: Seit Klaus Geyer, Pastor aus Beienrode, wegen Totschlags an seiner Frau vor Gericht steht, ist sein links-christliches Umfeld zerrissen. Die einen verlangen uneingeschränkte Solidarität mit dem engagierten Mitstreiter und Bruder im Herrn, die anderen fordern Distanzierung oder Sühne. Heute wird in Braunschweig das Urteil erwartet. Von Bascha Mika
„Einer von uns kann es nicht gewesen sein!“
Vor Gott, sagt Martin Luther, ist der Mensch zugleich gerecht und sündig. Ein Satz, den jeder evangelische Theologe sofort unterschreiben würde, der in der Praxis aber nur schwer auszuhalten ist. Seit einem dreiviertel Jahr ist die kirchliche Öffentlichkeit mit einem Fall konfrontiert, der ihr im Extremen genau das abverlangt: Sie muß sich zu einem Mann verhalten, der aus ihrer Mitte kommt und beschuldigt wird, eine der schlimmstmöglichen Sünden begangen zu haben. Seit Klaus Geyer (57), Pastor aus Beienrode, des Totschlags an seiner Frau angeklagt ist – das Urteil wird heute erwartet – ist sein links- christliches Umfeld zerrissen. Die einen fordern uneingeschränkte Solidarität mit dem Freund, Mitstreiter und leidenden Bruder, der seine Unschuld beteuert. Die anderen verlangen sofortige Distanzierung. Dritte erinnern an das Opfer, an Veronika Geyer-Iwand, deren Tod gesühnt werden müsse. Und über allem herrscht Hilflosigkeit.
„Wir treffen keine Vorverurteilung. Klaus Geyer bleibt Mitherausgeber der Jungen Kirche. Wir rechtfertigen damit nicht das gesamte Verhalten von Klaus Geyer im Zusammenhang mit dem Prozeß. Im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung wären wir neu herausgefordert.“ Vier dürre Sätze. Ein Minimalkonsens. Zu mehr konnte sich die Gesellschafterversammlung der Jungen Kirche, die kürzlich mit rund 30 Leuten in Münster tagte, nicht durchringen. Die Junge Kirche ist so etwas wie Klaus Geyers Hausblatt. Ein linke Monatszeitschrift, die in der Tradition der Bekennenden Kirche steht und sich dem Konziliaren Prozeß – Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – verpflichtet fühlt. Über Jahrzehnte war Klaus Geyer Mitherausgeber und redaktioneller Mitarbeiter der Zeitschrift.
Doch seit seiner Festnahme sorgt der Bruder in Christo für Streit. Sechs Zeilen widmete die Junge Kirche in einer ersten Stellungnahme im Juli/August 1997 dem „Schock“ dieses „grausamen Verbrechens“ und dem Verdacht gegen „unseren Mitherausgeber“ Klaus Geyer (der in der ursprünglichen Fassung des Textes noch „unser Freund und Mitherausgeber“ heißen sollte). Der Schock dauerte lange, für Monate schwieg das Blatt.
Dafür verbreitete die Kirche von Unten, eine linke Strömung in der Braunschweigischen Landeskirche, in einem Sonderheft die Gewißheit: „Die Staatsanwaltschaft konstruiert leichtfertig einen Zusammenhang zwischen der Ermordung der Ehefrau Veronika Geyer-Iwand und ihrem Ehemann Klaus Geyer.“ Ein ehemaliger Mitstreiter Klaus Geyers aus seiner Zeit bei Aktion Sühnezeichen geißelte öffentlich das Verhalten von dessen Landeskirche als „entsetzliche Heuchelei“: Wer von der Kanzel von der grenzenlosen Liebe Gottes rede, dürfe einen verdächtigen Pfarrer, wie im Fall Geyer geschehen, nicht sofort vom Dienst suspendieren.
Und in Kreuz und Quer, einem „linken, kirchlichen Magazin“, beschwerte sich der Theologe Matthias Ahrens über das Schweigen der „Szene“ und das Vertrauen in die Justiz. Niemand könne sich vorstellen, daß Pastor Klaus Geyer den Mord wirklich begangen habe, „aber öffentlich sagen tut es niemand“. Die Medienberichterstattung über den Fall bediene das Ressentiment: „Linke sind Spinner und leben in Promiskuität.“ Das würde nicht nur an Klaus Geyer hängen bleiben, sondern an allen kirchlichen Linken. „Deshalb ist unser Schweigen zum Fall und die Berichterstattung darüber nicht angemessen, sondern schädlich.“
Die Junge Kirche meldete sich in Sachen Geyer erst wieder im Oktober 1997 zu Wort. Drei Monate nach dem Tod von Veronika Geyer-Iwand bedachte sie die Ermordete mit einem Nachruf und kritisierte im Editorial die üble Behandlung des Untersuchungshäflings Geyer durch die Presse. Zwei eher nachdenkliche Stücke, doch intern kochte die Auseinandersetzung hoch.
Angeheizt wurde die Debatte unter anderem durch die LeserInnen. Einige forderten schlicht die sofortige Distanzierung von Klaus Geyer und wollten angesichts seines öffentlich gewordenen Sündenregisters von Sündenvergebung nichts mehr wissen. Ein Leser konstatierte gar wie der Oberste Richter: „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß Klaus Geyer seine Ehefrau Veronika, geborene Iwand, getötet hat.“
Pfarrer Klaus Schmidt legte unter anderem wegen der Querelen um Klaus Geyer nach mehr als 20 Jahren die Herausgeberschaft bei der Jungen Kirche nieder. Er hatte in der Redaktion die Unschuld seines Freundes uneingeschränkt verteidigt. „Ich als Protestant kann mir nicht vorstellen, daß einer, der in diesem Glauben lebt, eine solche Lüge so lange aufrechterhält“, sagte Schmidt. Und erst recht könne er sich nicht vorstellen, „daß jemand aus meinem Milieu eine Frau so gräßlich zurichtet“. Also wollte Schmidt, daß möglichst viele MitarbeiterInnen des Blattes „laut zu Protokoll geben, daß sie Klaus Geyer glauben“.
„So einen blinden Treueschwur würde ich nie leisten“, konterte die Herausgeberin und Theologieprofessorin Marie Veit. Trotzdem unterschrieb sie wie alle anderen neun HerausgeberInnen – unter ihnen die Theologin Dorothee Sölle – im Novemberheft 1997 eine Solidaritätsadresse an Klaus Geyer. Marie Veit: „Ich wollte lieber dumm dastehen, als diesen Freundesbrief nicht unterschrieben zu haben.“ Tenor des Briefes: Es sei völlig unvorstellbar, daß ein so hochgeschätzter Mensch und engagierter Christ wie Klaus Geyer eines solchen Verbrechens fähig sei. „Als Häftling der Untersuchungsanstalt muß er innerlich zerbrechen, wenn der Haft nicht bald ein Ende gesetzt wird und ihm die Möglichkeit versagt bleibt, mit seiner Familie und seinen Freunden gemeinsam sein Leben neu auf den Weg zu bringen.“ Im Editorial setzte einer der neun Herausgeber noch eins drauf: „Ich selber möchte auch zum jetzigen Zeitpunkt ohne Einschränkung erklären, daß für mich Klaus Geyer unschuldig ist.“
Nun gab es richtig Krach, an dem die Junge Kirche fast zerbrochen ist. Denn längst nicht alle aus dem Mitarbeiterkreis vertraten die naive Glaubensgewißheit: „Einer von uns kann es nicht gewesen sein!“ Die HerausgeberInnen hatten ihre Erklärung „in eigener Sache“ an der Redaktion vorbei ins Blatt gehievt. Die Mitarbeitenden fürchteten, man belaste den Verdächtigen noch zusätzlich, wenn man versuche, ihn einfach reinzuwaschen. Redakteurin Ulrike Plautz: „Wenn man sagt, weil er Freund und Mitarbeiter ist, darf er nicht schuldig sein, heißt das doch auch, wir nehmen ihn als Mensch nur an, wenn er unschuldig ist.“
Vor allem die Frauen im Kreis, die den Widerspruch zwischen links-christlichem, emanzipatorischem Anspruch und der sie umgebenden Realität täglich zu spüren bekommen, wollten Klaus Geyers Schuld nicht von vornherein ausschließen. Ulrike Plautz: „Es gibt keine Gemeinschaft der Reinen und Heiligen.“
Ähnlich denkt Johanna Linz, eine Mitarbeiterin der Zeitschrift, die aus dem kirchlichen Entwicklungsdienst kommt. „Alle Indizien, die für Klaus Geyer als Täter sprechen könnten, wurden von einigen in der Jungen Kirche einfach weggedrängt“, wundert sie sich. Daß auch ein Friedenspastor seine Frau umbringen könne, hätten vor allem die Männer aus Geyers Generation „nur ganz schwer begriffen“. Das seien Menschen, die wie der Angeklagte einen hohen moralischen und politischen Anspruch vertreten würden. „Für die würden ganze Welten zusammenstürzen, wenn Klaus Geyer schuldig wäre. Dann müßten sie ja auch an der gemeinsamen gerechten Sache zweifeln.“ Denn wenn einer wie Klaus Geyer die Sache verrate und verleugne – und das so brutal –, ziehe er auch alles, wofür er gestanden habe, mit in den Schmutz. Und Geyer erinnere seine Mitstreiter daran, wie schnell sie an ihre eigenen Grenzen stoßen könnten. Johanna Linz: „Wenn sie sich auf den theologischen Begriff des ,Scheiterns‘ beziehen würden, könnten sie vielleicht leichter damit leben, daß auch einer von uns zu so etwas fähig sein kann.“
Pastorin Christiane Dannemann wird, falls Klaus Geyer heute in Braunschweig freigesprochen wird, eine der ersten sein, die bei der Jungen Kirche eng mit ihm zusammenarbeiten. Sie rettet sich in Ambivalenz: „Dieses Urteil sagt über die Wahrheit nicht das letzte Wort. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mit dieser Unklarheit zu leben.“
Und während sich die linken Christen wegen ihres Gesinnungsgenossen Geyer fetzen und grämen, setzt die rechtslastige, evangelikale Nachrichtenagentur Idea alles daran, den Ruf des Pfarrerstandes in Gestalt des linken Sünders zu retten. Dafür erfand sie sogar einen ganz und gar neuen Verdächtigen und unterbreitete dem Gericht eine eigene Tattheorie.
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