene DDR-Klischee von der Völkerfreundschaft zunichte gemacht. „Die DDR war ein ausländerfreier Staat mit einem klassischen rechtsradikalen Programm“, erklärt Klier ihrem Publikum. Die Afrikaner holte man fast alle für Schwerstarbeit ins Land, Vietnamesinnen hatten zu unterschreiben, in der DDR nicht schwanger zu werden. Passierte es doch, mußten sie abtreiben oder auf eigene Kosten heimfliegen. „Die lebten in ihren Siedlungen und durften nur ganz bestimmte Kneipen besuchen. Wer im Jugendclub auftauchte, bekam eins drüber“, bestätigt eine junge Lehrerin. „Einmal“, erzählt Freya Klier, „habe ich mit einer mecklenburgischen LPG Kartoffelfest gefeiert. – Schwarzbraun ist die Haselnuß und andere Nazi-Lieder wurden da gegrölt, und jeder sang mit. Das fanden die ganz normal.“

„Stimmt“, sagt Herr B. sehr leise. Später, beim Abendessen, erinnert der Geschichtslehrer sich an die Ausländer in der Dresdener Vorwendezeit. Die Vietnamesen seien „alle angepaßt gewesen“, die Kubaner dagegen, „die haben profitiert und unsere Mädchen belästigt“. Zwischen solchen Bildern und den Sprüchen seiner kahlgeschorenen Schüler hat Herr B. bislang keinen Zusammenhang gesehen. Schon früher habe er über Politik diskutiert, und heute tue er es auch. Mit mäßigem Erfolg allerdings, meint er nachdenklich. „In meiner 9. Klasse sitzt alles voll mit Rechten. Wenn ich einen Film über Konzentrationslager zeige, behaupten die, das sei ein Spielfilm. Die sind doch alle von der NPD geschult.“

Die Wende, der Westen, die NPD: Daß nur fremdes Unheil über sie hereingebrochen ist, sehen die LehrerInnen am Ende des Seminars nicht mehr ganz so ungebrochen. Doch zwischen Demütigung und Kritik unterscheiden zu lernen braucht Zeit. „Man soll sich dauernd für die eigene Biographie entschuldigen“, bricht es aus Herrn B. heraus, „nur weil man bis jetzt durchgehalten hat.“ Klar gebe es „eine ganz persönliche Angst, die eigene Schuld zu erkennen“, räumt eine Kollegin ein. Bloß keine Selbstanklagen, warnt dagegen eine dritte, „bei Wessis muß man prinzipiell sehr vorsichtig sein“. Na dann, mault ein Kollege aus dem westfälischen Münster tief im Westen, „kann man ja gleich im eigenen Saft weiterschmoren“.

Und Freya Klier? Die kaut an einem Leberwurstbrot und freut sich. Sie fangen an zu streiten. Endlich.

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