piwik no script img

Petra Nummer zwei hat ausgedient

Der Drückermord-Prozeß ist zu Ende. Die kaputten Biographien der Angeklagten und das Milieu der Zeitungswerber führten zu einem der grausamsten Morde der Nachkriegsgeschichte  ■ Von Hilmar Höhn

Es ist still in dem weiten Saal des Schwurgerichtes in Ellwangen. Durch haushohe Fenster fällt das fahle Licht eines regnerischen Nachmittags im Mai in die ehemalige Aula des Jesuitenkollegs. Keine Sekunde hat es gedauert zwischen der Frage des Richters, ob „Sie, Frau Ott, noch etwas sagen möchten“, und dem ersten ihrer letzten Worte in diesem Mordprozeß. Aber der kurze Augenblick hat genügt, um das ständige Getuschel des hundertköpfigen Publikums verstummen zu lassen. Nach den stundenlangen Plädoyers der Anwälte der vier Angeklagten im sogenannten „Grabmordprozeß“ wird nun die geständige Angeklagte ein letztes Mal zu hören sein, bevor sie hinter dichten und festen Mauern verschwindet – lebenslänglich. Die Leute wollen Reue hören, und sie meinen Rache.

In der Pause noch hatte sich das Publikum über das Plädoyer des Anwalts der schwer an Aids erkrankten Petra Falb erregt, der für seine Mandantin höchstens vier Jahre Haft gefordert hatte, damit „auch sie, die nach Auskunft der Ärzte noch fünf Jahre zu leben hat, in Frieden und in Freiheit ihr Leben beschließen kann“.

Und nun also steht die Luft. Und da ist diese dünne, schwache Stimme der Deborah Ott, 21 Jahre jung, die klingt wie aus der dritten Bank im Klassenzimmer, die über ein Mikrofon verstärkt haucht: „Ich bin mir meiner Schuld wohl bewußt. Ich bereue zutiefst. Ich würde am liebsten alles ungeschehen machen. Bis heute verstehe ich nicht, wie ich das tun konnte. Ich werde lange brauchen, um damit klarzukommen.“

Deborah Ott, geboren am 22. Juli 1976, zuletzt beschäftigt als Zeitschriftenwerberin an zahllosen Haustüren, hat gefoltert und getötet. Über zwei Stunden lang hat sie im vergangenen Sommer ihren kaum älteren Kollegen Thorsten Mumm, im Beisein ihrer Chefin Petra Falb und deren damaligem Geliebten Jörg Zesni, beaufsichtigt, wie er sich sein Grab aushob. Während die mitangeklagte Falb Zigaretten rauchend und Schokolade essend auf einem Baumstamm saß und Befehle gab, schlug Deborah Ott den Thorsten Mumm mit einem Gummischlauch, während er in einem Waldstück bei Silberg sein Grab schaufelte. Mit einem Messer brachte sie ihm Schnitte tief unter die Haut bei, sie versengte ihm seine Schamhaare und rammte ihm einen glühenden Metallstab in den Anus. Dann fesselte sie den stillen Jungen, „der sich nie wehrte, ja nicht mal schrie“, und rammte ihm mehrmals ein kurzes Wurfmesser in die Brust. Als er tot zu sein schien, warf sie ihn in die Grube und schaufelte Erde über ihn. Wie er dann noch einmal röchelte, nahm sie einen Spaten und hieb ihm mit drei Schlägen den Schädel in Stücke.

Zwei Monate später, Ende September, tötete sie ihren Ex-Chef, den Drücker-Boss Volkmar Granz, mit mehreren Schüssen in den Rücken und raubte zusammen mit ihrem Freund Marco Schulz zahlreiche Wertgegenstände und Handys.

Das ist also ihre dünne, schwache Stimme. Die Frau, etwas blaß, sitzt da in Jeans mit einem grauen Sweat-Shirt, schaut verschüchtert und sagt, sie könne es nicht verstehen.

Niemand kann dieses monströse Verbrechen so richtig verstehen. Es bietet sich natürlich an, auf das Milieu der Zeitschriftenwerber, weniger vornehm Drücker genannt, zu zeigen. Seht her, das sind die Leute, die abgerissen von Haustür zu Haustür ziehen und mit dem Knast-Spruch oder dem Drogen-Spruch Abonnements verkaufen. Unter Drückern geht es ja nun einmal rauh zu. Da setzt es auch mal Prügel. Ja, und dann bringen sie halt auch mal einen um.

Aber so einfach ist es nun nicht. Der psychiatrische Gutachter im Prozeß jedenfalls kam zu dem Schluß, daß alle vier Angeklagten seelisch gestört seien. Zesni, Schulz und Deborah Ott beschrieb er als abhängige Persönlichkeiten, in ihrer Entwicklung weit zurückgeblieben. Zesni und Schulz seien beide zudem auch recht unterbelichtet, Handlanger eben, in einer Welt, die sie als ungerecht erleben, in der es immer irgend jemand gibt, der ihnen Befehle erteilt. Petra Falb dagegen sei eine starke Persönlichkeit, mit ausgeprägter Menschenkenntnis ausgestattet und der Fähigkeit, andere in ihrem Sinne zu manipulieren.

Und so soll es denn auch gewesen sein. Deborah Ott, Jörg Zesni und Marco Schulz sagen übereinstimmend: „Die Petra hat alles bestimmt. Alles befohlen.“ Da habe es kein „nein“ gegeben. Zesni sagt: „Die hat 'ne Macht ausgeführt. Ich weiß gar net wie.“ Wenn die Falb am Abend in der Drücker-Absteige erklärt habe, „es gibt kein Bier, dann gab's kein Bier“. Wenn sie aber gute Laune hatte, dann kaufte sie dem Gestrandeten Boxershorts. „Ei, ich hatt's doch gut bei ihr.“

Nach dem System von Befehl und Gehorsam soll es denn auch zu den Morden gekommen sein, darin stimmen die Angeklagten – abgesehen freilich von Petra Falb – überein. Ob denn die Frau Falb jedes Detail der Quälerei vor dem Mord an Thorsten Mumm angeordnet habe, will der Vorsitzende Richter Klaus Kunath wissen. „Ja alles.“ Wenn sie also gesagt habe, „jetzt in den Rücken schneiden, dann haben Sie ihm in den Rücken geschnitten?“ Deborah Ott sagt knapp: „Ja.“ Wenn die Frau Falb etwas gesagt habe, „dann war das Gesetz“. Und als sie gesagt habe, sie solle Mumm töten, da habe die „Frau Falb“, immer noch auf dem Baumstamm hockend, auf die Herzgegend gedeutet. „Da hab' ich zugestochen.“ Sagt Deborah Ott. Wie in einem Horrorfilm habe sie sich gefühlt, habe gewußt, daß ihr schwere Strafe drohe, aber zugestochen hat sie trotzdem.

Deborah Ott ist das vierte Kind ihrer zunächst in Norddeutschland lebenden Familie. Ein Nesthäkchen, aber keineswegs umsorgt und geliebt, sondern von ihrer Mutter verstoßen: „Am liebsten hätte ich dich nach der Geburt in der Regentonne hinter dem Haus ersäuft“, bekommt sie zu hören. Es gibt Prügel. Die Mutter hält sie für dumm, behandelt sie auch so. Traut ihr nicht zu, daß sie eine Lehre macht. Doch einmal entrinnt Deborah Ott dieser Welt der Nörgler und Besserwisser. Sie macht eine Lehre als Hotelfachfrau und freundet sich mit ihrer Ausbilderin sogar an.

Danach: Umzug mit der Familie in den wilden Osten, wo sich Deborahs Bruder glücklos im Rotlichtmilieu und der Immobilienbranche versucht. Deborah Ott muß zum Schein eine der dubiosen Firmen ihres Bruders übernehmen. Als sie aussteigen will, gibt es Schläge vom Bruder. Bevor es zu noch mehr Tätlichkeiten kommt, flieht sie ins Frauenhaus. Sie bleibt dort sieben Monate. Noch einmal versucht sie das Zusammenleben mit ihrer Mutter. Wieder nur Streit. Sie liest eine Annonce, in der junge Leute für einen leichten Job gesucht werden. 800 Mark in der Woche, da ist sie dabei. Ohne ihrer Mutter eine Nachricht zu hinterlassen, verschwindet sie, um in der Kolonne des Volkmar Granz Klinken zu putzen. Doch es gibt wieder nur Schläge, dazu beutet er sie sexuell aus. Er ekelt sie an. Er will sie heiraten.

An einem Abend lernt die verschüchterte Deborah Ott jene Petra Falb kennen. Diese große, starke, selbstbewußte Frau, selbst Chefin einer Kolonne, die sie förmlich entführt. Deborah Ott ist dankbar. Sie bewundert Petra Falb für die „Liebe und Härte“, die sie ihr angedeihen läßt. Sie geht noch weiter. Im Gerichtssaal spricht sie von Liebe, von erotischen Träumen, in denen sie und Petra Falb ein Paar gewesen seien. Deborah Ott sagt, sie habe werden wollen „wie die Petra. Genau so.“

Petra Falb habe solche Hoffnungen in ihr genährt. Mal sei sie gelobt worden, sie sei dabei, eine „Petra zwei“ zu werden. Und wenn alte Bekannte meinten, sie werde der Petra Falb immer ähnlicher, „dann war ich stolz“. Manchmal habe Petra Falb sie aufgefordert, in ihrem Bett zu übernachten. Wie nach dem ersten Mord, da hat sie sich in den Nächten schlaflos an die Freundin gekuschelt. „Passiert ist aber nie was.“

Dann die stundenlange Quälerei des Thorsten Mumm. Und die Schüsse auf Granz, obwohl keine Petra Falb in der Nähe war, die befohlen hätte, was wann zu tun sei. Der Gutachter hat vor Gericht ausgesagt, Deborah Ott sei zwar seelisch gestört. Ob das allerdings auf eine verminderte Schuldfähigkeit schließen lasse, das sei ja nun sehr zu bezweifeln.

Verminderte Schuldfähigkeit. Einer hat vor Gericht gefehlt. Besser: Eine ganze Branche glänzte durch Abwesenheit. Natürlich sitzt keiner der Drücker-Bosse im Hintergrund, sitzen nicht die Chefs von Ott und Co. auf der Anklagebank. Wieso auch? Haben sie etwas verbrochen, was das Gericht in Ellwangen ahnden müßte? Freilich nicht. Aber der Mord ist in jener Subkultur geschehen, die diese Herren über Jahrzehnte mit aufgebaut haben und die noch feinere Herren in Verlagshäusern der Blätter Stern, Spiegel, Focus und Allegra mit zu verantworten haben. Denn sie profitieren von der Arbeit der Gestrauchelten, Gebrochenen und Gestrandeten, die in Drücker-Gruppen landen.

Das ist eine Subkultur, in der kaputte Typen auf dominante und zum Teil gewaltbereite Typen stoßen. Die Drücker bekommen zu essen, zu trinken, zu rauchen – auch mal Drogen – und ein Dach über dem Kopf. Wirklich Geld verdienen tun sie nicht. Von ihren Chefs werden sie belogen und beschissen, ausgenommen, verprügelt, und wenn sie nicht mehr können, fliehen sie, oder sie werden ausgesetzt. Die Kolonnen, die in abgelegenen Hotels nächtigen und paarweise Dörfer und Stadtviertel nach mitleidigen Kunden durchkämmen, sind eine eigene Welt. „Mit eigenen Regeln und Gesetzen“, wie es Bodo Brechlien, ein Anwalt von Deborah Ott, sagt.

In der Kolonne der ehemaligen Domina Petra Falb galt das am Ende nicht mehr. Die für den „Erfolg“ notwendige Gewalt eskalierte in einer Spirale, die erst endete, als die Polizei Petra Falb, Deborah Ott und ihre Truppe verhaftet hatte. Denn einen dritten Mord – an dem ebenfalls angeklagten Jörg Zesni – hatten die beiden Frauen schon geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen