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Fiasko bei der Medizinerausbildung

Die Reform des Medizinstudiums steckt in der Sackgasse. Nicht nur der inhaltliche Umbau der Ärzteausbildung ist gescheitert. Auch die von Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) erwünschte Reduzierung der Studienplätze scheint unrealisierbar  ■ Von Friedrich Hansen

Manche sprechen nur noch von einem Schildbürgerstreich. Der Reform des Medizinstudiums, von Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) mit viel Energie zum Ende seiner Amtszeit ins Werk gesetzt, droht ein Fiasko. Seiner Verordnung zur ärztlichen Approbationsordnung – es handelt sich nicht um ein formelles Gesetz – muß lediglich der Bundesrat zustimmen. Doch daß es vor der Bundestagswahl noch zu einer Entscheidung in der Länderkammer kommt, wird immer unwahrscheinlicher. Zwar hat sich der federführende Gesundheitsausschuß Mitte März für den Regierungsentwurf ausgesprochen. Doch der viel renitentere Kulturausschuß des Bundesrats hat die Befassung auf seiner letzten Sitzung auf unbestimmte Zeit vertagt. Auch die Zustimmung der Finanzminister der Bundesländer ist keineswegs gesichert.

Nach jahrelanger Debatte ist nämlich der Kern der Reform in einem undurchsichtigen Wust von Kompromissen pulverisiert worden. Vom ursprünglichen Ziel, das Medizinstudium den Anforderungen der Allgemeinmedizin und den Bedürfnissen der Patienten anzupassen, ist der vorliegende Reformentwurf weit entfernt. Es gelang nicht, das Haupthindernis, nämlich die Aufspaltung des Studiums in Vorklinik und Klinik, zu beseitigen – nach wie vor wird es eine aberwitzige Trennung von Theorie und Praxis in der Medizinerausbildung geben. Wer sich dann noch die Argumente des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover und der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund einmal genauer anschaut, wird sich verwundert die Augen reiben. Beide lehnen den derzeitigen Reformkompromiß ab.

Seehofers ursprünglich recht erfolgreiche Idee war es, die Reform der Medizinerausbildung mit dem Abbau eines Fünftels der Studienplätze zu verknüpfen. Damit gelang es ihm, ein Reformbündis unter den beiden wichtigsten Interessengruppen zu schmieden: den Hochschulmedizinern des mächtigen, aber reformfeindlichen Fakultätentages einerseits und den Funktionären der ärztlichen Standesorganisationen andererseits. Beide wollen vor allem weniger Ärzte ausbilden. Die Professoren an den Universitätskliniken leiden unter der Überlast von Studierenden, und die Ärztefunktionäre wollen den Ärztenachschub wegen sinkender Einkommen begrenzen.

Doch Gesundheitsminister Seehofer gelang es eben nicht, dieser Koalition die Abschaffung von Vorklinik und Klinik abzuhandeln. Denn sie ist nach dem einhelligen Urteil der meisten Beteiligten das entscheidende Hindernis für eine inhaltliche Reform, also für eine praxisorientierte moderne Medizinerausbildung. Aber auch der Abbau von Studienplätzen scheitert an diesem Reformhindernis, glauben Fachleute von der Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen.

Die ZVS hat einmal durchgerechnt, wie sich Seehofers Reform der Medizinerausbildung tatsächlich in den Universitätsklinika auswirken würde. Vor allem, wie sich dadurch – hier liegt ja die eigentliche Kompetenz der ZVS – die Ausbildungskapazitäten verändern. Dreh- und Angelpunkt der Reform ist die Vorgabe, daß 2.000 Studienplätze wegfallen sollen. Die vorhandenen Ressourcen würden dann, so glauben bislang die Bildungspolitiker landauf und landab, den verbleibenden 8.000 Studierenden in vollem Umfang zugute kommen.

Denn der Betreuungsaufwand pro Student und damit die Qualität der Ausbildung würden angehoben. In Wahrheit, so prognostiziert die ZVS, würde sich die schon jetzt bestehende Schere zwischen Vorklinik und Klinik weiter öffnen.

Die ZVS ist nämlich aufgrund geltender Gesetze gehalten, die Studienplätze für Vorklinik und Klinik getrennt zu ermitteln. Für die vorklinische Studienphase ist die Rechnung ziemlich einfach: Wird das gesamte Lehrdeputat – die Summe der Unterrichtsstunden des Lehrkörpers in der Vorklinik – durch den Currikularen Normwert (CNW) geteilt, der den Betreuungsaufwand pro Student bezeichnet, so erhält man die Studienplatzzahl.

Die Crux besteht aber nun darin, daß der Zähler in diesem Bruch – das gesamte Lehrdeputat – gar nicht veränderbar ist und somit Seehofers Vorgaben in der Vorklinik auch nicht greifen können. Schuld daran ist geltendes Recht, das die Länder daran hindert, den notwendigen Personalabbau im Lehrkörper durchzusetzen. Kurzum: Weil von dem Hochschulpersonal niemand entlassen werden darf, können auch keine Studienplätze abgebaut werden.

Im klinischen Teil des Studiums ist das anders. Hier entscheidet die Zahl der Krankenhausbetten und die darin versorgten Patienten über die Anzahl der Studienplätze. Und hier erlauben Seehofers Vorgaben der ZVS – nur noch zwei Studenten beim Unterricht am Krankenbett –, zwanzig Prozent weniger Studienplätze vorzusehen. Damit öffnet sich die Schere im Studienplatzangebot. Nun gab es zwar diese Schere zwischen Vorklinik und Klinik, die nur durch einen gewissen Schwund von Studienabbrechern gemildert wird, auch früher schon. Sie würde aber mit einer neuen Approbationsordnung verschärft.

Das Bundesverfassungsgericht hatte aus dieser Not der unterschiedlichen Ausbildungskapazitäten Mitte der achtziger Jahre eine Tugend gemacht und den Teilstudienplatz für Mediziner erfunden. Wer einen solchen zugeteilt bekommt, ist lediglich zum Studium in der Vorklinik berechtigt. Bislang gab es bundesweit jährlich rund 400 solche Teilstudienplätze. Deren Besitzer sind Jungmediziner zweiter Klasse, denn sie befinden sich in einer Warteschleife und müssen sich während ihrer ersten Studiensemester laufend auf einen Vollstudienplatz bewerben – bis es irgendwann einmal klappt.

Die begrenzte Zahl dieser Nachzügler war bislang noch zu verkraften. Fast alle deutschen Hochschulen – ausgenommen die bayerischen – drückten dabei stets ein Auge zu und erkannten wenigstens die zuvor schon abgeleisteten Semester an. In Bayern dagegen muß das Studium noch einmal ganz von vorne begonnen werden.

Würde nun Seehofers Studienreform beschlossen, dann ist damit zu rechnen, daß 2.000 neue Teilstudienplätze hinzukommen. Auch deren Inhaber kämen in die Warteschleife und würden dann erst nach und nach für das klinische Studium zugelassen. Der Effekt wäre, daß sich an den Unikliniken wieder eine zwanzigprozentige Überlast aufbauen würde und damit die Wirkung der Reform gleich Null wäre: Die angeblich eingesparten Studierenden werden durch die Hintertür wieder eingeschleust.

Alles sieht derzeit ganz nach einem Pyrrhussieg des Fakultätentages aus, der sich über die Verteidigung seiner vorklinischen Bastionen freut. Dabei hätten sich die Verantwortlichen schon früher einmal die Frage stellen können, ob Seehofers Kalkül überhaupt aufgeht. Denn bereits 1990 gab es ein ganz ähnliches Reförmchen. Auch damals wollte man die Qualität der Medizinerausbildung verbessern und hat deshalb Studienplätze abgebaut. Aber niemand hat sich einmal die Mühe gemacht, den Erfolg dieser Aktion zu überprüfen.

Auch wegen seiner langfristigen Auswirkungen ist der derzeitige Entwurf umstritten. Denn einmal angenommen, es gelänge tatsächlich, zwanzig Prozent der Studienplätze bei den Medizinern abzubauen, käme die damit bezweckte Absenkung der Arztzahlen zur falschen Zeit. Der Studienplatzabbau würde nämlich erst im Jahr 2010 spürbar. Zu dieser Zeit jedoch, so haben die Hannoveraner Bildungsforscher des HIS ermittelt, wird eine Pensionierungswelle von Ärzten erwartet. Wenn beide Effekte zusammentreffen, könnte sogar ein Ärztemangel drohen.

Im Augenblick werden nach Berechnungen Frank Ullrich Montgomerys, Chef des Marburger Bunds, zwar jährlich nur 6.000 Ärzte – statt der etwa 10.000 tatsächlich ausgebildeten – benötigt, um den altersbedingten Schwund auszugleichen. Doch in zehn Jahren soll es schon wieder ganz anders aussehen.

Eine Reform, die diesen Namen verdient, sollte nicht mit bloßen Zahlenspielereien – Motto: Weniger Ärzte sind bessere Ärzte – ins Werk gesetzt werden. Die Unzufriedenheit mit einer Apparatemedizin nach dem Drehtürprinzip und Auseinandersetzungen über knappe Ressourcen oder ethische Dilemmata im Medizinbetrieb nehmen spürbar zu.

Nur eine durchgreifende inhaltliche Reform mit Schwerpunkten wie Allgemeinmedizin, Ethik und Qualitätsmanagement könnte dem abhelfen. Um dies zu erreichen, müßten aber vor allem mehr Allgemeinmediziner und dafür weniger Spezialisten ausgebildet werden. Bislang noch ist es umgekehrt, weil die Lehre in der Hand der Hochschulmediziner liegt. Und die sind vornehmlich an Spezialisten interessiert.

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