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Hinterglasmalerei

■ Pschschscht! – denn die Neue Gesellschaft für Literatur feierte ihr 25jähriges Bestehen

Es gab nichts als blöde Wurstschnittchen, wäßrigen Wein und schal gezapftes Bier. Günther W. Hornberger, der gern Marius Müller-Westernhagen wäre, trug nicht wirklich komische Lieder vor: „Wenn ich dich nicht hätte, meine Zigarette“. In den vorderen Reihen schwieg man pikiert und blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum. In den hinteren Reihen schien es zu murmeln. Möglich auch, daß irgendwo hinter dem künstlichen Stuck des güldenen Saals in den Hackeschen Höfen eine Murmelkassette lief, ähnlich den Gelächtereinlagen bei TV- Sitcoms. Geschminkte Damen in wedelnden Stolen fühlten sich also veranlaßt, nachdrücklich „pschschscht!“ zu machen.

Alle sahen aus wie literaturbeflissene Steuerberater, Deutschlehrer und Hobbyliteraten. Professor Doktor Dieter Pforte, der an der FU Studenten über die Literaturverwaltung der Stadt belehrt, behauptete, daß er seinen Festvortrag nicht ausdehnen würde. Und dehnte ihn dann aus. Die Jüngsten unter seinen Zuhörern sahen dabei am interessiertesten aus – grad so, als sei es ihnen sehr wichtig, so eifrig wie möglich auszusehen.

Die Neue Gesellschaft für Literatur ist für die Literatur das, was Hinterglasmalerei für die Kunst ist. Hier trifft sich die Sorte Mensch, die schon immer mal in einem Verein meiern wollte, sich aber für den Fußballverein zu unsportlich und für den Taubenzüchterverein zu kultiviert fühlt. Hier gibt es vor allem Menschen, die ebensowenig von ihrer Schreiberei leben können, wie sie auf die Gemütlichkeit ihrer bürgerlichen Existenz verzichten möchten. Aus Angst, dem Mythos vom armen Dichter unter der Brücke auf den Leim zu gehen, hält man sich hier an Altbewährtes.

Schon bei ihrer Gründung vor fünfundzwanzig Jahren hatte es sich die Neue Gesellschaft für Literatur zum Ziel gemacht, Menschen vor Ort mit Literatur zu konfrontieren, die normalerweise nicht oder wenig lesen. So hat sie seitdem in Bibliotheken, Schulen, Kneipen, auch in Strafanstalten und Obdachlosenheimen Hunderte von Lesungen veranstaltet. In einer Hörspielwerkstatt fördert man besonders junge Autoren, an den jährlich stattfindenden Berliner Märchentagen werden Kinder eingeladen, im Klassenverband ein Märchen zu schreiben und sich an einem Wettbewerb zu beteiligen. Die wohl originellste Veranstaltung wird sich auch in diesem Jahr wieder auf der Oder abspielen. Hier wird ein „Deutsch-Polnischer Poetendampfer“ angemietet, auf dem sich deutsche und polnische Autoren, Übersetzer, Redakteure und Herausgeber austauschen und von der Oder links und rechts an Land schwemmen lassen, um dort zu lesen.

Löblich sind die Beweggründe der in der Neuen Gesellschaft für Literatur organisierten Literaten und Literaturinteressierten also wirklich. Ehrenvoll auch, daß sie die Nähe zum Volk suchen. Ob sie sie finden, indem sie Kinder vor „der Reizüberflutung durch die neuen Medien“ retten wollen und gammlige Passanten mit Rucksack am Betreten ihrer Jubiläumsveranstaltung hindern, sei dahingestellt. Susanne Messmer

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