Russische Seele, entrümpelt

■ Bunte Reden, subtile Aushorchung: Beobachtungen beim Festkonzert der Hochschule

Die unabgesprochene und unkontrollierte Buntheit der Reden: Das hatte zum abschließenden Festkonzert des Hochschuljubiläums zweifelsohne Charme. Während der Rektor Jürgen Waller polterte, die für die Planungen dringend notwendigen Hauhaltsverabschiedungen ließen auf sich warten, erzählte der Präsident der Bürgerschaft Reinhard Metz (CDU) ausführlich, daß er von Kunst nichts verstehe, aber sehr gerne Klarinette spiele. Gleichwohl hoffte er auf „innovative und kreative Potentiale“ und erzählte dem erstaunten Festpublikum, daß die „Leistungsfähigkeit einer Stadt auch Kulturleistungsfähigkeit sein muß“.

Donnerwetter. Da hatte es die Senatorin Bringfriede Kahrs (SPD) nicht schwer, ein verbales Niveau zu setzen, in dem sie sich kenntnisreich zu einer kleinen, aber exzellenten Hochschule bekannte. Ihre und Bürgermeister Henning Scherfs (SPD) Worte in Gottes Ohr: „Der Ausbau der Hochschule ist ein Motor für das Land.“

Ob der Ausbau angesichts der uneinholbaren Hochschulen von Hannover und Hamburg richtig ist, kann nicht jedes Konzert gleichermaßen beweisen. Nach der Vielfalt der sechzehn Konzerte dieser Woche setzte aber ganz sicher das Abschlußkonzert einen nachhaltigen und nachdenkenswerten Akzent. Zwar hatte man mit Rücksicht auf die vielen (bezahlten) Gäste im Orchester dieses „Studierende und Gäste der Hochschule für Künste Bremen“ genannt, aber ein derart ausgeweiteter Instrumentalapparat könnte eben auch zeigen, was ein veritables Hochschulorchester für diese Stadt bedeutet: nämlich neben Staatsorchester und Kammerphilharmonie, in zweiter Linie auch der Kammersinfonie, ein Klangkörper, der im Gespräch sein könnte.

Diesen Eindruck machten die musikalischen Interpretationen unter der Leitung von Martin Fischer-Dieskau in vieler Hinsicht. Zwar bestand das ganze Konzert aus „Reißern“ des Konzertrepertoires, aber genau das machte an diesem Abend richtig Spaß: Ottorino Respighis programmatische Klangstudie „Fontane di Roma“ mit all seinen Naturmalereien und seinen empfindsamen Stimmungen erklang in subtiler Aushorchung der Klangflächen. Tschaikowsky zu lieben, ist infolge von Adornos Verdikt, der den Typus des „emotionalen Hörers“ an dem russischen Komponisten festmachte, geradezu ein ästhetisches Delikt: die russische Seele mit all ihren Sentimentalitäten. Das jedoch sei, so der russische Dirigent Wladimir Fedossejew, nicht ein Problem der Komposition, sondern der Interpretation. In diese entrümpelnde Ansicht klinkte sich die technisch souveräne Wiedergabe des Violinkonzerts durch Martin Fischer-Dieskau ein, die er mit der kongenialen Unterstützung seiner Solistin erarbeiten konnte.

Was die junge Katrin Scholz noch in den schnellsten Passagen an durchsichtiger Artikulation und Intonation produzierte, setzt Maßstäbe. Gerade das klare Bekenntnis zu von Grund aufVirtuosität – nicht nur der geplante Uraufführungssolist hielt das Konzert 1879 für unspielbar – befreite das Werk von jedem Verdacht, es sei Trivialmusik. Katrin Scholz' Reichtum an Strichtechniken, mit denen sie in schnellsten Wechseln immer neue Klangfarben zeigte, ihre drängende Art, mit Rubati umzugehen – und dies in schönster Übereinstimmung mit dem Orchester –, ließen die unprätentiöse Wiedergabe zu einem zu Recht vielbejubelten Erlebnis werden.

Die Berlinerin Katrin Scholz – Absolventin der Hochschule Hanns Eisler – wird nach taz-Informationen Professorin für Violine an der HfK – eine weitere Berufung wie so manche in den letzten Jahren, die Zeichen setzt.

Der Abschluß: die Ouvertüre „Wilhelm Tell“ von Gioacchino Rossini. Ein rhythmus- und melodieseliges Fetzstück, gewiß, aber wie gemacht, um die verschiedenen Instrumentengruppen vorzuzeigen. Begeisterung allenthalben, und wenn's so weiter geht, geht's vielleicht das nächste Mal mit mehr eigenen Kapazitäten.

Ute Schalz-Laurenze