: Das ZDF hat Angst
■ Längst kleistern auch die Mainzer auf gute Filme ein reißerisches Etikett: Zweiteiler "Schock - eine Frau in Angst", ab Fr., 21.15 Uhr, ZDF
Angst sei ein schlechter Ratgeber, heißt es. Nicht so bei den Titeldichtern vom Marketing des Zweiten Deutschen Fernsehens. Die lassen sich anscheinend von der Angst um die Quote immer öfter einflüstern: Egal was drin ist, wenn nur „Angst“ draufsteht, ist das die beste Verkaufe!
Möglichst mit „Fortsetzung folgt“, damit sich's quotenmäßig doppelt auszahlt. Erst „Leben in Angst“ mit Ulrich Pleitgen, dann „Drei Tage Angst“ mit Esther Schweins, nun Jennifer Nitsch in „Schock – eine Frau in Angst“. Schamloser hätte selbst Sat.1 das kaum mogelpacken können.
Inhaltlich geht es nämlich auch bei diesem, u.a. mit Richy Müller, Leslie Malton, Herbert Knaup und Dietmar Mues kompetent besetzten Film um weit weniger Plattes, als die krampfhafte Bauernfängerei glauben machen soll.
Vielmehr hat der Holländer Ben Verbong, ein international angesehener Regisseur, der unter anderem fünf Stücke zu der deutsch- amerikanischen ARD-Produktion „Die Gang“ beisteuerte, eine zeitgeistig gediegene, spannend gemachte Psychostudie mit gesellschafts- und auch polizeikritischem Background abgeliefert. Das dramaturgische Mittel dazu ist nicht Angst, sondern eine Amnesie.
An ihrem zehnten Hochzeitstag verliert Protagonistin Katja, ausgelöst durch eine traumatisches Erlebnis ihr Gedächtnis. Deshalb muß sie sich selber, ihr Leben und die familiären und gesellschaftlichen verhältnisse, in denen sie es zugebracht hat, ganz neu kennenlernen. Dieser erzwungene Blick von außen auf die eigene Vita führt sie am Ende zu einer vollkommen neuen Bewertung.
Auf den Erzählstrang der Selbstrekonstruktion, die der Zuschauer genauso wie die Hauptfigur nur Stück für Stück vollziehen kann, laufen zwei weitere Erhellungsprozesse zu. Sie fördern die filmisch überhöhte Enthüllung eines Bau- und Filzskandals zutage, der zumindest teilweise in den bis dato ungeklärten Ungereimtheiten um das Hamburger Millerntorhochhaus einen realen Hintergrund hat – Verbong drehte sogar dort im Rohbau.
Zum anderen macht sich ein Polizeikommissar daran, den tödlichen Sturz des jungen Mannes in einen gläsernen Lichthof aufzuklären – das Initialereignis, das sich als running act stetig wiederholt und dabei nach und nach vervollständigt.
Drehbuchautor Peter Probst hat dazu eine polizeikritische Figurenstudie besonderer Güte beigesteuert: Eine Art intellektueller, melancholisch-sarkastischer Columbo, den Christoph Waltz mit sparsamsten Mitteln zur heimlichen Hauptfigur des Films macht. Ulla Küspert
Teil 2: Sa, 20.15 Uhr
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