Lizenz zum Betteln

■ Die Obdachlosenorganisation mob bietet neuerdings eine professionelle Bettelausbildung mit Fachabschluß an: Ausbildung in drei Pflichtfächern und einem Wahlfach

„In der Antike glaubte man, daß die Götter als Bettler verkleidet auf die Erde kommen.“ Karsten Krampitz vermittelt historisches Wissen. „So wie sich die Arbeit vom Menschen entfremdet hat, hat sich auch das Betteln vom Menschen entfremdet.“ Krampitz ist Redakteur der Obdachlosenzeitung Straßenfeger und hatte die Idee, eine Bettelausbildung mit Diplomerwerb anzubieten.

Ein Bettelprofessor unterrichtet die Teilnehmer in drei Pflichtdisziplinen und einem Wahlfach. Die praxisorientierte Prüfung folgt auf dem Fuß, und sollte sie erfolgreich bestanden werden, steht dem Schritt in die Selbständigkeit nichts mehr im Weg: „Eine Investition in die Zukunft, denn noch betteln Sie freiwillig.“ Ein attraktives Angebot. So übe ich mich gemeinsam mit Katharina Henke, die in Brandenburg im bündnisgrünen Landesvorstand sitzt, nach der fachkundigen Einweisung in der ersten Disziplin: Sitzung halten. Die Götter im Hinterkopf, die Blechdose vor mir, sitze ich in der Potsdamer Einkaufsstraße und frage nach Kleingeld. Von unten hoch und möglichst bescheiden. Ein kleines Mädchen im duftigen Blumenkleid kommt auf mich zugesprungen, und ein paar Groschen klimpern in die Dose. Die Mutter lächelt mir aufmunternd zu, ich gucke dankbar. Nach einer Viertelstunde habe ich genug Geld für ein Brötchen und bekomme die Note „gut“ eingetragen.

Karsten Krampitz möchte das Wort „betteln“ wieder positiv besetzen. „In der Politik gibt es eine Diskriminierung von Bettlern. Sie werden als kriminell und als Gefahr abgestempelt, findet Krampitz. Die ironische PR-Aktion „Betteldiplom“ will nicht nur auf kreative Art die Situation von Obdachlosen vermitteln. Es ist auch ein Versuch obdachloser Menschen, vor allem Politikern gegenüber eine andere Position einzunehmen. „Wir haben uns oft als Werbegag benutzt gefühlt, wenn Politiker zu Besuch kommen. Deshalb bieten wir jetzt mal was an und benutzen die“, sagt Krampitz.

Auch für das zweite Pflichtfach braucht es Überwindung: Straßenfeger verkaufen. Die Leute sollen gezielt und hörbar angesprochen werden, die Zeitung muß so in der Hand liegen, daß der Umschlag gut zu sehen ist. Vielleicht ist es doch keine gute Idee, auf das Interview mit Gregor Gysi extra hinzuweisen? Ein älterer Herr kauft gegen den Willen seiner Frau ein Exemplar. Die meisten Passanten gehen gesenkten Blickes vorüber, Gleichaltrige kichern verlegen. Doch obwohl mein Bettelprofessor Gerald Denker seit einem Jahr Berufsverkäufer ist und einen entsprechend strengen Profiblick hat, bekomme ich ein „sehr gut“. Denker ist Verkäufersprecher im Vorstand des Straßenfeger und als solcher nebenbei noch „Projektpsychologe, Sozialarbeiter, Berufsberater und väterlicher Freund“ der Verkäufer.

Knifflig ist vor allem das dritte Pflichtfach: Kirchenstich. „Jeder Pfarrer rechnet damit, daß er vom Heiland persönlich angepumpt wird“, erklärt Krampitz eine weitere sozialhistorisch gewachsene Bettlererscheinung. Es gilt die eigens dafür eingerichtete Handkasse der Geistlichen flüssig zu machen. „Katholiken geben mehr.“ Leider ist Samstag und die Geistlichen in Urlaub, was mir ein „ausreichend“ einbringt. Noch schlechter schneide ich im Wahlfach ab: Containern.

Ich stehe mit meinen Turnschuhen im Braunglascontainer und übersehe fast die zwei Pfandflaschen direkt vor meiner Nase. „Zweimal dreißig Pfennig, fast liegengelassen!“ – Ein „ungenügend“, mehr ist da nicht drin. Dafür habe ich was gelernt: „Bierflaschen sind fast immer Pfandflaschen.“

Ein Betteldiplom mit „gut“ zu bestehen, vermittelt jedenfalls durchaus ein Gefühl der Sicherheit. „Schließlich hat man damit auch mehr Ausbildung als mancher Polizist“, wie Prüfer Krampitz versichert. Britta Steffenhagen