: Geschichte, gestückelt
■ Cure, Zauberwürfel, Tschernobyl: Matthias von Hartz mit „Autoreverse 1.0“bei den „Jungen Hunden“auf Kampnagel
Hört die Pubertät denn niemals auf? Egal ob mit 30, 40 oder 50 – ständig brechen Identitäten zusammen, muß eine neue Biografie zusammengeflickt werden. Da kann es helfen, auf „Autoreverse“zu schalten und sich im Rückwärtslauf der eigenen Persönlichkeit zu versichern. Das jedenfalls versuchen fünf spätpubertierende Endzwanziger im Stück Autoreverse 1.0.
Drei Männer und zwei Frauen erinnern sich an ihre frühe Jugend in den Achtzigern. An Himbeereis und Zauberwürfel, Tschernobyl und die ersten CD-Player. An Musik von Pink Floyd und The Cure. An Kultfilme wie Blade Runner und Diva. Jeder erzählt von seinem eigenen Stehpult aus, spricht in sein eigenes Mikrofon private Erinnerungen übers Lieblings-Sweatshirt oder das erstmalige Verspeisen einer Frühlingsrolle. Jeder zieht ein Rollo nach dem anderen hinunter (Bühne: Ina Reuter), wenn er spricht. So individuell ihre Anekdoten zunächst erscheinen, so austauschbar werden sie dann, wenn mehrere Akteure dasselbe erzählen.
Solche Momente, in denen Geschichten zu Geschichte werden, sind die stärksten in Matthias von Hartz' Produktion für das Junge Hunde-Festival auf Kampnagel, die gleichzeitig seine Diplominszenierung am Institut für Theater, Musiktheater und Film der Uni Hamburg ist. Geht es zunächst um reine Selbstdarstellung, die selten witzig oder poetisch, meistens banal und beliebig wirkt, gewinnt das Stück, das ohne Handlung und erkennbare Dramaturgie auskommen muß, dann an Kraft, wenn die Akteure miteinander in Beziehung treten.
Da erzählt dann eine Bianca (oder Beatrice? Wer kann sich schon Namen merken), sie sei mit einem Daniel zusammengewesen. Ein anderer, der sich als Daniel vorstellt, widerspricht. Er sei Biancas Bruder. Und noch ein anderer stellt sich als Daniel vor und beteuert, er sei Biancas Bruder.
Solche Szenen, die das Spiel mit der Identität ins Absurde treiben, hat die bunte Wundertüte aus Anekdoten, Musik- und Filmschnipseln mit dem Untertitel „80er Jahre Remix“leider selten zu bieten. Sie schmeckt vorwiegend nach flockig-leichten Marshmallows, die trotz lutfiger Konsistenz ziemlich schnell satt machen. so banal sind die meisten Erinnerungen, daß sie zwar einen kurzfristigen Wiedererkennungseffekt im Publikum hervorrufen mögen, aber nicht wirklich unter die Haut gehen, geschweige denn, sich zu einem Zeitgefühl verdichten.
Karin Liebe
Weitere Vorstellungen: heute, 19.30 Uhr mit anschließendem Publikumsgespräch); Freitag, 22.30 Uhr; Sonnabend, 22.30 Uhr
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