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„Brüder? Gesindel seid ihr!“

Am 20. April 1848 wurden die republikanischen Freischaren geschlagen. Es starben aber auch Republik und Demokratie. Die Konterrevolution siegte  ■ Aus Kadern Klaus-Peter Klingelschmitt

Hecker, Sie sind ein gescheiter Mann, aber ein Fanatiker“, konstatierte der Oberkommandierende der Bundestruppen, General Friedrich von Gagern. „Wenn die Hingabe für die Befreiung eines großen Volkes Fanatismus ist, dann mögen Sie meine Handlungsweise also bezeichnen; dann gibt es aber auch einen Fanatismus auf der anderern Seite, dem Sie dienen“, konterte Friedrich Hecker, Führer der republikanischen Freischaren. Damit ging das Parlamentieren an diesem 20. April 1848 vor Kandern zu Ende. Die Waffen sollten sprechen.

Doch der rebellische Rechtsanwalt und Abgeordnete der II. Badischen Volkskammer gab an diesem Tag keinen Schuß ab. General von Gagern schoß zuerst, dann erst die Scharfschützen der Freischärler. Gagern fiel tödlich getroffen vom Pferd. Die Soldaten aus Hessen und Württemberg, die zuvor gezögert hatten, die Gewehre auf die „deutschen Brüder“ zu richten, rückten vor und nahmen die Sensenmänner unter Beschuß. Die Bauern und Handwerker aus dem Bodenseekreis und dem Schwarzwald, die sich Hecker angeschlossen hatten, um der Republik – nach ihrer Niederlage auf dem Vorparlament – nun mit Waffengewalt zum Sieg zu verhelfen, gerieten in Panik und flüchteten. Das Scharmützel war beendet; gefallen waren General von Gagern, ein Offizier der Hessen und zehn Freischärler. Hecker entkam in die Schweiz.

Vor Kandern starb aber auch die Republik. Der Heckerzug war 1848 der letzte Versuch, die Revolution noch zu retten: vor den konstitutionellen Monarchisten. Die wurden vom Bruder von Friedrich von Gagern, Heinrich, angeführt und stellten auf dem Vorparlament die Mehrheit der zur Vorbereitung der eigentlichen Nationalversammlung nach Frankfurt geladenen „Bewegungsmänner“. Republikaner und Demokraten hatten dort vergeblich die Volksforderungen eingebracht. Als die Konstitutionellen das post-revolutionäre Deutschland tatsächlich zum Kaiserreich avancieren lassen wollten und noch nicht einmal bereit waren, per Akklamation die repressiven Karlsbader Beschlüsse von 1817 – Pressezensur und Versammlungsverbot – aufzuheben, zogen rund 70 Demokraten und Republikaner aus der Paulskirche aus. Hecker: „Jetzt war es an der Zeit, an die Stelle nutzloser Reden die Tat zu setzen.“

Der Plan war einfach: Von Konstanz aus wollten die Demokraten und Republikaner durch den Schwarzwald nach dem aufständischen Freiburg und dann nach Karlsruhe ziehen. Hecker und Struve rechneten mit „gewaltigem Zuzug“. Nach der Eroberung von Karlsruhe sollte es – mit vielleicht 30.000 entschlossenen Revolutionären unter Waffen – nach Frankfurt gehen. Doch in Konstanz schien die revolutionäre Sonne nicht mehr; es regnete. Zudem ließ die Regierung in Karlsruhe über Bürgermeister und Dorfschulzen das Gerücht verbreiten, daß Hecker und Struve die „republikanische Schilderhebung“ aufgegeben hätten. So marschierte Struve am 13. April mit 300 Bewaffneten aus Donaueschingen ab; Hecker folgten beim Abmarsch aus Konstanz gar nur 100 Anhänger.

Sieben Tage später, vor Kandern und fast vor Freiburg, waren die Heckerschen zwar schon 1.000 Mann. Doch die eigentlich angestrebte Vereinigung mit den rund 1.000 Revolutionären unter Struve und dem republikanischen Kontingent unter Sigel hatte nicht stattgefunden. Alle Boten, die zur Sammlung im Rheintal aufrufen sollten, wurden von den Bundestruppen abgefangen. Auch der Bürgerwehrführer Weißhaar von Lottstetten irrte mit rund 2.000 Bewaffneten ziellos durch den verschneiten Schwarzwald. Und im Elsaß warteten rund 10.000 kampfbereite deutsche Emigranten unter Herwegh vergeblich auf den Befehl, endlich den Rhein überschreiten zu dürfen. Wäre die Vereinigung aller republikanischen Kontingente gelungen, hätte die Republik im April 1848 tatsächlich rund 20.000 Mann unter Waffen gehabt. Und mit diesen „Massen fanatisierter Republikaner und Proletarier“, so schrieb der preußische Gesandte von Arnim seinem König nach Berlin, hätte der Volkstribun Hecker „ganz Deutschland erobern können“.

Daß es nicht dazu kam, hatten die Fürsten und die Konstitutionellen General Friedrich von Gagern zu verdanken; und der militärischen Unerfahrenheit der republikanischen Führer. Außer Sigl gab es in ihren Reihen keinen Berufssoldaten. Es war General von Gagern, der vor Kandern auch noch die letzte Hoffung der Heckerschen zunichte machte. Die Freischärler wollten die Soldaten für ihre Sache gewinnen: „Ihr seid unsere Brüder, es lebe die Freiheit, tretet in unsere Reihen.“ So riefen sie den Dragonern aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt und dem Königreich Württemberg zu. Und tatsächlich lösten sich bei den Hessen acht bis zehn Soldaten und schickten sich an, der „royalistischen Armee“ (Hecker) von der Fahne zu gehen. „Als dies bemerkt wurde, ritt Gagern vor. Die Soldaten traten in ihre Reihe zurück, nachdem er ihnen etwas zugerufen hatte“, berichtete Hecker. „Als der Stabsofficier und Gagern sahen, daß das Militär nicht recht Lust hatte anzugreifen, rief Gagern: – Was? Deutsche Brüder? Gesindel seid ihr! Blut muß fließen. – Und Gagern schoß eine Pistol – selbst auf unser Zentrum ab und kommandierte: – Feuer!“ So steht es in einem Bericht.

Am 20. April 1848 starb die Republik. Der Rest ist bekannt: Die Paulskirche mit ihrem Präsidenten Heinrich von Gagern bot dem preußischen König die deutsche Kaiserkrone an, der sie nicht haben wollte. Die Konterrevolution marschierte bereits und begrub am Ende auch die konstitutionelle Verfassung unter sich.

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