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Studenten, organisiert euch mal schön

Sie war Keimzelle der Studentenproteste: die Kritische Uni. Anfangs ging es um die Demokratisierung der Ordinarienuniversität, gegen den „Muff von tausend Jahren“. Die Radikalisierung der Studenten politisierte bald eine ganze Generation. – Geschichte. Doch was blieb an den Unis, etwa am Otto-Suhr-Institut in Berlin? Eine kritische Prüfung  ■ Von Volker Weidermann

Und Schwan flog aus dem Fenster. Fast. Wenn nicht Götz Aly seinen Mitrevolutionären in letzter Sekunde erklärt hätte, daß der Rausschmiß eines Dekans weder Freund noch Feind als Akt emanzipatorischer Wissenschaft zu vermitteln sei.

Schauplatz Otto-Suhr-Institut. Erstes und größtes politikwissenschaftliches Seminar in Deutschland, seit Ende der fünfziger Jahre der Freien Universiät Berlin angegliedert. „Keimzelle der Studentenproteste“ von 1967 und den Jahren darauf. Juli 1971. Die „Unirevolution“ hat sich verselbständigt und mit den Jahren immer weiter radikalisiert. Professor Alexander Schwan, der anfangs glaubte, sich an die Spitze der Bewegung setzen zu können, gilt schon lange als „professioneller Konterrevolutionär“. Heute wollte er über „Theorie und Praxis der Demokratisierung als Aufgabe einer emanzipatorischen Wissenschaft“ sprechen. Doch die Studenten sind eher an der Praxis interessiert, werfen mit Farbeiern und tragen den beschmutzten Gelehrten schließlich Richtung Fenster. Er wird gerettet, aber der Schock saß wohl tief.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Studenten schon viel erreicht. Aber das genügte nicht. Der Rausch der Revolte trieb sie immer weiter voran. Die sogenannte „Drittelparität“, also gleichberechtigte Mitsprache von „Mittelbau“ und Studenten in den Fakultätsräten, hatte man am Otto-Suhr-Institut (OSI) schon sehr bald durchgesetzt. Jetzt wollte man die studentische Vollversammlung als letztes Entscheidungsgremium. Doch so weit kam es nicht. Die Revolte wurde bald Schritt um Schritt zurückgedrängt. Was blieb?

„Von den 68ern lernen heißt scheitern lernen“, ruft Christoph Schlingensief im Rahmen seines Wahlkampfprojekts 1998 im Berliner Prater aus. Stimmt das? Sind die 68er total gescheitert? Blieb auch an den Universitäten, den Keimzellen der Revolte, nichts zurück? – Institutionell in der Tat nicht viel: Selbst die drittelparitätische Mitbestimmung wurde bald darauf vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Studenten und der Mittelbau sind zwar seit jener Zeit in den Gremien vertreten. Aber die ProfessorInnen verfügen per Gesetz in jedem relevanten Gremium über die absolute Mehrheit. Trotzdem, die absolutistisch regierte Ordinarienuniversität war unwiederbringlich dahin, die Lehrpläne öffneten sich für ein breites kritisches Lehrspektrum, Studenten und Mitarbeiter vertraten selbstbewußter ihre Positionen, und nicht zuletzt wurde eine große Zahl von Universitätslehrern berufen, die kritische Wissenschaft und kritische Studenten nicht nur zuließen, sondern forderten. Gerade diese sind inzwischen allerdings oftmals ein erhebliches Trägheitsmoment an den großen Universitäten.

Jene Utopieverwalter, die jahrelang in gemeinsamem Emotionsrausch die Zukunft verklärten, erlebten die Bewältigung der Gegenwart als frustrierenden Zusammenstoß mit einer traumlosen Wirklichkeit. Das macht traurig. Und am traurigsten sind wohl jene, die ihre revolutionären Träume von der totalen freien Lehre und der Selbstorganisation auf ihre Studenten zu projizieren versuchen.

Wie oft saß man in einem OSI-Seminar beim Altmarxisten Altvater (oh, dies ewige Suffix „Alt“, das jene Generation jetzt schon seit bestimmt zehn Jahren vor sich hertragen muß; der bedauernswerte Elmar Altvater schon seit seiner Geburt) und – wartete. Nein, er wolle da nichts vorstrukturieren, die Studenten nicht bevormunden. Macht nur, macht! Organisiert euch mal schön. – Und niemand organisierte sich, niemand nahm das Seminar in die Hand. Man muß inzwischen schon über sich selber staunen, aber es saßen da wirklich manchmal vierzig StudentInnen bei Professor Altvater – und schwiegen weitgehend. Bis dann irgendwann zum Beispiel ein italienischer Student auf den Tisch haute und fragte, was diese Scheiße eigentlich soll. In Italien wär' das nicht passiert, man solle sich mal am Riemen reißen und der gute Altvater als erster. Man war erst erschrocken, dann erleichtert und organisierte sich schließlich weitgehend. Wenigstens bis zur nächsten Sitzung. Nach dem dritten Mal ging man nicht mehr hin. „Da organisier' ich mich doch lustiger zu Hause“, sagte man sich.

Bahnhofsatmosphäre – das geisteswissenschaftliche Studium an den heutigen Massen-Unis hat viel davon. Die Dozenten warten auf eigenständiges Engagement der Studenten, die Studis auf die Vorgaben ihrer Dozenten. Es ist der eigentliche Triumph des modernen Studenten, sich von diesem Wartewahn nicht erschrecken zu lassen, sich täglich immer wieder neu zu motivieren, durch diesen zähen, trägen Brei sich tätig durchzustudieren, sich Nischen zu suchen, die man vor allem immer öfter bei jungen, fast unbezahlten, aber hochmotivierten Lehrbeauftragten findet. Hier herrschen noch Interesse, Engagement, Wissensdurst. Aus alledem folgt natürlich nichts so klar wie dies: Daß die erste und einzige Forderung an eine Uni-Reform lauten muß, die lebenslange Verbeamtung der Professoren sofort abzuschaffen. Die Trägheit und Sattheit, die so viele von ihnen heute verbreiten, kann sich mit den Ordinarien aus der Zeit vor 1968 bestens messen. – Und wer Pech hat, dem erscheint in einem einzigen, entscheidenden Moment plötzlich sein ganzes Studium als Farce:

Magisterabschlußprüfung am Otto- Suhr-Institut. Prüfer ist einer jener „Alt-Achtundsechziger“, der an der heutigen taz-Ausgabe mitarbeitet. Erste Frage: „Na, worüber unterhalten wir uns denn heute?“ Man ist überrascht, hält es für eine Auflockerungsfrage und nennt seine Prüfungsthemen. Schnell stellt sich jedoch heraus, daß der Prüfer die Themen tatsächlich nicht weiß. Die Thesenblätter, die man, auf Wunsch des Prüfers, eingeschickt hatte, die die Prüfung grob vorstrukturieren sollten, hat dieser nicht einmal gesehen. Er murmelt etwas von „abgelegt“ und „zu früh geschickt“. Etwas später wird deutlich, daß er auch die Bücher, die Grundlage der Prüfung sein sollten (Themen waren der Erste Weltkrieg und politische Literatur in der BRD der fünfziger Jahre), nie gelesen hat. Und so muß man sich auf Fragen einlassen wie: „Was für eine Rolle schreiben Sie den Intellektuellen in unserer Zeit zu?“ „Wie war die Position der DDR-Intellektuellen vor 1989?“ und „Finden Sie das gut?“ Irgendwann ist auch diese Prüfung an einem vorbeigegangen. Der Prüfer schaut in die Akten: „Was hatten Sie denn sonst so für Noten? Ah, eine 1,5 zuletzt. Gut, sagen wir auch mal 1,5.“ – Ende eines Studiums.

Manchmal deliriert man sich in damalige Revolutionsphantasien hinein. Doch wenn rückblickend verklärend von „Pionierzeiten“ die Rede ist, von „Selbstexperimenten“, „Eroberungen neuer geistiger Kontinente“ und „großen gemeinschaftlichen Lebensentwürfen“, frustrieren die real existierenden Erfahrungen der jüngsten Studi-Proteste um so mehr. Das waren nur noch konservative Abwehrkämpfe. Gegen weniger Bücher in den Bibliotheken, gegen weniger Professoren, gegen Studiengebühren. Die Politik tanzt vor. Die Studenten immer mühsamer hinterdrein. Proteste als Besitzstandswahrung. Natürlich ist das unattraktiv. Als besondere Demütigung hagelte es auch noch Gratulationen und Verständnis von allen politischen Parteien. Was vor dreißig Jahren in revolutionärem Rausch erkämpft wurde, muß heute mühsamst verwaltet und verteidigt werden. Das macht überhaupt keinen Spaß. Besonders wenn man weiß, daß manches so bewahrenswert nicht ist.

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