: „Ein Mythos kann nicht sterben. Aber verblassen“
■ Jürgen Wittkamp (heute 50), der in den siebziger Jahren mit Borussia große Erfolge feierte, zum drohenden Absturz der Gladbacher Borussen und dem linken Image der „Fohlen“ um Günter Netzer
taz: Herr Wittkamp, Ihnen ist auch 20 Jahre nach dem Karriereende sicherlich nicht egal, was mit Borussia passiert, oder?
Jürgen Wittkamp: Nein. Bis vor wenigen Wochen konnte man sich eine solche Situation ja gar nicht vorstellen. Abstieg und Borussia Mönchengladbach – das paßt doch einfach nicht zusammen.
Wenn's aber doch so kommt – ist das für Sie ein Verlust an Lebensqualität?
Ja. Die Borussia war ein wunderschönes Stück meines Lebens. Bei großen Spielen späterer Mannschaften erinnert man sich oft eigener Erlebnisse, eigener Glücksmomente. Und wenn ein solcher Verein plötzlich in der 2. Liga rumdümpelt, dann wird auch das eigene Erlebte ein wenig verblassen, auch die eigene Vergangenheit ein Stückchen an Wert verlieren.
Borussia Mönchengladbach galt nach außen immer als „etwas anderer Verein“. War er das?
Ja, er war schon anders als die anderen. Wir waren keine zusammengekaufte Mannschaft, wir hatten mit Hennes Weisweiler einen ungewöhnlichen Trainer. Und wir haben immer offensiv und mit Herzblut gespielt. Dazu war der Verein finanziell immer klamm, kam aus einer relativ kleinen Stadt. Das hat uns Sympathien eingebracht. Und das Image vom David, der sich erfolgreich gegen den Goliath aus Bayern wehrt.
Können Sie auch die Position unterstreichen, die besagt, Gladbach sei ein politischer, ein eher links orientierter Verein gewesen?
Ich persönlich habe das immer fein säuberlich getrennt. Ich habe mir zwar immer meine Gedanken gemacht und tue das auch heute. Ich war aber nie ein politisch engagierter Mensch. Ich weiß, daß der Borussia manchmal ein linkes Image nachgesagt wurde. Nur: Die Struktur des Vereins, des Präsidiums, auch der Mannschaft – die war immer eher konservativ geprägt. Günter Netzer, später Ewald Lienen, die tanzten ein wenig aus der Reihe. Aber der Rest? Berti Vogts, Jupp Heynckes, Rainer Bonhof, ich selbst... Links waren wir nicht.
Mit solchen Namen verbindet man Borussia Mönchengladbach heute immer noch. Ist das eine Belastung für einen Verein?
Das ist keine Belastung. Als der Club mit ganz jungen Leuten, mit 18-, 19-, 20jährigen in die Bundesliga kam, wurde der Mythos der „Fohlen-Elf“ geboren. Selbst wir, die wir ein paar Jahre später dazukamen, profitierten von diesem Ruf. Und die Mannschaft von heute tut es auch. Was meinen Sie, warum der Verein noch immer so ungeheur beliebt ist? Doch nicht wegen der Leistungen der Mannschaft von heute.
Kann solch ein Mythos sterben?
Sterben wird er nie. Aber wenn die Borussia absteigt, wenn sie nicht schnell wieder nach oben kommt, dann kann er schneller verblassen, als man glaubt.
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