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Ein Abkommen mit Fallstricken

Die historische Übereinkunft, die gestern in Nordirland unterzeichnet werden sollte, ist nur ein erster Schritt. Die Lösung des Konfliktes steht immer noch aus  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Daß es ein historischer Deal ist, darüber waren sich alle Beteiligten einig: Nach 22 Monaten zäher Verhandlungen wollten Nordirlands Parteien und die Regierungen in London und Dublin ihre Unterschriften unter ein Papier setzen, das der britischen Krisenprovinz Frieden bringen soll.

In dem 69seitigen Dokument des ehemaligen US-Senators George Mitchell, der die Verhandlungen geleitet hatte, geht es um drei Bereiche: die internen nordirischen Beziehungen, die gesamtirische Dimension und das Verhältnis zwischen London und Dublin. Nordirland soll zum ersten Mal seit 1974 wieder ein Regionalparlament erhalten. Die 108 Abgeordneten müssen dann eine Regierung bilden, in der alle Parteien analog zum Wahlergebnis vertreten sind. Sonderregelungen für die kleineren Parteien wie die Frauenkoalition oder die politischen Flügel der loyalistischen Organisationen wird es nicht geben. Bei den letzten Wahlen hatte man ihnen jeweils zwei Mandate geschenkt, damit sie an den Friedensverhandlungen teilnehmen konnten.

Was die gesamtirischen Institutionen betrifft, so hat die nordirische Exekutive sechs Monate Zeit, gemeinsam mit der Dubliner Regierung einen Nord-Süd-Rat einzurichten und Bereiche der Zusammenarbeit festzulegen. Versäumt sie diese Frist, wird das nordirische Parlament aufgelöst und alles bleibt beim alten. Die anglo-irischen Beziehungen werden künftig in einem „Rat der Inseln“ gepflegt, in dem neben den beiden Regierungen auch Vertreter der noch zu schaffenden Parlamente von Nordirland, Schottland und Wales sitzen werden. Experten sehen darin nicht mehr als einen Debattenzirkel, doch für die Unionisten hat er zumindest eine symbolische Bedeutung, weil er die Union Nordirlands mit Großbritannien stärkt – und darum ging es ihnen vor allem.

Die irische Regierung will die Verfassungsparagraphen, in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird, durch einen Volksentscheid abändern lassen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, daß die Menschen im Norden und Süden Irlands am 22. Mai in getrennten Referenda ihr Plazet zum Deal von gestern geben. Tun sie es, werden Ende Juni die Wahlen zur nordirischen Versammlung stattfinden. Anfang Juli soll die Regierung in Belfast ihre Arbeit aufnehmen. Spätestens dann werden Probleme auftreten. Die Unionisten haben bereits angekündigt, daß sie sich keineswegs mit Sinn Féin an einen Tisch setzen werden, solange die IRA nicht ihre Waffen herausgerückt hat — und die wird einen Teufel tun.

Theoretisch hätte auch die Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Ian Paisley, die die Verhandlungen boykottiert hat, Anrecht auf Regierungsbeteiligung. Paisley hatte vorgestern um Mitternacht versucht, mit 300 Anhängern das Verhandlungsgebäude Schloß Stormont zu stürmen. Er bezeichnete den gesamten Friedensprozeß als „faschistische Aktion“ und sagte, er sei gekommen, um „gegen den Ausverkauf Nordirlands“ zu protestieren.

Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Unionisten ihre Kernforderungen durchgesetzt haben. Sinn Féin hatte denn auch bis zum Schluß Probleme, das Mitchell-Papier abzusegnen. Die britische Regierung hat zugesagt, alle politischen Gefangenen innerhalb von zwei Jahren freizulassen, um Sinn Féin doch noch zur Unterschrift zu bewegen. Aber selbst die größten Optimisten sehen in dem Übereinkommen nur einen ersten Schritt. Bis zu einer wirklichen Lösung des Konflikts und einer Demokratisierung Nordirlands ist es noch weit.

US-Präsident Bill Clinton will sich auch ein bißchen im Erfolg sonnen. Er meldete sich gestern früh telefonisch beim Chef der Sozialdemokraten, John Hume, und kündigte einen Besuch in Nordirland an. Der soll vorsichtshalber vor den Volksentscheiden im Mai stattfinden. Man kann ja nie wissen. Kommentar Seite 4

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