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Salonlöwen mit europäischem Blick

■ Zu seinem 200sten Geburtstag zeigt die Kunsthalle Delacroix' „Orientalische Impressionen“

Die Frühlingssonne scheint grell auf den Platz vor der Bremer Kunsthalle, doch die Fenster zum Kupferstichkabinett sind zum Schutz der Schätze freilich verdunkelt. Hell könnte es im übertragenen Sinn trotzdem sein, zeigt das Kabinett doch zum 200sten Geburtstag Eugène Delacroix' am Sonntag – pünktlich ab Sonntag – „Orientalische Impressionen“des berühmten französischen Malers. Denn im Gegensatz zu Zeitgenossen war Delacroix (1798-1863) selbst im Orient. Sozusagen im Gefolge seiner uniformierten Landsleute, die 1830 Algerien erobert und mit der Kolonialisierung ganz Afrikas begonnen hatten, bereiste Delacroix zwei Jahre später Marokko. Die meisten seiner ungezählten Impressionen aber bleiben trotzdem seltsam dunkel.

Vor allem dank des Ex-Direktors Günter Busch nennt die Kunsthalle die größte Delacroix-Sammlung außerhalb Frankreichs ihr Eigen und hat deshalb genug vorzuzeigen, um mit finanzieller Hilfe der Kulturstiftung der Deutschen Bank im Jubiläumsjahr mitzufeiern. Die zehn in der Dauerausstellung gezeigten Gemälde zählen genauso dazu wie etwa 250 Zeichnungen und Aquarelle sowie das „Bremer Skizzenbuch“. Zum Geburtstag hat Sabine Maria Schmidt die 46 „Impressionen“zusammengestellt, weil das orientalische Thema ein ganz wichtiger Aspekt der Romantik des 19. Jahrhunderts war und ist.

Gerade, als die Soldaten in den Orient ausrückten, waren die Geschichten aus 1001 Nacht in Europa erschienen. Diese Gleichzeitigkeit ist mehr als nur symbolisch, denn die nahe Fremde wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts doppelt Thema: Sie galt als Ort abschreckender Barbarei und zugleich als Projektionsfläche für die Mär des edlen und vor allem sinnlichen Wilden.

„Sie sind auf tausend Arten der Natur näher: ihre Gewänder, die Form ihrer Schuhe. Auch vereint sich die Schönheit mit allem, was sie tun“, schrieb der eifrig, schnell und genau zeichnende Eugène Delacroix über die Eindrücke seiner Marokkoreise und glaubte, eine lebendige Antike entdeckt zu haben. Später in Paris traten abfällige Bemerkungen an die Stelle der Schwärmerei.

Schon vor seiner Reise, an der er als freier Künstler teilnahm, hatte sich Delacroix für den Orient interessiert: Bei Freunden sah er arabische Kleidung, im Zoo, Zirkus oder Museum zeichnete er Tiere oder Tierkadaver, um die Skizzen als Vorlagen für Graphiken und Gemälde zu nutzen. Diese Darstellungen sind bei Delacroix keine Gleichnisse mehr – hier schützt der Löwe das Kaninchen nicht, sondern frißt es. Doch bei aller Genauigkeit ist einigen Lithographien (oder moderner: Postern) wie dem „Königstiger“und anderen Salonlöwen das Akademische anzusehen. Offensichtlich ändert sich das mit der Reise.

So zeigt das Kupferstichkabinett der Kunsthalle Blätter aus Tagebilderbüchern, in denen Delacroix die Reise in Notizen und Skizzen dokumentierte. Trotz des islamischen Bilderverbots hat der Künstler auf offener Straße gezeichnet und sich dabei nicht selten Gefahren ausgesetzt. Entstanden sind beeindruckende Miniaturen und Momentaufnahmen, die teilweise coloriert sind und beinahe lebenslang als Vorstudien für Druckgraphiken oder Gemälde dienten.

Als einer von ganz wenigen Künstlern wurde Delacroix der Zutritt zu einem Harem gewährt. Die Ausstellung zeigt Vorstudien zu dem heute im Louvre hängenden Gemälde „Fünf Frauen von Al-gier“. Sie zeichnen sich durch eine respektvolle und völlig unvoyeuristische Sichtweise aus, die sich auch durch Beobachtungen von Straßenszenen und andere Motive zieht.

Ganz anders hat der Delacroix-Nachahmer Chassèriau das Harems-Sujet hemmungslos verkitscht. Dessen „Haremsdamen“und zwölf weitere Arbeiten von „Orientalisten“ergänzen die Delacroix-Schau. Von billiger Romantisierung bis zu dokumentarischer Beobachtung reicht die Palette. Bei seinen Kollegen und bei Delacroix selbst bannt sich der europäische Blick auf's Papier. Der experimentierfreudige Künstler, der keinen Anstoß an der Kolonialisierung nahm, schuf meisterhafte Skizzen und von Dynamik strotzende Bewegungsstudien, doch mit dem zeitlichen Abstand zur Marocko-Reise wächst auch die Entfernung zur Unmittelbarkeit der Eindrücke. Delacroix läßt das Licht des Orients verblassen und domestiziert die einst bewunderte Schönheit im Salon. ck

„Eugène Delacroix – Orientalische Impressionen“vom 26. April bis 3. Juli in der Kunsthalle; Eröffnung, Sonntag, 11.30 Uhr; Katalog 32 Mark; Vortrag vom Delacroix-Experten Peter Rautmann am 5. Mai um 18 Uhr in der Kunsthalle

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