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"Die BVG-Tarife werden weiter steigen"

■ Der Finanzvorstand der BVG, Joachim Niklas, über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens: Ohne Rückendeckung des Senats sind die Verkehrsbetriebe wegen ihrer finanziellen Altlasten nicht konkurrenz

taz: Die BVG ächzt unter dem Sparkurs des Senats. Was würde ein ordentlich finanzierter Nahverkehr kosten?

Joachim Niklas: 1993 hat das Land Berlin für den Nahverkehr 1,5 Milliarden bezahlt als Zuschuß und weitere 300 Milionen für soziale Tarife wie etwa Studenten- und Schülerkarten. Das waren also 1,8 Milliarden. In dieser Welt weitergelebt, hätten wir keine Probleme gehabt.

Das Problem der Verkehrsbetriebe ist also das Problem der Finanzen Berlins?

Ja. Das ist das eine Problem. 1994 kam der Senat und strich uns auf einmal 325 Millionen. In den folgenden Jahren wurde der Zuschuß von den ursprünglichen 1,5 Milliarden auf 970 Millionen und dann 921,5 Millionen gekürzt. Innerhalb von drei Jahren ist der jährliche Zuschuß um 600 Millionen und bei den Sozialtarifen auch noch mal um 100 Millionen jährlich gekürzt worden. Löhne und Gehälter machen 65 Prozent unserer Kosten aus, und 1996 haben wir die Tarife in den östlichen Bezirken angeglichen. Das waren noch mal 60 Millionen Mehrausgaben. Trotzdem wurde gekürzt.

Was hat die BVG selbst zum Abspecken beigetragen?

Wir haben 10.000 Stellen abgebaut, bei gleicher Leistung wie 1992, sogar bei leicht gestiegener Leistung, wenn man die Nutzfahrkilometer betrachtet. Das sind 800 Millionen Mark Einsparungen im Jahr, außerdem noch einmal 200 Millionen Einsparungen bei Sachaufwendungen. Das heißt, wir haben das Land Berlin in diesen vier Jahren jährlich strukturell um eine Milliarde Mark entlastet. Wir haben nie gesagt, dann lassen wir einfach die Busse und Bahnen stehen, obwohl wir dafür sogar Unterstützung in der Öffentlichkeit bekommen hätten.

Sind Sie mit dem Sanierungskurs zufrieden?

Der Vorstandsvorsitzende, Herr vorm Walde, sagt zu Recht, die BVG ist das erfolgreichste Unternehmen in Europa in bezug auf seine Sanierungserfolge. Die Speckschwarten sind abgearbeitet, in diesem Unternehmen ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Trotzdem sind wir bei diesem Weg noch nicht am Ende. Bei der Zusammenlegung von BVG West und BVB Ost 1992 hatten wir 27.600 Beschäftigte. Jetzt sind wir bei 17.000 angelangt. Wir wollen aber auf 12.000 bis 12.500 runter – bei gleicher Leistung. Wir kommen von einer 28.000-Mann-Behörde zu einem 12.000-Mann-Wirtschaftsunternehmen, ohne daß wir jemanden entlassen können. Das können wir bis 2001 oder 2002 auch schaffen.

Aber das reicht nicht, wenn die BVG Konkurrenz beim Nahverkehr bekommt.

Die Marktverfassung im Nahverkehrsbereich wird grundlegend geändert. Bisher sind wir Verkehrsunternehmen ja alle Gebietsmonopolisten. Diese Monopole werden abgeschafft. Dann sagt der Senat: Ich will hier einen bestimmten Verkehr fahren lassen, und wer den fährt, ist mir egal, das soll der beste und der preiswerteste machen.

In diesem Wettbewerb verliert die BVG.

Die BVG hat drei Bereiche, wo wir beim allerbesten Willen nicht konkurrieren können: Das eine ist der Bundesangestelltentarif BAT. Das sind Kostennachteile von etwa 30 Prozent. Bei uns kostet der Busfahrer 25 Mark die Stunde, bei der Konkurrenz 17 Mark, in Brandenburg zum Teil um 13 Mark. Und das alles mit Tarifverträgen der ÖTV, nicht etwa mit polnischen Busfahrern. Solange die BVG mit BAT- Verträgen ausgestattet ist und ihr dies vom Land Berlin vorgeschrieben wird, kann sie gegenüber diesen Konkurrenten nicht mithalten.

Welchen Wettbewerbsnachteil hat die BVG noch?

Ein Kostenfaktor ist die Altersversorgung über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), die die BfA-Rente auf 80 oder 90 Prozent des Nettolohnes ergänzt. Das macht sich bei uns momentan im Jahr mit 50 Millionen Mark bemerkbar, innerhalb von drei bis fünf Jahren wird sich das auf 60 bis 80 Millionen Mark erhöhen. Eine vergleichbare Belastung durch Altersversorgung haben unsere Konkurrenten jedoch nicht. Das dritte ist wieder eine „Altlast“. Alle Mitarbeiter, die bis Ende 1959 hier eingetreten sind, werden nicht über die VBL versorgt, sondern über die sogenannte Ruhegeldeinrichtung. Die wurde bisher durch das Land Berlin getragen, aber seit wir 1994 Anstalt des öffentlichen Rechts wurden, tragen wir das selbst. Das sind im Jahr 145 Millionen Mark. Das baut sich sehr langsam ab bis zum Jahr 2043. Das ist ein Ausgabenblock, den hat nun gar keiner von unseren Konkurrenten.

Heißt das: Entweder der Senat befreit die BVG von diesen „Altlasten“, oder bei einer Konkurrenzsituation macht die BVG dicht?

Richtig.

Irgend jemand muß das ja zahlen. Aber auch der Senat hat kein Geld. Wie soll es denn nach der Vorstellung der BVG in diesem Dilemma weitergehen?

Es könnte sein, daß man darauf keine Antworten findet und daß man sagt, das Land muß das zahlen. Wir haben mit dem Modell der Aktiengesellschaft aber einen Weg entwickelt, der uns von diesen Altlasten aus eigener Kraft befreien kann. Das einzige, was wir an dieser Stelle wollen, ist die Zusicherung, daß die jetzigen 921,5 Millionen vom Land uns weiter zur Verfügung stehen.

Das enorme strukturelle Defizit der Verkehrsbetriebe wird so nicht abgebaut.

Der Barwert unserer strukturellen Nachteile beträgt insgesamt 4,3 Milliarden Mark. Wenn Sie 4,3 Milliarden in die Hand nehmen könnten, dann könnte sich das Unternehmen durch Einnahmeströme aus eigener Kraft daraus befreien. Mit dem unbelasteten Stammkapital von 5 Milliarden können Sie zur Bank gehen und sagen: Das Land Berlin bürgt für uns. Damit sind wir ein ganz begehrter Schuldner.

Das ist ein Schattenhaushalt.

Genau. Sonst würde uns natürlich keine Bank der Welt Geld geben. Wir können solche Gelder aufnehmen. Das setzt aber voraus, daß wir als Unternehmen am Markt bleiben. Dafür haben wir das Modell der Aktiengesellschaft entwickelt. Wir wollen eine ähnliche Struktur wie bei der Bahnreform, eine Trennung zwischen Infrastruktur und Betrieb der Verkehrswege. Unser Vorschlag: Es gibt eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die die Verkehrswege vorhält und vom Staat dafür entsprechende Zuschüsse bekommt.

Was wäre der Vorteil?

Wir als BVG würden eine Aktiengesellschaft gründen, und in diese Aktiengesellschaft gehen die Mitarbeiter ein, die im Bus- und Bahnbereich tätig sind. Löhne und Gehälter für sie liegen auf dem Niveau der Konkurrenten. Wer bei uns jetzt beschäftigt ist, bekommt sein altes Gehalt. Wer neu dazukommt, bekommt neue, niedrigere Verträge, die bei etwa 70 Prozent des jetzigen BVG-Tarifs liegen, aber ÖTV-Tarife sind. Wer bisher bei der BVG gearbeitet hat, tritt entweder in die Aktiengesellschaft ein und bekommt einen neuen Vertrag. Oder aber er bleibt bei der Anstalt des öffentlichen Rechts und arbeitet dort weiter.

Damit werden die Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert. Die AG wird schwarze Zahlen schreiben, die Infrastruktur zahlt das Land.

Diese AG wird keine große Dividende ausschütten. Das ist eine AG, die eine gesunde schwarze Null schreibt. Das heißt, daß man sich die Abschreibungen selbst verdient. Derzeit müssen wir 350 Millionen jährlich über Kredite finanzieren. Diesen Kostenfaktor hatten wir bisher überhaupt nicht. Zur Zeit haben wir Schulden in Höhe von 220 Millionen und alte Kredite von 150 Millionen, aus der Zeit vor 1994. Wir hatten im letzten Jahr eine Zinslast von knapp 14 Millionen. In diesem Jahr werden das schon 20 oder 21 Millionen sein. Das geht mittelfristig hoch auf 50 bis 70 Millionen.

Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing hat schon angekündigt, weitere 100 Millionen bei den Investitionen und 100 Millionen beim Verlustausgleich zu kürzen.

Ja, wir werden auf 821,5 Millionen zurückgefahren.

Ist das denn für Sie akzeptabel?

Das kommt darauf an, das hat auch was mit der Höhe der Verkehrstarife zu tun. Man kann ja nicht den Zuschuß senken und auch noch die Tarife senken, das geht natürlich nicht. Wenn die Stadt also sagt, ich gebe euch nur noch 821,5 Millionen, wird auch die Stadt akzeptieren müssen, daß die Tarife weiter angehoben werden müssen.

Kann die BVG es sich leisten, die Tarife noch weiter zu erhöhen? Je teurer die BVG wird, desto weniger Kunden kann sie halten.

Ich habe mich 20 Jahre lang beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mit diesem Thema ausgiebig beschäftigt. Es gibt keinen statistisch gesicherten Zusammenhang zwischen der Höhe der Verkehrstarife und der Höhe der Nachfrage im Nahverkehr.

Das gilt aber vor allem für die „gefangenen Kunden“, die sowieso mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen.

Nahverkehr wird von denen genutzt, die das Auto nicht sinnvoll nutzen können. Wer ein Auto hat und einen Stellplatz, der fährt natürlich mit dem Auto. Der ÖPNV hat etwas zu tun mit der mitteleuropäischen, fußläufigen Stadt. Wir halten an diesem Gedanken fest und wollen eine Lebens- und Aufenthaltsqualität haben, und die ist bei Strukturen, die das Auto erfordert, nicht herzustellen. Sie müssen den Pkw zurückdrängen, auch wenn es nicht auf Null geht.

Die Tarife der Verkehrsbetriebe werden also, entgegen der Ankündigung von Verkehrssenator Jürgen Klemann, weiter steigen?

Mittelfristig ja. Sie werden differenziert steigen. In München zahlt man beispielsweise für fünf Zonen 16 Mark, hier in Berlin zahle ich 4,20. In Frankfurt zahlt man zum Flughafen 5,10 Mark. Wir haben in Berlin noch keinesfalls ein Tarifniveau, daß man sagt, um Gottes willen, wir sind da ja Weltmeister. Beim Einzelfahrschein kommen wir an eine Grenze, aber die Monatskarten und die längeren Strecken sind bei uns außerordentlich preiswert. Wir haben immer gesagt, daß wir uns am Hamburger und Münchner Preisniveau orientieren. Wenn man so etwas sagt, bekommt man keinen Beifall, aber wir kommen einfach nicht an der Ökonomie vorbei. Wir haben Kostenstrukturen, die identisch sind mit denen in Hamburg und München, aber die Einnahmestrukturen sind nicht so.

Wie hoch müßte der Preis sein?

Bei der Schülermonatskarte sollte es ein Verhältnis zur Umweltkarte von 75 zu 100 geben. Wir waren ja bei 45 zu 100. Jetzt sind wir bei 60 zu 100, was natürlich für die Kunden zu immensen Preissteigerungen geführt hat, aber wir sind immer noch nicht bei 75 zu 100. Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Bei den Tarifen der Verkehrsbetriebe wird noch einiges passieren, aber es wird in dem Bereich bleiben, daß es nicht zu einem Fahrgastrückgang kommt. Dazu muß eine wirklich nahverkehrsfreundliche Politik kommen. Etwa die, daß man sagt, in der Innenstadt gibt es keinen Durchgangsverkehr, worauf sich CDU und SPD ja mal geeinigt haben.

Der BVG-Vorstandsvorsitzende vorm Walde sagt: Die BVG arbeitet nicht gegen den Autofahrer. Sie sagen: Die BVG müßte sich dafür einsetzen, Autos aus der Innenstadt zugunsten der BVG zu verdrängen.

Wir arbeiten ja nicht gegen das Auto. Wer Auto fahren will, kann ja Auto fahren. Auch bei der Parkraumbewirtschaftung sind zum Beispiel die Bezirke dafür, weil sie merken, ohne Regulierung gibt es keine vernünftige Stadtgestaltung.

Gegenwärtig wird über die Straßenbahn in der Leipziger Straße diskutiert. Da gibt es zwei Varianten: Die überirdische nimmt in Kauf, daß der Autoverkehr leicht behindert wird, die unterirdische kostet das Doppelte und läßt die Autos fahren. Die BVG spricht sich gerade für die unterirdische Variante aus, die dem Konflikt mit dem Auto ausweicht. Warum sagen Sie nicht: Wir sind ein Konkurrenzunternehmen zum Autoverkehr, wir wollen die oberirdische Trasse?

Wir haben von der Verkehrsverwaltung eindeutig mitgeteilt bekommen: Die oberirdische Variante gibt es nicht in der Leipziger Straße. Punkt. Ob wir darüber glücklich sind, ist eine ganz andere Frage. Das war eine eindeutige verkehrspolitische Vorgabe – sosehr wir daran interessiert sind, daß hier eine nahverkehrsfreundliche Politik gemacht wird. Auch bei der Straßenbahn hat der Steuerzahler seit drei Jahren 600 Millionen Mark ausgegeben für die Grundinstandsetzung der Gleise, und dann haben wir wegen der fehlenden Ampelgleichschaltung das langsamste Straßenbahnnetz Deutschlands.

Die BVG betont immer, sie sei ein eigenständiges Unternehmen. Aber wenn es zum Schwur kommt, sagen Sie, wir müssen auf die Politik achten, und ziehen sich auf den Status als Anstalt des öffentlichen Rechts zurück.

Überhaupt nicht. Bei der Straßenbahn nehmen wir viel Geld in die Hand, was wir normalerweise nicht machen müßten. Das sind 20 Millionen Mark, die wir von der Politik nicht bekommen und die wir investieren, damit die Straßenbahnen endlich schneller fahren können. Im Herbst 1994 habe ich diese Vorfinanzierung bereits vorgeschlagen. Verwirklicht wird sie im Frühjahr 1998.

Aber es hätte doch in der verkehrspolitischen Diskussion ein ganz anderes Gewicht, wenn die BVG sich nicht nur mit Ampeln beschäftigte, sondern sagen würde: Wir sagen eindeutig, wir wollen diese Variante.

Wenn Sie die Archive durchstöbern, werden Sie darauf stoßen, daß wir das getan haben. Wir haben vorgerechnet, daß der Neubau zum Beispiel jetzt bei der U2 in Pankow nicht viel für die U-Bahn bringt. Das ist alles vorgetragen worden. Aber es gibt Entscheidungen, und wenn die gefallen sind, muß man von diesen Entscheidungen ausgehen. Interview: Bernhard Pötter

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