Pfeifkonzert gegen Stadtwerke-Chef

■ Hunderte Beschäftigte demonstrierten für Arbeitsplätze / Vorstand will Kündigungen nicht ausschließen / Gewerkschaften befürchten Massenentlassungen / Verhandlungen beginnen im Mai

Symbolträchtig prangte auf dem Lautsprecherwagen hinter Umweltsenatorin Tine Wischer (SPD) und Vorstands-Chef Gerhard Jochum die Aufschrift „Entstörungsdienst“. Die beiden waren gestern nachmittag angetreten, um hunderten empörter StadtwerkerInnen die Lage des Unternehmens darzulegen und der Unruhe im Betrieb ein Ende zu machen. Von Entstörung konnte aber keine Rede sein. Was sie ernteten, war ein gellendes Pfeifkonzert. Fast die halbe Belegschaft hatte sich vor der Firmenzentrale versammelt, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren.

Anlaß war eine Bestätigung von Jochum, bei den Stadtwerken müßten 500 bis 700 Arbeitsplätze abgebaut werden. Aus diesem Grund hatten die Gewerkschaften ÖTV und DAG eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrates einberufen und Jochum einen Fragenkatalog vorgelegt. Die Gewerkschafter befürchten zudem, daß von den neun Kraftwerksblöcken der Stadtwerke einige geschlossen und die Kapazitäten bei der Stromerzeugung auf weniger als 60 Prozent heruntergeschraubt werden. Das könnte nach Angaben des DAG-Chefs Werner Klimm weitere 500 Stellen kosten (wir berichteten).

„Diese Firmenphilosophie ist aber komplett unsinnig. Damit machen sich die Stadtwerke nur abhängig von anderen Unternehmen, wenn dann später Strom gekauft werden muß“, beschwerte sich Stefan Schoppmeyer, der im Stadtwerke-Kraftwerk Mittelsbüren arbeitet. Er hat zudem Angst, daß bei einem Kapazitätsabbau sein Arbeitsplatz zuerst gefährdet ist. Andere StadtwerkerInnen sprachen über die schlechte Stimmung im Betrieb. „Früher waren wir hier wie eine große Familie. Davon ist jetzt nichts mehr übrig geblieben“, monierte ein Netztechniker. Klimm von der DAG bezeichnete das Klima als „unter aller Kanone“. Er verglich „das soziale Verständnis des Vorstandes“gar mit dem eines „hinterindischen Wasserbüffels“, was mit allgemeinem Applaus und Gelächter quittiert wurde. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Richard Harbort warnte „vor einem Selbstmord des Unternehmens, weil man Angst vor dem Tod hat“.

Jochum selbst dementierte in seiner Ansprache an die StadtwerkerInnen, daß mehr als 1.000 Stellen gefährdet seien. Betriebsbedingte Kündigungen wollte er aber „als letzte Maßnahme“nicht ausschließen. Konkreter wurde er nicht. Er verwies auf Gespräche mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften am 5. Mai. Anschließend werde man zwei Monate lang Vorgespräche führen, um dann im Juli Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu beginnen. Zu dem Vorwurf der Belegschaft und der Gewerkschaften, der Vorstand halte bewußt Informationen über die künftige Entwicklung des Unternehmens zurück, sagte Jochum: „Wir müssen erst die Gespräche abwarten, bevor wir unser endgültiges Konzept erarbeiten. Darum kann ich jetzt noch keine konkreten Angaben machen.“

In die Aufsichtsratssitzung gingen die Gewerkschaftsvertreter schließlich mit den Forderungen, die sozialen Besitzstände sowie Haus- und Tarifverträge als auch Arbeitsplätze zu sichern. ÖTV-Chef Jan Kahmann forderte von den Arbeitgebern, ebenfalls Kosten zu übernehmen. „Der Strompreis kann auch über die Dividende gesteuert werden.“Jochum konterte mit der These, daß sich die Stadtwerke dem Preisniveau der Konkurrenz anpassen müßten. Dazu seien gewaltige Anstrengungen nötig, um gegen das neu fusionierte Unternehmen aus EWE und ÜNH im Umland bestehen zu können. Zum Redaktionsschluß dauerte die Sitzung noch an. Jens Tittmann