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Ein Sieger ohne Lächeln

■ Die SPD ist der klare Sieger der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Doch angesichts des starken Abschneidens der rechtsextremistischen DVU konnten sich die Sozialdemokraten nicht so richtig freuen

Magdeburg/Berlin (taz) – Zwanzig Minuten nach Schließung der Wahllokale sprach ein Sozialdemokrat im Wahlzelt der SPD die zwei Worte aus, die sein Ministerpräsident Reinhard Höppner an diesem Abend eigentlich nicht in den Mund nehmen wollte: große Koalition. „Mit diesem Ergebnis“, sagte der junge Mann, „läuft alles auf eine große Koalition hinaus.“ Dieser nüchterne Satz bedeutete die Zusammenfassung eines Wahlergebnisses, das zwar einen Sieger kannte – aber einen, der sich nicht so richtig freuen konnte.

Die SPD lag mit rund 39 Prozent in der ersten Hochrechnung zwar mit riesigem Vorsprung vor ihrem ärgsten Kontrahenten, der CDU, aber zwei Dinge verhagelten den Sozialdemokraten ihren Sieg: ihre eigenen hohen Erwartungen nach den Umfragen, nach denen die SPD mit einem Ergebnis von deutlich über 40 Prozent gerechnet hatte, sowie das Abschneiden der Deutschen Volksunion. Die Rechtsextremen erreichten mit knapp 12 Prozent ein sensationelles Ergebnis, mit dem keiner gerechnet hatte. In den Umfragen war mit knapp 5 Prozent für die Partei des Münchener Verlegers Frey gerechnet worden.

Die ersten Reaktionen an diesem Abend bezogen sich dann auch fast alle auf das starke Abschneiden der DVU. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, gab bereits gegen 18.40 Uhr zu verstehen, wie er mit dem Ergebnis umzugehen gedenkt: „Wir sind beauftragt, eine stabile Regierung für Sachsen-Anhalt zu bilden.“ Jeder verstand, was das bedeutete: Die große Koalition – eine Konstellation, die nicht nur wegen der persönlichen Animositäten zwischen Höppner und dem CDU-Oppositionsführer Bergner bisher als ausgeschlossen galt – ist das wahrscheinlichste Konsequenz dieses Wahlergebnisses. Daran änderten auch die starken Worte Höppners nicht, der mit Blick auf Helmut Kohl und die erdrutschartigen Verluste der CDU sagte: „Wer die Wähler so täuscht, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er den Boden bereitet für ein solches Protestpotential.“

Die Fraktionsvorsitzende der PDS im sachsen-anhaltinischen Landtag, Petra Sitte, sah die Konsequenzen aus dem Abschneiden der DVU anders: „Jetzt geht es darum, eine klare linke Mehrheit gegen rechte Demagogen zu bilden.“ Insbesondere aus der CDU gab es Stimmen, die die vielen Stimmen für die „Protestpartei“ DVU der anderen „Protestpartei“, der PDS, in die Schuhe schieben wollten. So sagte Walter Remmers, der stellvertretende CDU- Landesvorsitzende, daß sich niemand über die Rechtsextremisten zu wundern brauche, der den Boden für Linksextremisten bereitet.

Die Umfrageergebnisse sagen hingegen etwas anderes. Die Wähler, die mit ihrer Zweitstimme die DVU gewählt haben, gaben ihre Erststimme zu etwa gleichen Teilen den anderen großen Parteien: der CDU (21 Prozent), der SPD (22 Prozent) und der PDS (23 Prozent). Unter den DVU-Wählern ist jeder dritte arbeitslos. Am größten allerdings ist das Wählerpotential der DVU bei den unter 30jährigen: Hier haben 27 Prozent die Rechtsextremisten gewählt. Damit ist die DVU in dieser Altersgruppe die stärkste Partei. Die SPD erhielt von den unter 30jährigen 25 Prozent, die CDU nur 14. Auffällig war auch das Wahlverhalten der über 60jährigen, bei denen die DVU auf lediglich 3 Prozent kam. Der ostdeutsche Publizist Christoph Dieckmann sprach an diesem Abend davon, daß die Rechten im Osten für die jungen Leute mittlerweile zu einem Pop-Phänomen geworden seien. „Im Osten ist es schick geworden, rechts zu wählen.“

Außer SPD, PDS und DVU hatten alle anderen Parteien katastrophale Ergebnisse zu verarbeiten. Grüne – raus aus dem Landtag. FDP – wieder an der Fünfprozenthürde gescheitert. CDU – dramatische Verluste von über 10 Prozent trotz heftiger Wahlkampfhilfe aus Bonn. Oder gerade wegen ihr? CDU-Mann Remmers: „Der Bundestrend hat die Landespartei wie ein D-Zug erwischt und vom Gleis geworfen.“ Jens König

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