■ Der Protest gegen die Todesurteile in Ruanda ist scheinheilig
: Die Arroganz des Westens

Die Todesstrafe ist inhuman, öffentliche Hinrichtungen sind besonders abstoßend. Aber der internationale Protest gegen die Erschießung von 22 Menschen in Ruanda, in dem sich Papst, deutscher Außenminister, UNO und Menschenrechtsorganisationen einig waren, ist kein Ausweis der Menschlichkeit. Er belegt nur die scheinheilige Arroganz mancher Hüter westlicher Moral gegenüber Ländern der Dritten Welt. In Ruanda wäre es nie so weit gekommen, hätte sich das Ausland früher auf seine Werte besonnen.

Die Hingerichteten waren wegen Beteiligung am Völkermord von 1994 verurteilt worden. Dieser Völkermord ist schon heute im internationalen Bewußtsein kaum mehr als eine weitere blutige Episode in der Geschichte Afrikas. Nur wenige Ausländer erinnern sich noch an die Hintergründe des Blutbads, dem etwa 800.000 Angehörige der Tutsi-Minderheit zum Opfer gefallen sind. Dabei ist der Genozid in seiner fürchterlichen Konsequenz dem Grauen des Holocaust vergleichbar. Und anders als zur Zeit des Naziterrors hat sich in Ruanda die ganze Welt schuldig gemacht.

Drei endlose Monate sah sie tatenlos zu, wie Wehrlose ungehindert abgeschlachtet wurden. Als die Massaker begannen, wurden internationale Truppen aus dem Land abgezogen. Das Ausland fürchtete, in die ruandische Krise hineingezogen zu werden. Bis heute scheitert der Internationale Gerichtshof, der die Drahtzieher des Genozids zur Verantwortung ziehen soll, an seiner Aufgabe. Schaut einer hin? Nein. Bosnische Tote sind den Staaten, die über Macht und Einfluß verfügen, allemal wichtiger als tote Afrikaner.

Die Welt hat in Ruanda versagt – und wagt es dennoch bis heute, sich zum moralischen Richter zu erheben. Der neuen Regierung war an guten Beziehungen zum Ausland gelegen. Deshalb stimmte sie zu, die Hauptverantwortlichen für die Massaker von einem internationalen Tribunal aburteilen zu lassen, das keine Todesstrafe verhängen kann.

In Ruanda stieß diese Entscheidung auf Empörung. Das ist verständlich. In vielen Ländern Afrikas ist die Todesstrafe unumstrittener Bestandteil des juristischen Sanktionenkatalogs. Menschen, deren gesamte Familien massakriert worden sind, finden es seltsam, wenn sich das Ausland niemals für Todesurteile gegen Bankräuber interessiert hat, aber plötzlich flammenden Protest gegen die Hinrichtung der Schlächter ihrer Kinder einlegt. Dennoch hätten sie sich vielleicht damit abfinden können, wenn die Drahtzieher des Genozids zur Rechenschaft gezogen worden wären. Das ist bis heute nicht geschehen.

„Er konnte nicht länger auf der Erde unter den Menschen bleiben, weil er in ein Unternehmen verwickelt war, das zugegebenermaßen gewisse ,Rassen‘ für immer vom Erdboden verschwinden lassen wollte.“ Mit diesem Satz hat Hannah Arendt 1963 das Todesurteil gegen Adolf Eichmann gerechtfertigt, der die Judentransporte in die KZs organisiert hatte. Gegen diese Ansicht läßt sich vieles einwenden. Unmenschlichkeit jedoch wird man Arendt nicht unterstellen dürfen. Überlebenden Ruandern schon?

Auch die neue ruandische Regierung hat sich inzwischen schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Das relativiert die Verbrechen von 1994 nicht. Unschuldige Opfer bleiben unschuldige Opfer. Den gestern Hingerichteten seien ihre Taten nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden, haben Menschenrechtsorganisationen erklärt. Sollte das so sein, dann wäre das schrecklich. Aber die bisherige Geschichte der Aufarbeitung des Völkermords legt den Verdacht nahe, daß es sich bei diesem Vorwurf um ein Argument handelt, mit dem die Auseinandersetzung um die grundsätzliche Problematik der Todesstrafe umgangen werden soll.

Dem Kampf gegen die Todesstrafe ist weltweit Erfolg zu wünschen. Aber die Proteste gegen die Hinrichtungen in Ruanda hinterlassen einen schalen Geschmack, so lange bekannte Drahtzieher des Völkermords noch immer frei im Exil leben können. Wer mag es Ruandern verdenken, wenn sie sich nach ihren Erfahrungen ausländische Einmischung verbitten? Und wo nimmt das Ausland im Falle Ruandas den Mut zur Einmischung her? Bettina Gaus

Die Autorin war zur Zeit des ruandischen Völkermords taz-Korrespondentin in der Region