: Fußtritte als Medienkonstrukt deuten
Frank Sommer verteidigt im Bernauer Polizistenprozeß mit dem Argument der Suggestion: Die Ausländerberatung „Reistrommel“ habe für Journalisten das Bild der Polizeischläger inszeniert. Er plädiert auf Freispruch ■ Von Marina Mai
Berlin (taz) – Der Mann stehe diesmal einfach auf der falschen Seite, bedauert eine Anwaltskollegin. Und beeilt sich zu versichern, daß sie sonst nichts gegen ihn habe. Frank Sommer, 40, seit 1974 SPDler und Kontakten etwa zur rechten Szene völlig unverdächtig, verteidigt den Hauptangeklagten im Bernauer Polizistenprozeß.
Dem Polizeihauptmeister Joachim Grunz und sieben weiteren Beschuldigten wird vorgeworfen, vietnamesische Zigarettenhändler mißhandelt zu haben. Gegen vier Angeklagte ist das Verfahren mittlerweile, bei dem es um erhebliche Vorwürfe geht, eingestellt worden: Gegen die komplette Dienstschicht wurde in 23 Fällen wegen schwerer Körperverletzung, Aussagenerpressung und Freiheitsberaubung ermittelt. Heute, über zwei Jahre nach Prozeßbeginn, werden in Bernau die Urteile gesprochen.
„Der Frischrasierte“ heißt Joachim Grunz unter Vietnamesen vor Ort, und er galt als der Brutalste der Angeklagten. Grunz gab zu, Ohrfeigen und Schienbeintritte seien nicht nur für ihn eine „normale Vorgehensweise“ bei Festnahmen gewesen. Man lerne das auf Polizeischulen. Die Vietnamesen schildern Grunz drastischer. In der Polizeiwache „mußten wir uns nackt ausziehen. Dann wurden wir einzeln geschlagen. Wir mußten die Mundwinkel auseinanderziehen und die Augen, damit wir aussehen sollten wie Chinesen.“ Frank Sommer verteidigt den Hauptmeister.
In der Verteidigerriege übernimmt Frank Sommer, der neben Jura auch Philosophie und Politologie studierte, den intellektuellen Part. Er bestreitet keineswegs, daß die Polizisten bei der Festnahme von Vietnamesen Gewalt anwandten. Die Gewalt aber sei staatlich gewünscht. „Wer nicht will, daß dies geschieht, muß nach der Rechtmäßigkeit des Gesetzes fragen.“ Die Angeklagten hätten nur getan, was laut Gesetz ihre Pflicht sei. „Dafür müssen sie in der Öffentlichkeit als Blitzableiter für den Gesetzgeber herhalten, der die Asylgesetze erläßt.“ Der Staatsanwalt fordert für Sommers Mandanten drei Jahre und neun Monate Gefängnis – der Verteidiger plädiert für Freispruch.
Genüßlich weist Sommer auf Widersprüche in den Zeugenaussagen hin. Ihm kommt zugute, daß Vietnamesen, die illegal Zigaretten verkauften, manche Fragen nicht genau oder falsch beantworteten, weil sie aufenthaltsrechtliche Nachteile befürchteten.
Eine „Medienkonstruktion“ nennt Sommer das Bild, das die Anklage von den Prügelszenen auf der Polizeiwache zeichnet. Der Ausländerberatungsstelle „Reistrommel“, die die Vorwürfe öffentlich gemacht hatte, wirft er vor, die Vorfälle aufgebauscht zu haben. Die Medien seien „Reistrommel“ auf den Leim gegangen. Die Wirkung der Berichterstattung sei dadurch so suggestiv gewesen, daß sich ihr niemand habe entziehen können. Entsprechend hätte das Landeskriminalamt mit Vorurteilen im Kopf gegen die Kollegen ermittelt.
Sommer jongliert im Gerichtssaal mit Konzepten von der Medientheorie bis zum Konstruktivismus. Und so wirkt seine Verteidigung, als betrachte er den Strafprozeß wie ein Glasperlenspiel, in dem er seine humanistische Bildung ausspielen kann.
Dabei ist die Realität in der vietnamesischen Gemeinde viel komplexer, als es Sommers Anwürfe gegen „Reistrommel“ glauben machen. Auch illegale Zigarettenverkäufer handeln nicht nach zentral verordneten Leitbildern. Hierarchien unter hier lebenden Vietnamesen sind an traditionellen konfuzianischen Mustern orientiert. Entsprechend ist kaum nachvollziehbar, daß es ausgerechnet den nichtvietnamesischen Vertretern von „Reistrommel“ gelungen sein könnte, sich an die Spitze dieser Hierarchien zu setzen – und über ein Dutzend Vietnamesen der Journaille das Gewünschte in den Notizblock und den Polizeivernehmern ins Protokoll diktierten.
Strafverteidiger Frank Sommer hat sein Mandat negative Schlagzeilen in der Presse und kritische Stimmen im KollegInnenkreis eingebracht. Daß er womöglich die Strafaufklärung verhindert, läßt er nicht gelten. „Ich werde immer wieder gefragt, wie ich so einen verteidigen kann“, sagt er. „Bei Mandanten, denen Tötungsdelikte vorgeworfen werden, hat mich das noch niemand gefragt.“ Für Sommer gilt die Maxime: Auch Polizisten unter Prügelverdacht genießen die Unschuldsvermutung.
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