piwik no script img

Unsichtbare Gewalt

■ Der Bremer Soziologe Gerhard Amendt über Pädophilie und Gewalt: „Ein Pädophiler weiß nicht, ob er durchdreht.“

Pädophilie kennt offene „Gewalt genauso wie die verdeckte Gewalttätigkeit“, sagt der Bremer Soziologe Professor Dr. Gerhard Amendt von der Universität Bremen. „Jede Variante ist auf ihre Weise für die Kinder schädigend.“Die ArbeitsgemeinschaftPädophilie Norddeutschland (APN) hat Amendt jetzt wegen Volksverhetzung angezeigt.

taz: Herr Amendt, Pädophile fühlen sich durch Schlagzeilen über die jüngsten Kindermorde mit brutalen Gewalttätern in einen Topf geworfen. Zu Unrecht?

Gerhard Amendt: Die Trennung zwischen den Pädophilen, die keine sichtbare Gewalt anwenden und den tatsächlichen Gewalttätern ist brisant. Ein Pädophiler weiß selbst nicht, ob er durchdreht oder nicht. Wenn man es diagnostisch sieht, weiß ein Pädophiler immer nur im Rückblick auf sein Handeln, ob er die Grenze zwischen unmittelbarer oder mittelbarer Gewalt überschritten hat. Also die Gefahr besteht schon, daß die Pädophilen diese Grenzen überschreiten. Man kennt ja auch die Aussagen gewalttätiger Pädophiler, die sagen: „Ich weiß nicht, wie es passiert ist.“

Aber Pädophile behaupten, sie würden die Kinder ohne Gewaltanwendung verführen.

Das ist die typische Argumentation von uneinsichtigen, charaktergestörten Pädophilen. Hinzu kommt, daß sich diese perverse Charakterstörung aufgrund der grenzenlos gewordenen Sexualmoral mittlerweile sogar als normales Verhalten ausgeben kann. Pädophile, die nicht unmittelbar Gewalt anwenden, berufen sich sehr geschickt darauf, daß sie den Kindern nichts antäten. Sie wissen, daß unsere Gesellschaft immer erst dann aufschreit, wenn den Kindern unmittelbar Gewalt geschieht. Dabei wird das Kind auch geschädigt, wenn keine sichtbare Gewalt angewendet wird.

Und wie sieht die unsichtbare Gewalt aus?

In der Kommunikation zwischen dem Pädophilen und dem Kind wird alles den sexuellen Wunschvorstellungen des Pädophilen unterworfen. Man muß sich das so vorstellen, daß der Pädophile über Wochen und Monate alles, was das Kind tut oder sagt, so kanalisiert, daß er dem Kind letztendlich nahelegen kann: „Schau mal, Du willst doch eigentlich nur mit meinem Genital spielen.“Auf diese Weise zwingt er die Kinder dazu, sich auf die sexuellen Wünsche einzulassen, weil sie die Zuneigung, mit der der Pädophile sie bezahlt, nicht mehr verlieren wollen.

Was hat das für Folgen?

Darüber wissen wir im Einzelfall wenig. Es hat sich aber gezeigt, daß die Betroffenen im Erwachsenenalter häufig unter Beziehungsstörungen leiden. Das muß nicht immer ein Trauma sein, aber es reicht ja auch schon, wenn jemand keine glückfähige Beziehungen aufrecht erhalten kann.

Welche Kinder sind besonders gefährdet?

Kinder, die selbstbewußt aufgewachsen sind, weisen Pädophile eher zurück, weil sie merken, daß sie nur etwas von ihnen wollen, ohne zu geben. Besonders leicht verführbar sind dagegen Kinder, die von den Eltern her keine tragenden Beziehungen erleben. Sie lassen sich dann auf die Beziehungen zu einem Pädophilen ein und zahlen den hohen Preis der frühen Sexualisierung, weil sie die Zuneigung brauchen. Das heißt, Pädophile schädigen vor allem die Kinder, die ohnehin in emotional-unstabilen Beziehungen leben. Sie nutzen diese Situation aus und tun auch noch so, als seien sie besonders hilfsbereit und liebevoll.

Pädophile brüsten sich damit, daß „ihre kleinen Freunde“ihnen auch noch als Erwachsene die Treue hielten. Widerspricht das nicht Ihrer Theorie?

Nein, im Gegenteil. Die Erfahrungen mit sexuell mißbrauchten Kindern haben gezeigt, daß die schlimmsten Schädigungen zu den größten Loyalitätskonflikten führen. Das ist auch der Grund, warum mißbrauchte Mädchen häufig zu ihren Schädigern zurückgehen.

Sie sprechen jetzt von Inzestopfern. Pädophile legen Wert darauf, daß sie keine inzestuösen Beziehungen eingehen. Sie sagen, Kinder hätten eine eigene Sexualität, die sie ausleben müßten. Erst die Reaktion der Umwelt traumatisiere das Kind.

Pädophile gehen nur scheinbar keine inzstiösen Beziehungen ein. Ein Kind erlebt seine emotionale Bindungen hauptsächlich in Beziehung zu seinen Eltern. Alle sexuellen Erfahrungen, die Kinder auch noch im Alter von 12 oder 13 Jahren mit Erwachsenen machen, richten sich unbewußt immer auf Mutter oder Vater. Erst im Alter von 14 oder 15 lösen sich diese Wünsche auf und konzentrieren sich auf eine andere Frau oder einen anderen Mann. Wer vor diesem Ablösungsprozeß sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich vornehmen läßt, stört den Ablösungsprozeß von den Eltern ganz empfindlich. Darin liegt der Kern aller Beziehungsstörungen. Deshalb ist es so wichtig, daß Schutzalter bei 14 Jahren zu belassen.

Ist Pädophilie heilbar?

Natürlich ist Pädophilie therapierbar. Aber die Erfolge sind gering, weil Pädophile nicht einsehen, was sie den Kindern angetan haben. Sie leiden nicht unter ihrem Verhalten, und sie haben auch kein Gefühl für das Leiden der Kinder. Gibt es andere Therapie-Möglichkeiten?

In Amerika schafft man den Pädophilen ein soziales Gerüst, das sie dazu anhält, sich zu beherrschen. Dazu muß der Pädophile bereit sein, keinen Kontakt zu Kindern aufzunehmen. Immer wenn der Pädophile merkt, daß er das nicht kann, muß er sich an seinen Therapeuten wenden. Man geht davon aus, daß sich ein Pädophiler kaum verändern kann. Eine Verhaltensänderung kann nur durch eine starke Strukturierung seines Alltags erreicht werden. Fragen: kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen