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Bloß nicht so leben wie die Väter

Mit harten Klängen und sehnsüchtigen Texten ackern sich fünf junge Berliner Türken durch ihre Erfahrungen als Migrantenkinder in Deutschland. Und sie könnten schon bald Erfolg haben mit ihrer Musik. Ein Porträt von Hasret, der ersten türkischen Hardcore-Band aus Berlin  ■ Von Frank Rothe

Ramazan ißt gerne Gulasch und Chinesisch. Mehmet steht auf alles, was mit Kartoffeln zu tun hat. Cemil mag die asiatische und nicht die türkische Küche. Firat ißt am liebsten mit Stäbchen, da er so länger genießen kann. Tamer haßt Frühstück, ansonsten mag er die thailändische Küche. Christopher hat sich auf Junk food spezialisiert.

Sechs Männer, fünf Türken und ein in Amerika geborener Deutscher, sitzen in ihrem Proberaum im Olof-Palme-Haus in Berlin- Wedding. Nicht, weil sie Hunger haben, sondern wegen der Musik. Eigentlich wäre es falsch zu behaupten, daß die fünf Jungs zwischen 17 und 26 Jahren Türken sind. Es wäre genauso falsch zu sagen, daß sie Deutsche sind. Ramazan, Cemil, Tamer, Mehmet und Firat sind Berliner, vielleicht türkische Berliner, aber Berliner, da die meisten von ihnen hier geboren wurden oder, so wie Cemil, hierhergezogen sind.

Sie schleppen größere und kleinere Bruchstücke an eigener oder fremder Kultur mit sich herum, und Christopher, der Ami, kümmert sich um diese ganze kulturelle Garküche. Der 29jährige versteht sich als Manager von Hasret, der ersten türkischen Berliner Hardcore-Band.

Firat laufen Schweißperlen von der Stirn. Der 21jährigen Drummer der Band ist im Rausch des eigenen Sounds. Im richtigen Leben studiert er Biologie und Soziologie auf Lehramt. Hier im dunklen Proberaum von Hasret schwitzt er verschiedenste Aminosäure-Verbindungen aus seinem Körper. Firat schlägt die Sticks so schnell, daß das menschliche Auge an das Hirn den Befehl zum Abschalten gibt. Dafür legt das Trommelfell einen Hundert-Meter-Sprint ein.

Firats Bruder Mehmet spielt den Baß. Der 26jährige Maschinenbaustudent fällt in einen tiefen beruhigenden Rhythmusrausch. „Mehmet sagt wenig, aber wenn er etwas sagt, dann ist es effektiv“, meint Ramazan. Er selbst ist der Sänger von Hasret und hat von klein auf gesungen. Eigentlich wollte er – wie die meisten Jungs – Gitarre spielen. Seine Eltern lebten mit ihren sechs Kindern in einer Anderthalb-Zimmer-Wohnung. Kein Wunder, daß sich das Leben von Ramazan auf der Straße abspielte. Aus Brettern versuchte er, sich eine Gitarre zusammenzubauen. Na ja, gut hat sie wahrscheinlich nicht geklungen.

Ramazans Leben gleicht einer Ghetto Story mit Ausblick auf ein Happy-End. Der 22jährige hatte Glück, und er hat es genutzt. Nach dem Fall der Mauer und einer Schlägerei mit Skins erbarmte sich eine Frau seiner blutenden Nase. Sie fand ihn exotisch, freundete sich mit ihm an und nahm ihn mit in ihre Szene, die sich Anfang der 90er Jahre im Stadtbezirk Mitte um die Aktionsgalerie und das Tacheles drehte. Ramazan kam mit einer neuen Welt in Kontakt, jenseits der Enge, aus der er kam. Die Kunst und Menschen, die interessiert an ihm waren oder es zumindest vorgaben, zogen ihn raus aus einem miefigen Alltag, der sich auf die Beschaffung von Geld, auf Gangs, Macht und Überleben konzentriert hatte.

Manch einer aus der neuen Welt hielt Ramazan für einen Spanier oder Italiener. Das gefiel ihm. Mal was anderes, als wenn man ihm mit den üblichen Klischees über Berliner Türken begegnete. Ramazan ließ sich die Haare lang wachsen und entschloß sich für seinen eigenen Lebensweg, der nicht dem seines Vaters ähneln sollte – Tag und Nacht arbeiten, um die Familie am Leben zu erhalten. Im Februar vergangenen Jahres traf Ramazan auf Tamer, dem es ähnlich erging wie ihm – nur daß Tamer ganz gut Gitarre spielen konnte. Ab da gab es nur noch eins, die Musik.

„Mit der Musik wollten wir raus aus dem türkischen Klischee – arbeitslos, Döner, Schläger, überladener Mercedes und Gangmentalität – rein in die revolutionäre türkische Musik“, sagt Ramazan. Seine Energie und der Wunsch, nicht so zu werden wie sein Vater, trieben ihn an. Seine Identität sieht er zusammengesetzt aus Hunderten von Puzzlesteinen, die Erfahrungen heißen und die ihm keiner mehr nehmen kann. Ramazan weiß, was seelischer Schmerz und Verlangen bedeuten, wenn man 16 ist, er weiß um die Sehnsüchte junger Menschen.

Keiner wäre besser als Sänger für Hasret geeignet als er. „Ich habe aus den Fehlern meiner Familie gelernt“, sagt er. „Aus einem nichtintakten Haus kommt meistens Mist raus, und schließlich stehst du mit deiner Bierdose vorm Penny-Markt. Ich trinke keinen Alkohol und weiß auch, wie ich zu meinen Kindern sein werde. Wenn ich sehe, daß sie sich für etwas begeistern, werde ich ihr Interesse fördern.“

Mit 16 Jahren haute Ramazan von zu Hause ab zu seiner neuen Freundin nach Berlin-Friedrichshain. An ihrer Seite war er das erste Mal auf einem Konzert. „Dieses Leben war wie ein Sprung in eine höhere Klasse, ein Sechser im Lotto, der mich aus dem Kreis der Gangs herauskatapultierte“, sagt er.

Ramazan kommt ins Schwärmen über ostdeutsche Frauen, die, wie er meint, an seinem Charakter und nicht nur an seinem Äußeren interessiert seien. Tamer fällt ihm ins Wort. „Das ist jetzt auch nicht mehr so. Mich gucken sie im Osten manchmal wie Tarzan an. Und wenn wir auf der Bühne stehen, findet es das Publikum lustig, daß eine türkische Band Hardcore- Musik macht“, sagt er. Aber Hasret will ernst genommen werden, und es gibt genug Gründe, dies zu tun.

Cemil kommt aus Aachen und spielt Gitarre. Die Schokoladenstadt im tiefen Westen Deutschlands fand er klein und langweilig. „Bei uns konnte man nicht richtig rausgehen. Entweder wir haben gesoffen und gekifft, jedenfalls war es langweilig“, sagt der 17jährige. Er ist der Jüngste von allen und noch relativ neu im Hasret-Kreis. Manchmal, wenn Cemil in die typische türkische Klischee-Coolness verfällt, sagt Ramazan, daß die anderen ihn auch noch dorthin bekommen, wo Hasret schon ist.

Hasret heißt Sehnsucht. Wenn die Musik der fünf Jungs erklingt, trifft der Bandname ins Schwarze. Harte Gitarrenklänge, unterlegt mit schnellen Bassläufen und einem Drumbeat, der einer mächtigen Ozeanwoge gleicht, treffen auf Ramazans Stimme, die gegen den Strom läuft und fast tragisch melodiös eine Gegenbewegung erzeugt. So entsteht ein Kontrast, der starke Gefühle weckt. Bei der Musik von Hasret geht es um Emotionen, tiefe Sehnsüchte, gewachsen aus Frustrationen und Ängsten. Diese Mischung erwischt die Zuhörer, egal ob sie nun deutsch, türkisch oder deutschtürkisch sind. Trotz der harten Klänge verursacht Hasret keine Ohrenschmerzen, weil der Stimme von Ramazan genug Platz gegeben wird und weil Bass, Gitarre und Drums nur zuweilen in orkanartige Stürme verfallen, die Höhepunkte und Ausbruch markieren. Soviel zum Stil.

„Wir singen über verzweifelte, miteinander kämpfende Gefühle und nicht so etwas wie: ,Hey, weißt du, damals, am Valentinstag, an der Ecke stand die Kecke...“, sagt Ramazan, der im Song „Baba“ Haß, Liebe und die eigene Vater- Sohn-Beziehung zum Ausdruck bringt, ein orientalisch anmutender melodiöser Hardcore-Song. Sein Verhältnis zu seinem Dad ist noch immer gespalten. Manchmal sehen sie sich in der U-Bahn oder auf der Straße und schauen aneinander vorbei. Manchmal reden sie auch. Aber es ist noch zu selten.

Mit dem Song „Maziler“ (Vergangenheit) schließen die Jungs von Hasret mit den Geschichten von früher ab – „GangBang“ und dem Leben auf der Straße, was nicht heißt, daß sie heute nicht mehr auf der Straße unterwegs sind.

Auch der Titel ihrer neuen CD „Sokaklarin Sesi“ (Die Stimme der Straßen – erscheint im Frühjahr) deutet auf die Inhalte ihrer Musik hin. Tamer, der Komponist der Band, geht auch heute noch jeden Tag in Kreuzberg spazieren. Es sind die kleinen alltäglichen Szenen, die ihn berühren, zum Beispiel wenn eine verschleierte Frau die Straßenseite wechselt, weil er, Tamer, als Mann auf dem Bürgersteig daherkommt.

Die Straßen in Berlin haben sich verändert. Früher gab es Gangs. Heute gibt es Armut. Immer mehr verzweifelte Gesichter sieht Tamer in der City. Er ist einer von denen, die offene Augen dafür haben und nicht in ihrem gut gefederten Wagen fett durch die Straßen rollen und nur diesen Blick drauf haben, der nicht weiter reicht als bis zum eigenen Kühlschrank.

Die Straße brachte Tamer nicht nur Inspiration, sondern auch Glück. Für Thomas Arslans Film „Geschwister“ wurde lange nach einem Hauptdarsteller gesucht. Irgendwo zwischen Kotti und Schlesischem Tor entdeckte Arslans Crew Tamer. Er bekam die Rolle.

Im Februar spielte Hasret im ehemaligen Frauengefängnis Plötzensee. Als die Häftlinge hereinkamen, tanzten sie sofort los. Später gab es zweideutige Angebote. Hasret, die sonst eher in Clubs wie dem SO 36 in Kreuzberg auftreten, kamen sich das erste Mal vor wie eine Boygroup.

Trotz des angehenden Erfolges und der Hoffnung, bald von ihrer Musik leben zu können, haben die fünf Musiker nicht vergessen, woher sie kommen. Mit Hasret wollen sie auch die Türken wachrütteln, die ihre Chancen bislang nicht wahrnehmen konnten. „Sie sollen sehen, daß es möglich ist, etwas anderes zu machen“, sagt Mehmet. Ihre Musik jedenfalls hat eine Form bekommen, gerade weil sie aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Erfahrungen schöpfen.

„Ich bin Kreuzberger“, sagt Tamer (Gitarre).

„Ich denke und spreche deutsch, fühle aber türkisch“, erklärt Mehmet (Bass).

„Ich suche mir aus allen Kulturen die Vorteile heraus“, ergänzt Firat (Schlagzeug).

„Wir lieben alle, die uns lieben“, behauptet Ramazan (Gesang).

„Ich verstehe manche Sachen bei den Deutschen nicht, aber auch vieles nicht bei den Türken“, sagt Cemil (Gitarre).

„Ob nun Sauerkraut und blond oder Döner und Schwarzhaar, ist mit scheißegal“, erklärt Christopher (Manager).

Eine Band wie Hasret gehört zur deutschen Kultur und dem Berliner Alltag genauso wie Currywurst und Döner. Einmal probiert, wird so schnell niemand mehr an ihr vorbeigehen.

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