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Lizenz zum Treten bis 2001

Die Berliner Velotaxis starten mit 40 Fahrzeugen auf drei Linien in die zweite Saison. Im Mai soll ein Ableger des Unternehmens in Paris an den Start gehen ■ Von Kirsten Küppers

Ludger Matuszewski, Geschäftsführer der Velotaxi GmbH, hat Anfang April am Brandenburger Tor die neue Saison eröffnet: In diesem Jahr werden 40 Fahrradtaxis durch die Innenstadt rollen. Vor dem offiziellen Startschuß für die zweite Runde war vor allem eine Frage zu kären: Dürfen die Fahrzeuge wie im vergangenen Jahr wieder die Busspur benutzen?

Nachdem es im letzten Jahr keine Probleme mit den neuartigen Gefährten auf den Straßen der City gab, hat Verkehrssenator Jürgen Klemann die Fahrgenehmigung für die „sympatischen“ Velotaxis inzwischen verlängert. Bis ins Jahr 2001 haben die Velos freie Fahrt.

Klagen von seiten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), wie sie noch voriges Jahr erhoben wurden, sind nicht mehr zu vernehmen. In der Praxis erwies sich das Nebeneinander der Velos mit den Bussen als einvernehmlich. Ein Busfahrer, der die entsprechenden Strecken absolviert, begegnet den Fahrradtaxis in der Regel ohnehin nur zweimal täglich. Eine Konkurrenz für den motorisierten Nahverkehr stellen die Dreiräder laut der BVG nicht dar. Gerd Schenk von den Berliner Verkehrsbetrieben meint: „Die Berliner sind im allgemeinen hektisch“ und würden sich im Zweifelsfall immer für den schnelleren Bus entscheiden. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen dagegen findet, daß die Velomobile zeigten, daß in der City verkehrspolitisch nicht nur Geschwindigkeit zähle. Er wünscht sich aber nicht nur bezüglich der Fahrradtaxis eine fahrradfreundlichere Gesamtsituation in der Stadt.

Die Fahrradkutschen befahren drei feste Routen. Zwei Fahrgäste können sie in der Kabine ihres Gefährts transportieren. Die Räder der Linie 1 fahren auf dem Gebiet zwischen Adenauer- und Breitscheidplatz. Statt sich im engen Bus zu drängeln, können sich hier Passagiere den Ku'damm und seine Seitenstraßen hoch und runter kutschieren lassen. Wer vom Elefantentor des Zoologischen Gartens zum Brandenburger Tor will, kann sich ein Velotaxi der Linie 2 heranwinken. Nach dem Shuttle-Prinzip radeln diese die Linie durch den Tiergarten ab. Am Brandenburger Tor kann der Fahrgast auf die Linie 3 umsteigen. Dort geht es Unter den Linden entlang bis zum Alexanderplatz. Ein Fahrschein für eine Hauptroute kostet fünf Mark pro Nase. Wer weniger als einen Kilometer mitfährt, muß nur einen Kurzstreckentarif von zwei Mark bezahlen. Wenn die Passagiere es wünschen, sind die Fahrer auch mal bereit, bis zu ein paar hundert Metern von der Stammstrecke abzuweichen. Auch Brautpaare können sich vom Fahrradchauffeur mit einem weißen Dreirad zum Traualtar kutschieren lassen. Der Preis für diesen Dienst beträgt 90 Mark pro Stunde inklusive Fahrer.

Boris Kolipost, ein 30jähriger Heilpraktikerschüler, verdient sich mit dem Dreiradfahren ein Zubrot. „Velotaxifahren ist ein wunderbarer Job und kostenloses Fitneßtraining.“ Dennoch begegnen viele dem Fahrradtaxi zunächst mit Scheu. Assoziationen von kolonialer Ausbeutung und Quälerei werden bei Skeptikern wie dem Passanten Matthias K. geweckt. Er bleibt dabei: „Das ist doch moderne Sklaventreiberei.“

Wie beschwerlich eine Tour sei, hänge zwar von dem Gewicht der Fahrgäste ab, sagt Boris, doch Velotaxifahren sei nur für den ungeübten Radfahrer anstrengend. Schließlich ist ein Velotaxi keine einfache asiatische Rikscha. Die High-Tech-Räder wurden mit moderner Technik konstruiert, wiegen aber noch 70 Kilogramm. Eine Fünfgangschaltung und Differentialgetriebe machen den Chauffeuren das Treten leichter.

Inzwischen ist die 1996 gegründete Velotaxi GmbH auch Mitglied bei der Gesellschaft für Hauptstadtmarketing – Partner für Berlin. Trotzdem richtet sich das Angebot keinesfalls nur an Touristen. Chauffeur Boris bestätigt, daß über die Hälfte der NutzerInnen Einheimische seien. Berlin- Partner Friedrich Glauner preist die neue Form der Verkehrstechnik des Konzeptes: „Velotaxis repräsentieren das neue Berlin“, findet Glaumer – auch wenn er selbst noch nie damit gefahren ist.

In diesem Jahr lächelt das Werbemotiv der französischen Mineralwasserfirma Evian von den Vehikeln. Durch dieses Sponsoring – Modehersteller Esprit ist auch mit von der Partie – finanziert sich Matuszewskis Verkehrsunternehmen. Denn sämtliche Einnahmen aus den Fahrten gehen an die Chauffeure selbst. So kommen Einnahmen zwischen 12 und 22 Mark pro Stunde für sie zustande. Gleichzeitig bleiben die Tarife für die Fahrgäste niedrig. Jungunternehmer Matuszewski bietet das Fahrradtaxi-Konzept inzwischen auch europaweit als Franchise-Lizenz an. Ab Mai soll damit begonnen werden, in Paris ein Velotaxi- Unternehmen aufzubauen.

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