: „Ich will nicht der Landesschwule sein“
Bei der CDU in Sachsen–Anhalt macht einer „Problemchen“. Hans-Christian Knorr ist Wahlhelfer, ist schwul und hat keine Lust mehr, ein Geheimnis daraus zu machen. Doch bevor er richtig aufmuckt, will er gewählt werden ■ Aus Halle Jens Rübsam
Zugegeben, es fällt schwer. Aber stellen wir uns vor, wir sind schwul, in der CDU und machen Wahlkampf in Sachsen-Anhalt. Wir stehen früh um halb zehn in Heide-Nord, durch das Hallenser Wohngebiet weht ein fieser Wind, wir verteilen als Wahlkampfhelfer Tütchen mit Sonnenblumensamen drin und einem Werbeslogan drauf, und lassen uns von den Leuten sagen: „Die CDU? Die kann mir gestohlen bleiben!“
Wir fahren gegen Mittag mit einem Trabant und zwei Freunden von der Jungen Union in die Innenstadt. Eine Blaskapelle trompetet „Rosamunde“. Wir stellen uns neben Herrn Bergner, den CDU-Spitzenkandidaten in Sachsen-Anhalt, er trägt einen feinen Anzug, wir tragen enge, braune Lederhosen und lächeln stolz. Wir bringen wieder Faltblättchen unters Volk und packen, gegen zwei, die vielen übriggebliebenen zurück in den Werbebus.
Wir fahren weiter zur Veranstaltung der Frauen-Union. Es geht um Kinder und um Gewalt. Rita Süssmuth sitzt in der ersten Reihe. Wir fragen: „Warum können homosexuelle Paare in Deutschland keine Kinder adoptieren?“ Die Damen schauen pikiert. Wir fahren, halb vier, ins Kino 188. Thema der Diskussion: „Wer vertritt Lesben und Schwule im Land am besten?“. Auf dem Podium sitzen ein schwuler PDSler, eine junge Frau mit roter Schleife im Haar vom Neuen Forum, der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Magdeburger Landtag, er hat einen schwulen Sohn. Die Sozialministerin von der SPD ist anwesend, auch ein Pressesprecher der FDP. Der Platz ganz rechts bleibt leer. „Von der CDU ist niemand da“, sagt der Moderator. Belustigung auf dem Podium, hämisches Grinsen im Publikum. Spätestens jetzt würden wir – wären wir schwul und in der CDU und seit Januar damit beschäftigt, die Vorzüge der CDU dem Wahlvolk zu verkaufen – so richtig sauer werden auf die eigene Partei. Aber Hans-Christian Knorr, 32, wird es nicht. Er sagt: „Ich bin zu sehr verbunden mit der CDU.“
Hans-Christian Knorr gehört nicht zu den geladenen Gästen auf dem Podium im Kino 188. Er ist aus Interesse gekommen, ganz privat sozusagen, und schlägt in der ersten Sitzreihe die Beine übereinander. Neben ihm auf dem Stuhl hat er seine Markenzeichen abgelegt, den schwarz-rot-goldenen Schal mit CDU-Logo und die braune Lederjacke. Rechts liegen Zettel und Stift, die Schelte auf die CDU notiert er sorgfältig. Da kommt einiges zusammen.
Anfang des Jahres scheiterte die Änderung der Landesverfassung an der CDU. Wie in Thüringen, Brandenburg und Berlin sollte in Sachsen-Anhalt festgeschrieben werden, daß niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit hätte zusammenkommen müssen, doch die CDU blockte ab – aus „Sorge um die Stabilität des Volkes“ und weil „Ehe und Familie Priorität haben“. Das erklärt der CDU-Abgeordnete Bernhard Ritter in väterlichem Ton.
Für gewöhnlich zieht Ritter mit Sprüchen wie „Homosexualität ist eine emotionale Störung“ und „Wenn man nur will, gibt es einen Weg heraus aus der Homosexualität“ durchs Land. Ein anderer CDUler, Cornelius Nägler, sorgte im Landtag mit einem Zwischenruf für Empörung. Eine PDS-Abgeordnete hatte in einer Debatte um schwulenfeindiche Tendenzen im Land einen Lehrer mit den Worten zitiert: „Zu Hitlers Zeiten wären Homos hinter Gitter gekommen“ – Nägler reagierte mit „Richtig!“ Eine Entschuldigung steht bis heute aus.
Im Kino 188 rutscht Hans-Christian Knorr unruhig auf seinem Stuhl herum, die Redner auf dem Podium loben sich für ihre schwul- lesbische Politik in den Himmel. Als erstes Bundesland hat Sachsen-Anhalt 1997 ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Was auf Verfassungsebene scheiterte, ist zumindest auf Gesetzesebene gelungen. In fünf Einzelgesetzen wurde Gleichberechtigung für Lesben und Schwule festgeschrieben. Der Kultusminister hat die Lehrer angewiesen: Im Unterricht ist Homosexualität als eine mögliche Lebensform darzustellen. 1998 fördert die Landesregierung 27 schwul-lesbische Projekte, dafür gibt sie 192.000 Mark aus. Schon heißt es: Sachsen-Anhalt hat es nach vier Jahren rot-grüner Koalition so weit wie kein anderes Bundesland in der Homo-Politik gebracht. Alles weitere verhindert die CDU.
Das sitzt und trifft, aber Hans- Christian Knorr sagt nichts. Er blickt nur kurz zur Seite, da ist Tilo, sein Freund. Der hält zwar wenig von der CDU, ist aber aus Solidarität mitgekommen. Knorr blickt etwas unsicher nach hinten. Da ist Thomas Godenrath, der ist zwar nicht schwul, zeigt aber immerhin Präsenz als Vertreter des CDU-Kreisvorstandes. Knorr sitzt in der Mitte und überlegt, ob er jetzt was sagen soll. Hätte er das nicht schon eingangs tun müssen, als die abwesende CDU auf dem Podium hämisch belächelt wurde? Vielleicht so etwas wie: „Hier bin ich. Ein CDUler. Ein Schwuler. Knorr, Hans-Christian. Seit Mai 1989 in der CDU. Weil ich etwas verändern wollte. Weil ich die Gesellschaft mitgestalten wollte. Ich hatte doch Ideale, einen reformierten Sozialismus und so. Na ja, heute habe ich andere. Von 1990 bis 1994 war ich im Stadtrat von Halle, im Jugendhilfe- und im Innenausschuß. Ich habe nicht immer parteigemäß abgestimmt, war aber auch nicht immer als Schwuler konsequent.“
Die Geschichte von der PDS könnte Knorr noch erzählen, die im Stadtrat vor ein paar Jahren einen Antrag stellte: Man möge sich dafür einsetzen, daß ein schwuler Mann eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt. In der CDU-Fraktion beschloß man, dagegen zu stimmen. „Ich habe mich wenigstens enthalten“, könnte Knorr sich vorsichtig rechtfertigen. „Von Schwulen bin ich später gefragt worden, warum ich das gemacht habe. Sicher, wenn ich bei den Grünen gewesen wäre, hätte ich dafür gestimmt. Aber so? Es gibt eine gewisse Parteidisziplin. Ich fühle mich der Partei verpflichtet. Die CDU ist ein kleines Stück Familie für mich.“ Hätte er all das sagen sollen? Er sagt es zumindest nicht. Er schweigt, weil er nicht gegen die Parteidisziplin verstoßen will. Zermürbt sich statt dessen mit der Frage, ob er sich aufs Podium hätte setzen sollen, um die CDU zu vertreten. Die schwule CDU?
„Ich will nicht der CDU-Landesschwule sein“, sagt Hans-Christian Knorr später, auf dem Weg nach Hause. Neben seinem Freund Tilo sitzt er in einem gelben Wartburg. So unwahrscheinlich wie eine Überschwemmung in der Wüste sei es, daß die CDU mit einem offiziell schwulen Kandidaten bei Wahlen antritt, weiß Knorr. Noch immer gilt bei den Christdemokraten: Du kannst schwul sein, bitte schön, aber behalte es für dich. So halten es CDU-Spitzenmänner von Bundesminister bis Staatssekretär, so halten es Mitglieder an der Basis – letztes Jahr gab es das zweite Treffen von zwanzig schwulen Christdemokraten –, und so hat es lange Zeit auch Hans-Christian Knorr aus Halle gehalten. Geschwiegen und gerackert hat er für die Partei, die Legitimation für das eigene Schwulsein hat er sich erkauft. „Erst muß man sich Macht in der Partei erarbeiten, um zu seinem Schwulsein stehen zu können“, sagt Knorr.
Nun weiß es auch sein Kreisvorsitzender, der Herr Bönisch, der bestätigt: „Die Akzeptanz hängt vom Engagement ab.“ Allerdings gibt er zu: „In der CDU Halle ist das ein Problemchen. Bei einigen hat er damit verloren.“ Neuerdings wissen es auch Herr und Frau Bergner, die Möchtegern-Landeseltern. Christoph Bergner drückt sich deutlich aus: „Eine verfassungsrechtliche Gleichstellung von Ehe und Familie mit allen nur denkbaren Lebensformen ist für die CDU intolerabel.“ Annegret Bergner spricht von einer „schicksalhaften Veranlagung, für die man Verständnis aufbringen muß“. Das hat seine Grenzen an der Rathaustür.
1999 will Hans-Christian Knorr bei den Kommunalwahlen antreten. Offen schwulen Wahlkampf machen für die CDU? Nein, nein. Herr Bönisch, der freundliche Kreisvorsitzende, hat schon abgewunken: Schwul zu sein, das sei kein politischer Inhalt. Auch Tilo, Knorrs Freund, war wenig begeistert von der Idee. Er befürchtet Anfeindungen. Da hat Knorr selbst zurückgesteckt. Was für eine Politik soll er den Schwulen und Lesben auch verkaufen?
Bei der Wahl, die am Sonntag in Sachsen-Anhalt stattfindet, gehört das Homo-Thema ohnhein der rot- grünen Koalition. Manchmal hat Hans-Christian Knorr an der Lederjacke die rote Aidsschleife haften, doch nur Parteifreunde fragen noch, was die bedeuten soll. Er klärt dann er auf, erzählt auch vom eigenem Schwulsein. Aber für gewöhnlich ist er mit ganz anderen Sachen beschäftigt: DirektkandidatInnen von früh bis abends unterstützen, Prospekte verteilen, Taktiken austüfteln, wie man beim Kohl-Besuch ein Trillerpfeifen- Konzert verhindert. Eine Woche Urlaub hat Hans-Christian Knorr für den Wahlkampf um „mehr Arbeitsplätze, mehr Wirtschaftskraft und mehr Innere Sicherheit“. Kein Wort von Lesben und Schwulen.
Nur nicht auffallen, die eigene Position in der Partei nicht gefährden. „Der engagiert sich für sich alles“, sagt der freundliche Kreisvorsitzende Herr Bönisch, man weiß nicht so genau, ob das nun gut oder schlecht zu deuten ist. Ehe und Familie stellt Hans-Christian Knorr nicht in Frage, vorsichtig spricht er in CDU-Kreisen von einer „Partnerschaftsregelung“ für Homosexuelle, das aber nicht zu oft und nicht zu laut. Parteipolitisch korrekt redet er die gescheiterte Verfassungsänderung zum „reinen Symbol“ herunter, „das sowieso keine Auswirkungen gehabt“ hätte. Er sieht auch darüber hinweg, wenn Freunde von der Jungen Union am Kneipentisch palavern: „Homosexualität ist in Mode gekommen. Sie ist doch frei gewählt.“
Knorr sucht nicht die Auseinandersetzung. Er weiß, daß es im Weltbild der Konservativen keine Freiräume gibt. Er denkt an sein Ansehen in der Partei, das er sich in der Altherrenriege CDU schwer erkämpft hat. Manche sagen trotzdem, er sei ein Querulant. Andere sagen, er sei eigentlich ein Schwarz-Grüner. Da kann er nicht auch noch als Schwuler aufmucken. „Lieber schließe ich einen Kompromiß. Lasse mich für Sachargumente wählen, als ganz normaler CDU-Mann, und entscheide dann, wie ich Schwulenpolitik vertrete.“
Bis dahin ist es allerdings noch weit. Hans-Christian Knorr will sich erst bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr als Stadtverordneter wählen lassen. Vorerst ist er Wahlkämpfer, vorerst ist Stillehalten angesagt. Wie im Kino 188, bei der Podiumsdiskussion. Immerhin, ganz am Schluß meldet er sich da endlich zu Wort. „Die Schwulen müssen sich selbst bewegen, um in der Politik was zu erreichen.“ Von seiner Partei kann er keine Unterstützung erwarten.
Nur lauwarme Worte kommen auch vom Schwulenverband Sachsen-Anhalt. Sprecher Martin Pfarr sagt: „Die CDU muß sich fragen, ob es für Lesben und Schwule einen einzigen Grund gibt, ihre Partei zu wählen.“ Auch Hans-Christian Knorr muß zugeben, daß er als Schwuler eher Grund hätte, grün oder rot zu wählen. „Man muß anerkennen, daß die etwas für Schwule und Lesben getan haben.“ Aber er ist in der CDU. Wünscht sich keine große Koalition, „weil sich für Schwule und Lesben da nichts bewegen wird“.
Einen Tag später. Podiusmdiskussion in Magdeburg zu schwul- lesbischer Politik. Wieder fehlt die CDU. Hans-Christian Knorr macht Wahlkampf in Halle.
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