: "Eine Sache der Politik"
■ Bundesbankvizepräsident Johann Wilhelm Gaddum zum Euro: Hohe Schuldenstände sind eine schwere Hypothek. Aber die Bundesbank wird sich der Währungsunion nicht in den Weg stellen
taz: Bei der ersten Euro-Abstimmung 1992 hat der Bundestag analog zur Haltung der Bundesbank die Forderung aufgestellt, daß eine Währungsunion nur unter striktester Einhaltung der Stabilitätskriterien starten dürfe. Jetzt aber hat sich das Parlament wie auch Finanzminister Waigel damit abgefunden, daß hochverschuldete Länder wie Belgien und Italien mit von der Partie sein werden. Können Sie damit leben?
Johann Wilhelm Gaddum: Entscheidend ist nicht, ob ich oder die Bundesbank damit leben können. Wichtig ist, ob und wie die Währungsunion damit leben kann. Für ihren langfristigen Erfolg müssen die Teilnehmer neben einer stabilitätsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik vor allem auch öffentliche Haushalte mit einer dauerhaft tragbaren Finanzlage aufweisen. Ein hoher Schuldenstand kann leicht zur Belastung der gemeinsamen Zukunft werden.
Wo liegen denn die Gefahren?
Hohe Schuldenstände sind eine Hypothek für die Zukunft eines Gemeinwesens. Ein übermäßiger Schuldenstand beeinträchtigt den Handlungsspielraum der nationalen Finanzpolitik. Ein wesentlicher Anteil des jährlichen Budgets geht für Zinszahlungen drauf und steht nicht für andere Aufgaben zur Verfügung. Und bei stabilitätspolitisch notwendigen Zinserhöhungen kann es dann auch leicht zu Konflikten mit der gemeinsamen Geldpolitik kommen, insbesondere wenn die Schulden kurzfristig finanziert sind.
Hätte sich die Bundesbank der großen Währungsunion, bei der auch stark verschuldete Länder teilnehmen, dann nicht stärker in den Weg stellen müssen?
Die Entscheidungen über die Währungsunion und den Teilnehmerkreis sind Sache der politischen Instanzen. Die Bundesbank kann lediglich eine fachliche Analyse abgeben und deutlich sagen, welche Aufgaben von den politisch Verantwortlichen zu erfüllen sind.
Noch einmal: Bedeutet das Schweigen der Bundesbank zur derzeitigen Entwicklung nicht, daß sie umgefallen ist?
Wer die Stellungnahmen der Bundesbank von 1990 und 1992 und schließlich vom 26. März 1998 liest – und nicht nur einigen Schlagzeilen glaubt – weiß: eindeutig nein! Der Maastricht-Vertrag legt das Verfahren fest: Die Staats- und Regierungschefs entscheiden mit qualifizierter Mehrheit. Der Zentralbankrat hatte bereits 1992 die politische Dimension der Währungsunion in seiner Stellungnahme zum Maastricht-Vertrag deutlich gemacht: „Die Frage, ob eine Wirtschafts- und Währungsunion errichtet werden soll, ist politisch zu entscheiden.“
Wird die Europäische Zentralbank auch dann einen strikten Stabilitätskurs à la Bundesbank verfolgen, wenn die Arbeitslosigkeit in vielen EU-Ländern weiter steigt und der Ruf nach einer Lockerung der Geldpolitik lauter wird?
Der Vertrag über die Währungsunion verpflichtet die Europäische Zentralbank eindeutig auf Stabilitätskurs. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne durch ein wenig mehr Inflation etwas weniger Arbeitslosigkeit „kaufen“. Dies belegen die Erfahrungen der siebziger Jahre. Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist Aufgabe der nationalen Politik und der jeweiligen Tarifpartner. Sie müssen die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung in ihrem Land schaffen.
Was aber passiert, wenn in europäischen Randgebieten wie Südspanien oder Irland die Konjunktur einbricht und die Arbeitslosigkeit hochschnellt, während in den zentralen Unionsstaaten die Wirtschaft boomt und Inflationsgefahr droht? Wie wird sich die Europäische Zentralbank dann verhalten?
Zur Währungsunion gehört die Wirtschaftsunion zwischen den Staaten, zu der die von Ihnen dargestellte Szenerie nicht paßt.
Moment, einen gemeinsamen Markt gibt es zwar in der EU, aber doch keine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik.
Worauf es ankommt, ist, daß die Teilnehmerländer über hinreichend flexible Arbeits- und Gütermärkte verfügen, um mögliche Krisen zu meistern beziehungsweise erst gar nicht entstehen zu lassen. Insofern sind wir ein Stück Solidargemeinschaft. Die Europäische Zentralbank muß mit stabilem Geld die verläßliche Rechenbasis für solche Prozesse liefern, nicht mehr und nicht weniger.
Die betroffenen Länder können in einer solchen Lage aber nicht mehr mit individuellen Zinssenkungen oder Währungsabwertungen reagieren. Sind dann nicht die Finanztransfers unvermeidbar, die Bundesbank und Bundesregierung so heftig ablehnen?
Für einen umfassenden Finanzausgleich fehlt in den meisten europäischen Ländern die Bereitschaft und vor allem auch das Geld. Darum sollten schon aus eigenem Interesse nur Länder teilnehmen, die dauerhaft bereit und fähig sind, die dargestellten Bedingungen für eine Währungsunion zu erfüllen. Interview: Nicola Liebert
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