RAF erklärt sich zu Geschichte

■ Nach beinahe 28 Jahren löst sich die Rote Armee Fraktion auf – ein längst überfälliger Schritt. In ihrer Erklärung romantisiert die Guerilla den bewaffneten Kampf und bezeichnet ihre tödlichen Aktionen als Versuche der Befreiung

Die Rote Armee Fraktion hat ihre Selbstauflösung schriftlich bekannt gegeben. Heißt das: Ende gut, alles gut? „Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl ohne die Ereignise von 77 oder bei deren anderem Ausgang verlaufen wäre. Vielleicht hätte ich das Jurastudium fertig gemacht...“ 77, das war der Deutsche Herbst. Die Frage stellte sich im vergangenen Herbst Birgit Hogefeld, früheres Mitglied der Rote Armee Fraktion, bei einer tödlichen Schießerei am 27. Juni 1993 im mecklenburg-vorpommerischen Bad Kleinen festgenommen und inzwischen vom Frankfurter Oberlandesgericht wegen der Beteiligung an Attentaten der RAF zu lebenslanger Haft verurteilt.

Birgit Hogefeld war es auch, die schon während ihres Prozesses erklärte: „Heute denke ich, daß eine Selbstreflexion allerspätestens 77 hätte einsetzen müssen, anstatt in eine Auseinandersetzung RAF – Staat zu treiben, bei der die Gesellschaft, aber auch der Großteil der Linken außen vor stand. Deshalb finde ich die Aufforderung an die Illegalen, ihre Auflösung als RAF zu erklären, richtig – dieser Schritt ist lange überfällig.“

Das war Ende Oktober 1996 – doch es dauerte weitere 18 Monate, bis die Aktivisten der RAF den überfälligen Schritt am Anfang der Woche nachvollzogen – in einem achtseitigen und erschreckend oberflächlichen Schreiben.

„Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir das Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“, schreiben sie. Wirklich schon Geschichte? Der 14. Mai 1970, das war in Berlin der Tag der Befreiung von Andreas Baader, es war die erste Aktion der RAF, bei der geschossen wurde. 28 Jahre und rund 60 Tote später halten die im Untergrund schriftlich fest: Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, und „wir sind froh, Teil diese Versuchs gewesen zu sein“. Daß es ein Versuch war, den spätestens nach den ersten tödlichen Aktionen der RAF eine ganz breite Mehrheit der Bevölkerung vehement ablehnte, ficht die Autoren des in Chemnitz aufgegebenen Briefes noch immer nicht sonderlich an. Daß selbst die militante Linke, mit Ausnahme einiger antiimperialistischer Gruppen, keine inhaltlichen oder praktischen Gemeinsamkeiten mit dem bewaffneten Kampf der RAF verband, kümmert die Schreiber aus dem Untergrund wenig: „Wir haben die Konfrontation mit der Macht gewollt. Wir sind Subjekte gewesen, uns vor 27 Jahren für die RAF zu entscheiden. Wir sind Subjekt geblieben, sie heute in die Geschichte zu entlassen.“

So simpel, wie hire and fire. War da was? Der Schuß in den Hinterkopf des US-Soldaten Pimental zum Beispiel, nur weil man 1985 seinen Paß brauchte für ein Attentat gegen die US-Militärs auf dem Frankfurter Flughafengelände? Der Genickschuß, einfach in die Geschichte entlassen?

Bemerkenswert in der Erklärung ist auch folgender Satz: „Das Ergebnis kritisiert uns.“ Welches Ergebnis? Das eigene Scheitern am Ende? Die RAF konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen, ist weiter hinten im Text zu lesen. Stimmt. Doch das Aber folgt auf dem Fuß: „Aber sie hat mehr als zwei Jahrzehnte dazu beigetragen, daß es den Gedanken an Befreiung heute gibt.“

Auch das Pathos kommt am Ende des Textes nicht zu kurz: „Hinter uns liegt ein gemeinsamer Weg. Wir wünschen uns, daß wir uns alle auf den unbekannten und verschlungenen Pfaden der Befreiung zusammen mit vielen anderen wiederfinden.“ Wer wünscht mit?

Horst Herold, im Herbst 1977 als Chef des BKA mit der Verfolgung der RAF betraut, äußerte sich noch am Montag skeptisch, ob das Schreiben tatsächlich aus den Reihen der RAF kommt. Unwahrscheinlich fand er, daß sich die RAF am 20. April, ausgerechnet an Hitlers Geburtstag, auflösen sollte. Als Datum vermerkten die Absender in ihrem Schreiben aber „März 1998“ – und nur ein Exemplar der Erklärung ging am 20. April bei einer Nachrichtenagentur ein. Verschiedenen Redaktionen ging der Brief einen Tag später mit der Post zu.

Für eine Authentizität spricht vor allem die kurze Passage, in der die VerfasserInnen sich zu den noch inhaftierten RAF-Gefangenen äußern. Konstatiert wird, daß noch immer „neun frühere Militante“ in den Gefängnissen einsitzen. „Wenn auch der Kampf der Befreiung noch lange nicht vorbei ist, so ist diese Auseinandersetzung historisch geworden“, heißt es. Und weiter: „Wir unterstützen alle Bemühungen, die dazu führen, daß die Gefangenen aus dieser Auseinandersetzung aufrecht aus dem Knast kommen.“ Historisch bedeutet: vergangen, abgeschlossen. Das kann für die verbliebenen, zu lebenslanger Haft Verurteilten wichtig werden – es ist die Voraussetzung für eine mögliche Begnadigung. Wolfgang Gast