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Erkenntniskiller Bewunderung

■ Acht junge Designer erläutern Wagenfeld-Design / S. Bischof machte den Anfang

Dreißig erwachsen anmutende Menschen scharen sich um eine Vitrine, bewaffnet mit inbrunstwilliger seelen- und bandscheibengefährdender Rückgradneigung. „Zeitlose Formen“, raunt die Hamburgerin Sabine Bischof, die als erste Jungdesignerin im Auftrag des Wagenfeld-Hauses die subjektive Leitung einer Reise in deutsche Designvergangenheit auf sich genommen hat. Auf der einen Seite der Vitrine schlummert ein klassisch-kantiges Kantinenbesteck vor sich hin. Auf der anderen Seite reihen sich Gabeln, Messer und Löffel ordentlich wie preußische Gardesoldaten, deren el-greco-hals-längliche Nierentischinspiriertheit und feines Rippmuster kaum zeitgemäß genannt werden können. Was hier passiert, ist eine nachgerade klassische Verwechslung: Die makellose Eleganz der Museumsarchitektur, von den schimmernden Wort-Gottes-Schrifttäfelchen bis zum putzfrauenknechtenden Vitrinenglas, strahlt auf die Objekte aus.

Doch stellen wir uns mal eines dieser hyperfragilen, für Alkohollüstlinge ungeeigneten Wagenfeldgläser mit Kleeblattschliff oder eines dieser putzigen, zerbrechlichen Mokkatässchen auf dem staubigen, ochsenblutfarbigen Samt eines Trödelmarkttisches vor. Wir würden sie zweifelsohne ins Herz schließen; aber nicht wegen vermeintlicher Modernität, sondern weil sie so gut zur heißgeliebten Oma Luise paßten, die sich mit ihrer feinsinnigen Klavierlehrerinnenader nach dem Kaffee gern ein klitzekleines Gläschen Sherry gönnte, damals, als sie noch lebte. Die passende Form zum abgspreizten kleinen Finger.

Das Gerhard-Marcks-Haus beweist zur Zeit mit einer schönen Sammelsuriumsausstellung für Entdeckungslustige einen getuelosen Zugang zum Namenspatron. Das Wagenfeld-Haus aber heroisiert lieber statt zu historisieren. Wes Gast ich bin, des Lied ich sing. Komisch nur, daß Sabine Bischof mitsingt. Ergriffen erzählt sie die Geschichte von Ehefrau Wagenfeld, die in stundenlangen Teekannen-Gießtests mithalf bei der Suche nach der Form der Teekanne an und für sich. Und das, obwohl sich schon Goethes Suche nach der Urpflanze, der Mutter aller Pflanzen, als Irrtum herausstellte. Vielfalt nämlich ist nicht zu reduzieren auf das Schöne, Wahre, Gute – nicht erst seit der Postmoderne. Und die Erfahrung lehrt, daß Tassen durchaus aus runden, dreieckigen, schlangenförmigen, hundert verschiedenen Teekannen zu treffen sind. „Wie unerträglich muß es für Frau Wagenfeld sein, heutigem Design ausgesetzt zu sein“, meint Frau Bischof einfühlsam. Doch nur, wer Normen anbetet, leidet.

Die Idee der einzig wahren Form, der „Vollendung“, „Unsichtbarkeit“, des Verzichts auf „Täuschung und falschen Klang“ ist wunderbar, gnadenlos, besessen, genial. Vor allem war sie bewunderungswürdig neu. Damals. Aber wer weiß, wie ein anständiges Weinglas auszusehen hat, weiß vielleicht auch, wie ein anständiger Mensch sich zu benehmen hat. Wer Ornament für ein Verbrechen hält, hält vielleicht auch Spleens, Schwächen, Süchte, Obsessionen für Verbrechen.

Eine Gesellschaft, die sich ganz der Effizienz verschreibt, kann ein bescheidenes und sozial gerechtes Gesicht tragen. Aber ist die Gefahr nicht groß, daß sie den Menschen gleich mit funktionalisiert und zur Effizienz verpflichtet?

Heutige Wohnsilokultur signalisiert uns entweder die Pflicht zur noblen Unterkühltheit oder unsere absolute Wertlosigkeit. Längst gilt sie als real existierende Nachkommenschaft des Bauhauses. Längst wird darüber gestritten, ob diese unangenehmen Nachfahren illegitim oder unausweichlich sind. Doch der Wagenfeld-Haus-Inszenierung liegt jedes Streiten fern, Sabine Bischof auch. Erstaunlich, daß heutige Generationen noch ihren Vätern so ungetrübte Bewunderung zollen. bk

nächste Führung: 27. Mai, Vogt + Weizenegger-netzwerkdesign

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