: Der Dschungel schweigt
■ Junglemania, Samstag im Pier 2: Gottvater reitet den Groove
1994 war das Jahr, in dem die Erwachsenen beschlossen, daß die schöne Jugendzeit nichts für Kinder sei. Mit „Welcome to the Jungle“ schrieben frühgealterte Sozialarbeiter die Zeitschriften voll und erklärten darin den Eltern, zu welchem Sound die Kids sich ihre Drogen einwerfen. Doch Jungle passierte und verschwand.
Heute blockieren Protagonisten der harten Breakbeats die Zugänge in ihren Underground, um Jugendkultur vor denen zu beschützen, die sowieso lieber wieder Klavierunterricht erteilen wollen. Es sind die großen Alten und die jungen Wilden, die sich hier vereinen und der Bil-dungsbürgerkultur die Beats um die Ohren ballern, damit diese endlich in der Geschichte verschwindet und Platz für neue Zusammenhänge schafft. Für Mickey Finn z.B., einen ehemaligen Sträfling, der aus Langeweile mit seinen Mix-Tapes anfing und wahrscheinlich mehr von Musik versteht als ein komplettes Symphonieorchester. Finn deckt in seinem Sound ein Spektrum ab, was seinesgleichen sucht, und am Samstag wird er höchstens noch vom Grooverider (Prototype, London) geschlagen, den alle nur den „Godfather“ nennen. Er ist der Allergrößte und das nicht nur in Sachen Drum & Bass. Grooverider ist 1987 beim Piratensender „Phase One“ gestartet und hat eine eigene Show auf Radio Kiss 100 FM. Jeden Sonntag residiert er im Londoner „Blue Note“ bei den Sessions der Metalheadz, und nicht nur sein Schützling Goldie zählt ihn zu seinen größten In-spirationen.
Niemand läßt die Grooves so düster über den kantigen Breakbeat rollen wie der Grooverider. DMC Quincy überraschte bereits auf dem „Intro“-Festival und verbindet handgerührten Drum & Bass mit Jungle-Unwettern und MC-Skills, die weit über den dünnen Deutsch-Rap aus den Charts hinausfliegen. Seine Debut-Maxi „Dulle for ever“ (Deck 8) mit handbesprühtem Grafitti-Cover ist den Hip Hoppern „zu techno“, aber alle anderen sind schwer entzückt. Seit seiner Tour mit „Junkie XL“ ist klar, daß Quincy so ziemlich das coolste ist, was diesem Land zur Zeit passieren kann. Ihm zur Seite steht derzeit London's DJane Numero Uno, Wild Child (Kool FM), deren Mix-CD „Jungle Talk“ (Millenium SPV) mit MC Skibadee bereits ein Standard ist.
Desweiteren an ihren Reglern: S. Enders (Traxx, Frankfurt) sowie die Bremer Residents N.D. und Yaw. Neben Quincy werden die MCs Shabba (London) und Nik (Bremen) für spontane Raps und Flows zur Stelle sein. Die Chill-Zone wird zum Wohnzimmer umdekoriert und von Thomas T (Beat Science) und Urban Style-Experte Bold betreut. Eine Nacht der interaktiven Dynamik im Zusammenspiel von Sounds und Vocals, doing it! Tanzen bis zum Verlust der Muttersprache im großen Kollektiv. Der Dschungel schweigt und bewahrt seine Geheimnisse.
StErn
Samstag ab 22 Uhr im Pier 2
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