: Mit Flagge und Davidstern
Beim 50. Geburtstag des Staates Israel ist nicht allen zum Feiern zumute. Die Gebiete der Palästinenser sind abgeriegelt, im Viertel der Orthodoxen fliegen Steine ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Nichts prägt den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit Israels so wie blauweiße Flaggen mit dem Davidstern. Wer besonders stolz oder nationalbewußt ist, hat gleich alle Ecken seines Hauses mit der Fahne bestückt. Ein größerer Wohnkomplex in der Innenstadt ist rekordverdächtig. Knapp zwei Dutzend Flaggen flattern hier im Morgenwind. Fünf Schekel, umgerechnet 2,50 Mark, kostet eines der kleineren israelischen Fähnchen, die am Autodach festgeklemmt werden. Hunderttausende sind verkauft worden. Ein alter VW-Käfer trägt das Fähnchen mangels geeigneter Befestigungsmöglichkeiten an der hinteren Stoßstange.
Über den „Unabhängigkeitspark“ in Jerusalem ziehen dichte Rauchschwaden. Im ganzen Land wird an diesem Tag traditionell gegrillt. Campingtische und Plastikstühle sind aufgestellt. Natürlich steht auch auf jedem Campingtisch ein weißblaues Fähnchen. Wer die anderen ausstechen will, hat gar eine extragroße Fahne mitgebracht und in den Rasen gerammt. Im Park der „Freiheitsglocke“ an der Emek-Refaim-Straße ist das Bild nicht anders. Die parkenden Autos behindern schon den Verkehr. Am späten Vormittag donnern israelische Kampfjets über Jerusalem. Die Luftwaffe hat mit ihrer Demonstration begonnen. Zeitgleich sind Schnellboote der israelischen Marine vor der Küste Tel Avivs aufgefahren. Zehntausende haben sich versammelt, um die Manöver zu bewundern.
An einer Straßenkreuzung im Süden Jerusalems, einen knappen Kilometer vor dem Checkpoint nach Bethlehem, haben sich die ersten Siedler eingefunden. Auf ihren Autos wehen selbstverständlich zwei israelische Fähnchen. Bis zum Nachmittag werden es mehr als zehntausend Siedler sein, die auf den Dschebel Abu Ghneim ziehen. Sie fordern den sofortigen Weiterbau der Siedlung Har Homa. Bis jetzt sind nur die Straßenarbeiten auf dem Hügel vollendet worden. Schon diese Arbeiten hatten dazu geführt, daß die israelisch-palästinensischen Friedensprozeß vor gut einem Jahr in die Sackgasse gerieten. Die Dutzend Gegendemonstranten der israelischen Friedensbewegung können den Siedlern kein Paroli bieten.
In dem palästinensischen Städtchen Dahariyeh, südlich von Hebron, fühlt man sich in einer anderen Welt. Staubiger Alltag. Die semitischen Vettern in den palästinensischen Gebieten haben an den Feiern keinen Anteil. Auf drei Tage sind sie in ihren Gebieten eingeschlossen. Die Soldaten am Militärcheckpoint im Süden des Westjordanlandes sind mißtrauisch. Sie haben kein Verständnis dafür, daß man an diesem Tag durch die palästinensischen Gebiete fährt. Auch die Zufahrt nach Beersheva, der „Hauptstadt des Negevs“, ist erst einmal mit Krähenfüßen versperrt. Sicherheit wird großgeschrieben. Tausende von zusätzlichen Polizisten und Soldaten sind im Einsatz. Die Polizisten in Beersheba aber sind etwas freundlicher. Ein Blick auf den deutschen Paß genügt ihnen. Beersheba liegt da wie ausgestorben. Auf den zwei- und dreispurigen Straßen kann man die Autos an einer Hand abzählen. Geschäfte und Restaurants in der Altstadt sind dicht.
Die Standspur der Autobahn nach Tel Aviv ist zum Parkplatz umfunktioniert. Unter den Bäumen auf den Grünflächen am Rande haben sich die Familien ein schattiges Plätzchen gesucht. Fahnen und Kränze schmücken die Wracks der Militärfahrzeuge bei Latrun, an der Autobahn von Tel Aviv nach Jerusalem. 1948 fand hier eine der verlustreichsten Schlachten statt, als die israelische Armee versuchte den Weg nach Jerusalem freizukämpfen.
Die Straße vor der Residenz von Präsident Ezer Weizman ist am Nachmittag zu einen Parkplatz für Diplomatenwagen mutiert. Das Diplomatische Korps ist zum Empfang offensichtlich vollständig angetreten. Kilometerlang ist auch schon der Stau auf dem Weg ins Stadion von Ramat Gan, wo am Abend die große Festveranstaltung stattfindet. Doch ohne Kontroverse geht in Israel nichts. Weil die israelische Tanzgruppe Batsheva bei ihrer Darbietung die Oberkleider ablegt, verlangen die Orthodoxen die Absetzung des Stücks. Obwohl das Oberste israelische Gericht eine Klage der Orthodoxen gegen die Darbietung abweist, bittet Präsident Weizman die Truppe, ein „langes Gewand“ überzuziehen. Nach langem Hin und Her sagt die Gruppe den Auftritt ab, um ihre „künstlerische Integrität“ nicht der Zensur der Orthodoxen zu opfern.
Im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim findet schon in der Nacht zum Donnerstag ein Protest anderer Art statt. Autos mit israelischen Fähnchen werden mit Steinen beworfen. Die Polizei muß die Straßen für den Verkehr sperren. In Säcken gekleidet demonstrieren Ultraorthodoxe. Gegen die Feierlichkeiten, das Meer von blauweißen Fahnen und gegen den Staat Israel, den sie als „Gotteslästerung“ ablehnen.
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