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Betriebsrat gekauft?

■ Betriebsratswahlen bei Deutschen Linoleumwerken angefochten / Werksleitung droht mit Entlassungen

Delmenhorst. Jedesmal, wenn der 31 Jahre alte Arbeiter Michael Freyse am Werkstor der Deutschen Linoleumwerke (DLW) vorbeikommt, dann packt ihn die kalte Wut. Acht Jahre lang hat er für den größten Arbeitgeber in Delmenhorst die Knochen hingehalten, doch seit dem 14. April hat Freyse keinen Job mehr. Die Geschäftsleitung hat ihm gekündigt, mit ausdrücklicher Billigung der Mehrheit des Betriebsrats. Der war zwar am 11. März neu gewählt worden, doch Freyse hatte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten und deshalb per Unterschriftenliste eine Wiederholung der Betriebsratswahlen gefordert. Mehr als 300 der 620 DLW-Beschäftigten unterschrieben sofort die Forderung, zwei Tage später erhielt Freyse die Kündigung.

Am 11. März 1998 waren die Betriebsratswahlen bei der DLW ausgezählt worden. Elf Kandidaten waren drin, die zu zwei verschiedenen Lagern gehören. Der bisherige Betriebsratsvorsitzende Robert Behrens, der auch für die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sitzt, will seinen Posten unbedingt wiederhaben. Dafür benötigt er aber eine Stimmen-Mehrheit.

Was dann folgt, liest sich wie ein schlechter Wirtschaftskrimi: Michael Winkler, Betriebsratsmitglied mit dem geringsten Anteil von 105 Stimmen und im Privatleben Kreisvorsitzender der PDS, wird zum freigestellten Betriebsrat gewählt – das Stimmenverhältnis von sechs zu fünf für den alten Betriebsratsvorsitzenden ist damit gesichert.

Die Belegschaft ist überrascht und wittert Kungeleien. Dazu Michael Freyse: „Die Wahl von Winkler war für mich der  Auslöser, die Wiederholung der Betriebsratswahlen zu fordern.“Freyse und andere Arbeiter hatten zu diesem Zeitpunkt schon konkrete Hinweise, daß Winklers Stimme im Betriebsrat mit dem Versprechen der Freistellung erkauft wurde. Noch während der Unterschriftensammlung wurde die Geschäftsleitung des Werkes, der hervorragende Verbindungen zum Betriebsratsvorsitzenden Robert Behrens nachgesagt werden, auf die Aktion aufmerksam und ließ einige der Unterschriftenlisten einsammeln. Doch bis dahin hatten schon mehr als 300 Beschäftigte unterschrieben. 171 forderten überdies eine außerordentliche Betriebsversammlung im Mai.

Die Auseinandersetzung eskalierte. Per Rundschreiben stellte sich Werksleiter Fred Tornau schützend vor den Betriebsrat und erklärte den Arbeitern den Krieg: Die Unterschriftensammlung „während der Arbeitszeit“sei eine „illegale Aktion gegen den gewählten Betriebsrat“. Und dann folgte die Ankündigung: „Wir nehmen diese Aktion zum Anlaß, in Kürze durch eine Unternehmensberatung eine Analyse aller Arbeitsplätze im Werk durchführen zu lassen. Offensichtlich besteht an vielen Arbeitsplätzen ein großes Potential an freier Zeit, die nicht zum Nutzen des Betriebs eingesetzt wird.“

Für den Ortsverein Delmenhorst der IG Medien erinnern solche Drohungen an „die finstersten Zeiten des Frühkapitalismus“. Der Vorstand der Gewerkschaft wirft der DLW-Betriebsleitung zudem eine unseriöse Geschäftspolitik vor: „Die Geschäftsleitung der DLW hat vom Land Niedersachsen aus Steuergeldern Millionenbeträge zur Modernisierung des Unternehmens kassiert, verbunden mit der Auflage, daß keine Entlassungen stattfinden dürfen.“Es sei nicht akzeptabel, daß jetzt später Entlassungen angekündigt werden.

Über die Forderungen nach Betriebsratsneuwahlen muß jetzt das Arbeitsgericht Oldenburg entscheiden. Und auch „Bauernopfer“Michael Freyse will gegen seine Entlassung klagen. Ein Nachspiel hat der Streit auch für den DGB Delmenhorst. Weil sich dieser neutral verhält, drohen DLW-Arbeiter, ihr Gewerkschaftsbuch abzugeben.

Peter Vogel/Ursula Hoppe

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